Carmen Maria Gaukel: Interaktion und Partizipation im Social Web

Durch die zunehmende Verschmelzung von Medien und Kultur im Kontext der Digitalisierung ergeben sich für den Einzelnen neue Formen und Möglichkeiten sich an der Gestaltung der Gesellschaft zu beteiligen. Die aktuellen Medienstrukturen ermöglichen einen Übergang von der reinen Rezeption medialer Inhalte hin zu Aktivitäten, die in einem weiteren Verständnis von Partizipation als mediale Formen der Beteiligung bezeichnet werden können.

Der vorliegende Fachartikel beschäftigt sich mit der Thematik der Interaktion und Partizipation im Social Web. Es stellt sich die Frage, was unter Partizipation im Social Web verstanden werden kann beziehungsweise ob diese Art der Beteiligung Gemeinsamkeiten zur konventionellen Bedeutung des Partizipationsbegriffes als Gestaltungsprinzip des gesellschaftlich-politischen Raumes aufweist. Ziel dieses Beitrags ist es, eine theoretische Fundierung des konventionellen Partizipationsbegriffes darzulegen und diese den gegenwärtigen Beteiligungsmöglichkeiten im Social Web gegenüberzustellen. Die Ergebnisse dieses Vergleiches weisen darauf hin, dass Partizipation im Social Web gesondert betrachtet werden muss, da nicht alle Kriterien der konventionellen Partizipation als erfüllt betrachtet werden können. Der Grund für die Nichterfüllung dieser Kriterien liegt in den besonderen Gegebenheiten des Social Webs.

Das neue Partizipationsverständnis

Die fortschreitende Digitalisierung der gesellschaftlichen Lebensbereiche führt zu Veränderungen der Beteiligungsmöglichkeiten sowie zu einem neuen Selbstverständnis im Kommunikations- und Interaktionsverhalten der Menschen. Das Zauberwort in diesem Zusammenhang nennt sich Partizipation und gilt als “Schlagwort unserer Zeit” (Voss 2014, p. 9). Der Begriff der Partizipation ist bei weitem keine neue Wortschöpfung, er wird jedoch nicht mehr ausschließlich in seiner konventionellen Bedeutung als Gestaltungsprinzip des gesellschaftlich-politischen Raums verstanden, sondern seit geraumer Zeit auch für die Interaktion im Social Web verwendet. Dabei avanciert der Begriff zu einer Art Modewort für die verschiedensten Aktivitäten im digitalen Raum.

Bei der Betrachtung dieser Aktivitäten lassen sich in den letzten Jahren vermehrt einige Phänomene feststellen. Hier kann beispielsweise der Austausch von Profilbildern im sozialen Netzwerk Facebook nach dem Terroranschlag im November 2015 in Paris genannt werden. Millionen Menschen weltweit änderten dabei ihren Avatar in das Bild der französischen Flagge, als Zeichen ihrer Anteilnahme (Serrao, 2015). In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob diese Aktion eine Form von Partizipation darstellt.

Der Partizipationsbegriff ist ein Begriff, der viel Spielraum für Interpretationen zulässt. Die in der Literatur vorhandenen wissenschaftlichen Definitionen sind heterogen und beinhalten häufig unterschiedliche subjektive Auffassungen zur Gestaltung von gesellschaftlicher Teilhabe. In diesem Zusammenhang wird betont: „In communication and media studies, but also in many other fields and disciplines, participation is still used to mean everything and nothing“ (Carpentier  2011, p. 165).

Im Hinblick auf die inflationäre Verwendung und das existierende Bündel von Verständnissen des Partizipationsbegriffes stellt sich die Frage, was konventionelle Partizipation von der Partizipation im Social Web unterscheidet. Dieser Frage wird im vorliegenden Beitrag nachgegangen.

Die Partizipationsstudie Online Mitmachen und Entscheiden, welche im Jahr 2014 vom Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft durchgeführt wurde, betont in diesem Zusammenhang, dass das Social Web ein prägender Bestandteil gesellschaftlicher Beteiligung geworden ist (Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft 2014, p. 3). Diese Beteiligung von Nutzern auf diversen Online-Plattformen im Social Web hat sich zu einem weit verbreiteten Phänomen entwickelt. Die Ergebnisse der repräsentativen Studie zeigen zudem eine unerwartet große Beteiligung und Bekanntheit von Online-Partizipation (Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft 2014, p. 38), was zum einen die häufig zitierte Metapher des Partizipationsbegriffes erklärt, jedoch die unzureichende wissenschaftliche Fundierung erneut in den Fokus rückt. Da der Begriff, wie bereits erwähnt, viele unterschiedliche Blickwinkel aufweist, erfolgt zunächst eine Darstellung verschiedener theoretischer Perspektiven der Partizipation. Darüber hinaus werden die Begrifflichkeiten der neuen Medien und deren Charakteristika im Hinblick der medialen Partizipation erläutert. In einem weiteren Schritt werden die vielfältigen Beteiligungsmöglichkeiten und Handlungsformen des Social Webs und optimistische sowie kritische Auffassungen verschiedener Wissenschaftler bezüglich des neuen Partizipationsverständnisses im Social Web aufgeführt. Bevor das Ergebnis des Vergleiches der konventionellen Partizipation mit der Partizipation im Social Web dargelegt wird, werden Sonderformen der Beteiligung genannt, die erst durch die veränderten Gegebenheiten des Social Webs entstehen konnten.

Die Bestimmung des Partizipationsbegriffes

„Menschen, deren Leben durch eine Entscheidung berührt und verändert wird, müssen an dem Prozess, der zu dieser Entscheidung führt, beteiligt sein und gehört werden.“ (Naisbitt, zitiert nach Behringer 2007, p. 1). Dieses Zitat des amerikanischen Zukunftsforschers John Naisbitt beschreibt, was im allgemeinen Sprachgebrauch unter Partizipation verstanden wird. Auf den ersten Blick erscheint der Partizipationsbegriff als allseits bekannt und leicht verständlich. In öffentlichen Diskursen ist der Begriff sehr präsent, jedoch bleibt er häufig abstrakt und findet seine Verwendung in vielen verschiedenen Kontexten. Stan Burkey beschreibt den Begriff der Partizipation aus diesem Grund als ein inflationär verwendetes Modewort (Burkey 1993, p. 56). Seinen Ursprung findet er im Lateinischen und setzt sich aus den beiden Wörtern pars und capere zusammen, welche mit Teil und nehmen, fassen übersetzt werden können. Dementsprechend bedeutet das Wort Partizipation so viel wie Teilnahme oder Beteiligung (Biedermann 2006, p. 93). Über die reine Übersetzung des Begriffes hinaus existieren jedoch eine Vielzahl an verwendeten Synonymen und Verständnissen des Begriffes, wie beispielsweise Anhörung, Mitbestimmung, Mitwirkung, Mitverwaltung, Mitgestaltung, Mitverantwortung, Mitsprache, Selbstbestimmung, Empathie, Anteilnahme um nur einige zu nennen (Biedermann 2006, p. 92). Der Begriff der Partizipation kann außerdem mit Hilfe verschiedener Perspektiven betrachtet werden. Nach Paulus von Tarsus, Missionar des frühen Christentums beispielsweise, wird Partizipation beziehungsweise Teilhabe in engem Zusammenhang mit dem Gemeinschaftsbegriff, wie der Teilhabe an einer Glaubensgemeinschaft, verwendet (Möres 2005, p. 167). Die politische Partizipation hingegen basiert auf der Beteiligung und intentionalen Beeinflussung der Bürger bei politischen Entscheidungsprozessen und legitimiert und festigt die demokratische Grundhaltung. Partizipation im politischen Sinne begünstigt somit eine gleichmäßige Machtverteilung (Kaase 2000, pp. 466). Die soziale Partizipation wiederum umfasst die Selbstbestimmung und Miteinbeziehung Einzelner in gesellschaftlichen Kontexten und befriedigt eine Art soziales Grundbedürfnis des Einzelnen (Schulz 2011, p. 157). Bei der Partizipation im wirtschaftlichen Zusammenhang steht vor allem der Motivationsanreiz der Mitarbeiter sowie die damit verbundene Leistungssteigerung im Vordergrund. Ebenso von Bedeutung ist die Gruppenverwirklichung von Mitarbeitern als Team (Biedermann 2006, p. 85). Die Partizipation innerhalb der pädagogischen Perspektive fokussiert in ähnlicher Weise eine Verwirklichung der Heranwachsenden innerhalb der Gesellschaft. Jugendliche sollen durch Entscheidungsfindung und Verantwortungsübernahme auf späteres gemeinsames Handeln innerhalb der Gesellschaft vorbereitet werden (Baacke 2007, p. 96).

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der definitorische Kern der Partizipation rein etymologisch die Teilhabe oder Beteiligung an Entscheidungsprozessen bezeichnet. Obwohl dadurch klar zu sein scheint, was mit dem Begriff der Partizipation gemeint ist, müssen, aufgrund der nichtvorhandenen allgemeingültigen Definition in der Literatur, unterschiedliche Partizipationsverständnisse unterschieden werden. Einigkeit besteht jedoch darin, dass der wissenschaftliche Begriff der Partizipation auf den historischen Entwicklungen politischer Beteiligung beruht und sehr häufig in Verbindung zum demokratischen Gesellschaftsmodell genutzt wird.

Mit Hilfe des erlangten Verständnisses durch die verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven können sechs elementare Kriterien der Partizipation festgehalten werden, welche in den verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven und Definitionen des Partizipationsbegriffes deutlich hervorgehoben und betont werden. Diese sind: Gemeinschaftliche Entscheidungsfindung, Öffentlicher Raum, Diskursivität, Machtverteilung, Freiwilligkeit sowie Verantwortungsübernahme. Diese Kriterien wiederum finden sich in einer umfassenden und verallgemeinernden Definition wieder. Der Begriff der Partizipation im konventionellen Sinne ist damit zu verstehen als

„freiwillige Teilnahme an öffentlichen – im Sinne von allen Mitgliedern offen stehenden, gemeinschaftlichen Entscheidungsprozessen, wobei der Prozess der Entscheidungsfindung auf Diskursivität gründet und gekennzeichnet ist durch klar definierte – möglichst ausgeglichene – Machtverteilung auf alle und Verantwortungsübernahme von allen Beteiligten“ (Biedermann 2006, p. 116).

Die Verantwortungsgesellschaft nach Amitai Etzioni

Die Bedeutung von Partizipation für die Gesellschaft kann mit Hilfe des Modells von Amitai Etzioni aufgezeigt werden. Dieses Modell beantwortet die Frage, unter welchen Bedingungen gesellschaftsübergreifende Diskurse entstehen können und damit den Weg hin zu einer sogenannten Verantwortungsgesellschaft ebnen. In gegenwärtigen gesellschaftlichen Diskussionen spielt diese Thematik eine immer wichtiger werdende Rolle. Aufgrund der aktuellen Geschehnisse, wie beispielsweise der Flüchtlingskrise, werden in Politik, Wirtschaft oder auch beim Umbau der Sozialsysteme zunehmend Verantwortungsforderungen an gesellschaftliche Akteure gestellt. Um als gesellschaftlicher Akteur jedoch Verantwortung übernehmen zu können, muss dieser auf kulturell geprägte Werte und Handlungsmuster zurückgreifen können, welche ihm bei seinem Handeln zur Orientierung dienen (Etzioni 1999, p. 113). Diese Werte und Handlungsmuster bilden die zentralen Aspekte des Modells. Das Gesellschaftsbild von Etzioni besteht aus zwei grundlegenden Elementen, der sozialen Ordnung und der individuellen Autonomie. Beide zusammen bilden im Gleichgewichtsverhältnis die Grundlage für eine gute Gesellschaft (Etzioni 1999, p. 27). Die Frage danach, wie Gesellschaften gemeinsam geteilte Grundwerte entwickeln und ausbauen sollen, beantwortet Amitai Etzioni mit dem Begriff des Megalogues. Beim Aufeinandertreffen verschiedener Gesellschaften kommt es darauf an gesellschaftsübergreifende moralische Dialoge zu entwickeln die einen Diskurs über die Verbindlichkeit von Normen und Werten darstellen (Etzioni 1999, pp. 150). Diese Megalogue entstehen, übertragen auf den Partizipationsgedanken, aus der Teilnahme an öffentlichen und gemeinschaftlichen Entscheidungsprozessen, die unter Gleichheit im Diskurs bzw. Megalogue geführt werden und gemeinsam geteilte Grundwerte hervorbringen, die wiederum aufgrund der freiwilligen und moralisch vertretbaren Aushandlung auch zur Verantwortungsübernahme führen. Somit sind die sechs festgelegten Kriterien der Partizipation ebenso notwendige Bestandteile des Megalogues und damit einer guten Gesellschaft. Etzioni bietet mit seiner Theorie der Verantwortungsgesellschaft einen Vorschlag, wie eine gute Gesellschaft mit Hilfe des Kerngedanken der Partizipation entstehen kann.

Interaktion im Social Web

Aufgrund der zunehmenden Verbreitung des Internets und dessen interaktiver Anwendungsmöglichkeiten, haben sich in den letzten Jahren neue Formen der Beteiligung für Nutzer entwickelt. Diese Entwicklung basiert auf den neuen technologischen und medialen Rahmenbedingungen, die seit der Etablierung des sogenannten Web 2.0 einen bedeutenden Unterschied zu den klassischen Medien aufweist, da die Rolle von Sender und Empfänger nicht mehr traditionell verankert ist. Diese Rollenverschiebung wird in der wissenschaftlichen Literatur mit dem Begriff der Interaktivität erklärt (Leggewie, Bieber 2004, p. 7). Interaktivität beschreibt nicht nur ein spezielles technisches Merkmal der neuen Medien und die Wechselbeziehung zwischen zwei oder mehreren Größen, sondern ebenso „die Chance eines einfachen und kontinuierlichen Rollentausches zwischen den Sendern und Empfängern von Informationen.“ (Leggewie, Bieber 2004, p. 7). Diese veränderte Nutzung innerhalb der neuen Medien, den damit verbundenen Eingriff in Kommunikationsprozesse und die Handlungserweiterung der Nutzer führt zu neuen Formen der Beteiligung und suggeriert mehr Demokratie sowie erweiterte Möglichkeiten der Partizipation innerhalb der neuen Medien (Egloff 2002, p. 10). Ein Rückblick in die Geschichte der Medien verdeutlicht, dass die Möglichkeit zur Interaktion und Beteiligung bereits im Zusammenhang mit anderen Medien diskutiert wurde. Wie die Radiotheorie von Bertolt Brecht beispielsweise zeigt, in der er eine Demokratisierung des Radios fordert indem passive Rezipienten zu aktiven Sendern werden (Brecht 2000, p. 260), bestand die Idee und Forderung nach mehr Beteiligungsmöglichkeiten an medialen Inhalten schon lange vor der Etablierung des Social Webs und beschreibt damit kein ausschließliches Phänomen der heutigen Zeit.

Begrifflichkeiten der Neuen Medien

Die digitalen Anwendungen und Angebote im Internet haben sich in den letzten Jahren fundamental verändert. Der Begriff Web 2.0 dient seit dem Jahre 2004 vorrangig als Sammelbegriff für Veränderungen und Erneuerungen im Kontext des Internets. Das Web 2.0 umfasst eine Menge verschiedener Entwicklungen, beschreibt dabei aber keine völlig neue Art von Technologie (Friedmann 2007, p. 33). Vielmehr handelt es sich um Innovationen auf sozio-technischer Basis, die eine bisher nicht dagewesene Form der Nutzung des Internets beschreiben und neue Möglichkeiten für Nutzer in den Bereichen der Kommunikation, Partizipation, Interaktion und Kollaboration bieten (Ebersbach, Glaser, Heigl 2011, p. 27). Aus dem klassischen one-to-many Kommunikationsmodell wurde ein Modell, welches den Dialog unter den Nutzern begünstigt und die traditionelle Rollenverteilung von Sender und Empfänger aufweichen ließ. Damit entstand das Konzept der wechselseitigen Kommunikation, bei dem die Nutzer Einflussmöglichkeiten auf mediale Inhalte erhielten (Stanoevska-Slabeva 2008, pp. 15). Daher wird das Web 2.0 häufig auch als Mitmach-Netz bezeichnet (Reichert 2008, p. 8). Die Medienwissenschaftlerin Anja Ebersbach beschreibt das Social Web als einen Teilbereich des Webs 2.0. Nach Ebersbach ist der Begriff Web 2.0 somit weiter gefasst und beinhaltet auch ökonomische, technische und rechtliche Aspekte (Ebersbach, Glaser, Heigl 2011, p. 27). Beim Social Web hingegen steht das aufeinander bezogene Handeln zwischen den einzelnen Nutzern im Vordergrund. Es wird „als Gesamtheit aller offenen, interaktiven und partizipativen Plattformen im Internet“ (Zerfaß, Sandhu 2008, p. 285), die „vielfältige Formen der Kommunikation und Interaktion in wirtschaftlichen, politischen, gesellschaftlichen und privaten Zusammenhängen“ (Zerfaß, Sandhu 2008, p. 285) betrachtet. Darüber hinaus bietet das Social Web Kanäle für die Mobilisierung, Information, Kommunikation und das Engagement der Nutzer. Die Nutzer sind dabei weder an Raum, Zeit noch finanzielle Mittel gebunden oder von diesen abhängig. Stattdessen ermöglicht es eine Vernetzung von Menschen, bietet die Möglichkeit zur Anonymität sowie eine hohe Reichweite für die Kommunikation von Belangen jeglicher Art.

Digitale Partizipation als Phänomen der Mediatisierung

Der Partizipationsbegriff findet immer häufiger im Kontext der verschiedenen Interaktionsmöglichkeiten und Anwendungen des Social Web Verwendung, wird jedoch häufig in unspezifischer und beinahe inflationärer Art und Weise genutzt (Einspänner-Pflock, Dang-Anh, Thimm 2014, p. 7). Die englische Sozialpsychologin Sonia Livingstone betont, dass das zunehmende Forschungsinteresse bezüglich der fortschreitenden Mediatisierung der Lebensbereiche darin besteht, dass sich die prinzipiellen Partizipationsmöglichkeiten wandeln (Livingstone 2013, p. 23):

„[T]oday’s media environment is reshaping the opportunity strutctures by which people (as audiences and as mediated publics) can participate in an increasingly mediatized society“ (Livingstone 2013, p. 23).

Livingstone bleibt in ihrer Aussage zur digitalen Partizipation als neues Phänomen der Mediatisierung noch sehr vorsichtig, im Gegensatz zu einigen anderen Ansätzen in der Medien- und Kommunikationsforschung, die in der fortschreitenden Digitalisierung und besonders der Etablierung des Social Webs ein besonderes partizipatives Potential und völlig neue Möglichkeiten der Beteiligung vermuten (Hepp, Pfadenhauer 2014, p. 237).

Der Kommunikationswissenschaftler Henry Jenkins, um einen der prominentesten Vertreter zu nennen, geht in seinem Verständnis sogar noch einen Schritt weiter und spricht nicht ausschließlich von Potenzialen der Medientechnologie, sondern postuliert eine grundlegend neue Medienkultur, die sogenannte Participatory Culture. Diese Partizipationskultur basiert auf gesellschaftlichem Engagement und Kreativität der Nutzer. Durch die Entwicklungen im Social Web entstehen kollektive Beziehungen und kollaborative Praktiken, die neue Formen der Gemeinschaft und einen Wandel der Kultur hin zu mehr Partizipation entstehen lassen (Jenkins 2006, p. 1). Eine dagegen eher kritische Ansicht hinsichtlich dieser neuen Medienkultur vertreten die Medienwissenschaftler Nico Carpentier und Mirko Tobias Schäfer und beziehen sich in ihrer Kritik vor allem auf die zunehmend verallgemeinernden Definitionen des Partizipationsbegriffes und behaupten damit würde der Begriff und seine ursprüngliche Bedeutung missbraucht werden. Laut Carpentier bezieht sich Partizipation ausschließlich auf die Mitentscheidung bzw. Mitbestimmung im Partizipationsprozess, wohingegen die gemeinschaftliche Produktion von Medieninhalten, wie sie Jenkins erwähnt, seiner Meinung nach keine Form der Partizipation darstellt. Schäfer unterscheidet in diesem Zusammenhang expliziter von impliziter Partizipation und behauptet, dass der Erfolg des Social Webs und den Anwendungen der sozialen Medien auf impliziter Partizipation basiert, die sich in einem unterbewussten Beteiligungsprozess entfaltet und bereits durch die bloße Nutzung medialer Anwendungen entstehen kann. Darüber hinaus kann die implizite Partizipation von äußeren Kräften gelenkt und von entsprechendem Softwaredesign seitens der Anbieterplattform manipuliert werden (Schäfer 2011, p. 44). Diese Art der Partizipation wäre somit weder zielgerichtet noch würde sie die eingangs festgelegten Kriterien der konventionellen Partizipation erfüllen, wie beispielsweise die gemeinschaftliche Entscheidungsfindung, die Freiwilligkeit oder aber die Verantwortungsübernahme. Die explizite Partizipation hingegen entfaltet sich laut Schäfer in einem aktiven Kollaborationswillen sowie einem bewusst und intrinsisch motivierten Engagement der Nutzer in kreativen Prozessen (Schäfer 2011, p. 44).

Beteiligungsmöglichkeiten im Social Web

Grundsätzlich können Beteiligungsangebote im Social Web nach Anbieter- und Nutzerperspektive unterteilt werden. Die Anbieterperspektive beschreibt hierbei die Beteiligungsangebote auf den unterschiedlichen Plattformen im Social Web. Bei der Nutzerperspektive hingegen stehen die verschiedenen Handlungsformen zur Beteiligung im Mittelpunkt. Im Folgenden werden verschiedene Möglichkeiten der Kategorisierung der Beteiligungsmöglichkeiten nach den beiden genannten Perspektiven erläutert.

Die Unterteilung der Social Web Angebote aus Anbieterperspektive erfolgt in Community-Projekte (z.B. Wikipedia), Blogs (Mikroblogs, wie z.B. Twitter), Content Communities (z.B. YouTube und andere Podcasts) und soziale Netzwerke (z.B. Facebook). Die genannten sozialen Medien zeichnen sich durch Benutzerfreundlichkeit, einen einfachen Zugang, eine hohe globale Reichweite, Aktualität und Viralität aus. Neben diesen klassischen Social Media Anwendungen werden darüber hinaus auch jene digitalen Beteiligungsangebote genannt, die nicht im engeren Sinne den sozialen Medien zuzuordnen, jedoch in besonderem Maße auf eine Beteiligung der Nutzer ausgerichtet sind. Die Rede ist von sogenannten Partizipationsportalen, die in vielfältigen Kontexten und Themenbezügen zur Beteiligung in Entscheidungsprozessen, Kampagnen oder Petitionen aufrufen (Wagner, Gerlicher, Brüggen 2011, p. 5). Für digitale Partizipation auf politischer und subpolitischer Ebene existieren beispielsweise die Plattformen der Nichtregierungsorganisationen MoveOn.org, Change.org und Avaaz.org. Diese dienen nach eigener Aussage dazu, Transparenz herzustellen oder auf wichtige Themen aufmerksam zu machen um politische Akteure zu beeinflussen. So sollen beispielsweise Protest-Emails gebündelt an Regierungsvertreter und Entscheidungsträger gesendet werden. Darüber hinaus haben Nutzer die Möglichkeit an Online-Petitionen teilzunehmen oder eigene zu erstellen (Wagner, Gerlicher, Brüggen 2011, p. 5).

Eine weitere Unterteilung von Partizipation im Social Web erfolgt in Anlehnung an den Kommunikationswissenschaftler Nico Carpentier in Partizipation in Medien und Partizipation durch Medien. Partizipation in Medien betrachtet die Medien als Organisation und umfasst Möglichkeiten der Nutzerbeteiligung an der Produktion der Medieninhalte sowie den Entscheidungen der Organisation, die den Prozess der Produktion betreffen (Carpentier 2011, p. 67). Vor dem Hintergrund der Nutzerbeteiligung in Medien lassen sich Handlungstypen im Social Web laut der Medienwissenschaftlerin Jessica Einspänner-Pflock weiter eingrenzen. Hierzu zählen das Empfehlen, Bewerten oder Kommentieren von Beiträgen, wie beispielsweise das Verfassen von Tweets bei Twitter, das Teilen eines Links oder der Klick auf den Gefällt mir-Button bei Facebook, die Nutzung eines Bewertungssystems wie beispielsweise bei Amazon oder aber die Nutzung der Kommentarfunktion auf einer Nachrichtenwebsite. Diese Handlungen haben vor allem eine Distributionsfunktion. Darüber hinaus können eigene Beiträge publiziert werden, die über die reine Kommentarfunktion hinausreichen und eigene Artikel, Blogposts oder Beiträge zu diversen Themen darstellen (Einspänner-Pflock, Dang-Anh, Thimm 2014, p. 26). Die Partizipation durch Medien hingegen meint laut Carpentier die Beteiligungs- bzw. Einflussmöglichkeit im Hinblick auf gesellschaftliche oder politische Belange. Diese Form der medialen Partizipation kann lediglich die Möglichkeit zur Mitwirkung oder Mitgestaltung von gesellschaftlichen oder politischen Themen und Diskussionen umfassen, jedoch auch bis hin zur Mitbestimmung in Organisationen, Initiativen oder politischen Fragen führen. Somit stellt das Medium eine Art Werkzeug zur Nutzerbeteiligung dar, um auf Entscheidungsprozesse außerhalb des Social Webs Einfluss zu nehmen (Carpentier 2011, p. 67).

Einen weiteren Ansatz zur Strukturierung der Beteiligungsformen im Social Web aus Nutzerperspektive bietet das Konzept von Wagner, Gerlicher und Brüggen. Sie unterscheiden drei Kategorien: sich positionieren, sich einbringen und andere aktivieren. Ersteres meint eine Stellung zu gesellschaftlichen Themen zu beziehen oder ein Statement abzugeben, in dem der Nutzer sich über Selbstdarstellung, beispielsweise einen Post bei Facebook, positioniert. Das Sich-Einbringen bezeichnet die Initiierung von oder die Beteiligung an gesellschaftlichen Diskursen. Ebenso ist damit die aktive Erstellung eigener Beiträge gemeint, die innerhalb einer Community kommentiert und diskutiert werden können. Das Aktivieren von anderen Personen umfasst hingegen das Motivieren Personen zu bestimmten Aktivitäten. Darunter zählen zum Beispiel die Eröffnung und Moderation eigener Gruppen oder Diskurse in Communities oder verschiedene Formen der Abstimmung, wie beispielsweise die Erstellung von Terminumfragen oder Online-Umfragen (Wagner, Gerlicher, Brüggen 2011, p. 12)

In einem weiteren Schritt gliedern Wagner et al. die Möglichkeiten der Beteiligung. Es wird hierbei zwischen Handlungsmöglichkeiten auf einer Plattform, plattformübergreifenden Handlungsmöglichkeiten und jene die eine Verbindung zwischen Online- und Offline-Handeln ermöglichen, unterschieden. Handlungsmöglichkeiten auf einer Plattform können zum Beispiel das Kommentieren oder Bewerten von Beiträgen, die Teilnahme an Online-Petitionen sowie die eigene Produktion von Medieninhalten sein. Ebenso können Beiträge anderer Nutzer geteilt oder veröffentlicht werden sowie gezeigt werden, dass eine Person an einer zusammenhängenden Offline-Aktion teilnimmt. Plattformübergreifende Handlungsmöglichkeiten hingegen umfassen Gestaltungs- und Beteiligungsmöglichkeiten, die über die originäre Online-Plattform hinweg auf andere Plattformen verweisen. So können Beiträge in sozialen Netzwerken wie zum Beispiel Facebook, auf spezielle Kampagnen oder Aktionen verweisen oder mit konkreten Kontaktmöglichkeiten über Online-Dienste zu den jeweiligen Entscheidungsträgern versehen sein. Bei der Verbindung von Handlungsmöglichkeiten vom Online- zum Offline-Bereich geht es vor allem um die Teilnahme an Offline-Aktionen, welche im Online-Bereich vorbereitet und beworben wurden. Darüber hinaus zählt die Einbindung von Symbolen hinzu, die Online beispielsweise im Rahmen einer Kampagne entstanden sind, jedoch auch Offline in Aktionen eingesetzt werden. Ebenso sind Spendenaktionen für Offline-Aktionen zu erwähnen,  zu denen Online bereits aufgerufen wurde. Als letztes Beispiel für die Verbindung von Online- und Offline Aktionen können sogenannte Live-Handlungsmöglichkeiten genannt werden, die beispielsweise eine Video-Liveübertragung einer Demonstration zur Verfügung stellen (Wagner, Gerlicher, Brüggen 2011, p. 12).

Neuartige Formen der Beteiligung im Social Web

Zu vielen klassischen Partizipationsmöglichkeiten, wie beispielsweise Unterschriftenaktionen oder Demonstrationen, entstand in den letzten Jahren das digitale Pendant im Social Web. Darüber hinaus bietet das Internet jedoch eine Erweiterung des Partizipationsrepertoires, also Beteiligungsmöglichkeiten, die lediglich im Social Web ihre Umsetzung finden sowie spezielle Aktivitäten die häufig unter dem Begriff des Online-Aktivismus aufgeführt sind (März 2010, p. 222). Besonderheiten der Beteiligung im Social Web stellen vor allem die schnelle und effiziente Vernetzung von Menschen auf globaler Ebene dar. Mit Hilfe des Internets können Informationen in kürzester Zeit, ortsunabhängig und kostenneutral verbreitet werden (März 2010, p. 223).

Der Begriff Clicktivism, zu deutsch Klicktivismus, bezeichnet ein Phänomen, das speziell im Social Web entstanden ist und eine neue Form der politischen sowie subpolitischen Beteiligung meint. Diese Art des Aktivismus findet in digitaler Form statt und kann sich beispielsweise durch die Teilnahme an Online-Petitionen, den Start einer Kampagne oder den Aufruf zu digitalen Protesten äußern. Bereits genannte Partizipationsportale von Organisationen wie beispielsweise Change.org und Avaaz.org finden so starken Zulauf. Für die Begriffe Clicktivism sowie Slacktivism, welcher in ähnlicher Weise verwendet wird, existieren keine wissenschaftlichen Definitionen. Henry Jenkins äußert im Zusammenhang dieser Begriffe, dass das digitale Zeitalter eine neue Online-Ära des Aktivismus erschaffen hat, die den Nutzern und besonders der jüngeren Generation vielfältige Möglichkeiten zur Beteiligung und Partizipation in politischen Diskursen bietet. Besonders im Hinblick auf die sozialen Medien wird dies offensichtlich, da Individuen ihre eigenen politischen, religiösen oder sozialen Belange vorantreiben können, um politische Meinungen zu beeinflussen. Der Klicktivismus wird jedoch aus vielen Richtungen zum Teil stark kritisiert. Genannt wird hierbei das oberflächliche Engagement im Online-Bereich, welches im Offline-Bereich häufig nicht in gleicher Intensität vorhanden ist (Kersting 2014, p. 77). Der wesentliche Kritikpunkt dieses Aktionismus ist, dass beispielsweise Millionen von Nutzern ein Video abspielen oder an einer Online-Petition teilnehmen, dies jedoch nicht zwangsläufig, direkte Auswirkung auf einen Zustand in der analogen Welt hat. Der Erfolg dieser Online-Kampagnen wird zudem häufig anhand von Klickzahlen gemessen, die jedoch lediglich quantitative Werte darstellen und sich an Marketingrichtlinien orientieren (Lachenmeyer et al.). Der Politikwissenschaftler José Marichal bezeichnet diese Art des Engagements als Mikroaktivität, bei der nicht die Beteiligung an gesellschaftlichen oder politischen Themensetzungen, sondern die Konstruktion einer „aktivistischen Identität“ im Fokus steht (Kersting 2014, p. 77).

Auch der Begriff des Slacktivismus wird, wie bereits erwähnt, in ähnlichem Zusammenhang verwendet und „[…] setzt sich zusammen aus den englischen Wörtern slacker für Faulenzer und activism für Aktivismus.“ (Eisfeld-Reschke, Geiger 2012). Kris Kristofferson, Katherine White und John Peloza haben sich mit den unterschiedlichen Beteiligungsformen in der digitalen Gesellschaft in ihrem Journal-of-Consumer-Research-Aufsatz The Nature of Slacktivism auseinander gesetzt und äußern sich dazu wie folgt:

„We define slacktivism as a willingness to perform a relatively costless, token display of support for a social cause, with an accompanying lack of willingness to devote significant effort to enact meaningful change.“  (Kristofferson, White, Peloza 2014)

Der Begriff des Slacktivismus wird, wie im Zitat deutlich, häufig als negative Entwicklung betrachtet, da die Aktivität als niedrigschwellig bewertet wird und ihr Engagement meist nur symbolisch ist. Slacktivismus umfasst wie auch der Klicktivismus einfache Formen des Aktivismus oder Protestes, die häufig nur wenig Einsatz fordern, damit „[…] bedarf es zunächst keiner großen körperlichen oder geistigen Anstrengung.“ (Eisfeld-Reschke, Geiger 2012). Der Nutzer tätigt beim Slacktivismus eine Handlung aus einem gesellschaftlichen Anliegen heraus, wobei sich diese Tätigkeit im Unterzeichnen einer Online-Petition, Spenden einer minimalen Summe oder aber im Austausch des persönlichen Profilbildes innerhalb eines sozialen Netzwerkes ausdrücken kann. Kritiker befürchten jedoch, dass Slacktivismus als ausreichender Prostest bei den Beteiligten empfunden wird und diese Personen darüber hinaus auf alle weiteren und aufwendigeren Formen der Beteiligung verzichten (Voss 2014, p. 156). Neben den kritischen Meinungen zum Slacktivismus existieren jedoch auch positive Ansätze, die unter dem Begriff eine Art der Beteiligung verstehen, welche sich vor allem symbolisch äußert und eine Neuerung darstellt, da sie Menschen betrifft, die sich sonst womöglich gar nicht beteiligen würden. Somit verbreiten sich Themen weiter und erzielen eine höhere Reichweite, aus denen dann wiederum weitere, wirkungsvolle Aktivitäten und Beteiligungsformen resultieren können. Aus diesem Blickwinkel betrachtet wäre Slacktivismus somit eine neue Form der interaktiven Öffentlichkeitsarbeit für wohltätige, gesellschaftliche, politische, religiöse oder sonstige Anliegen (Passig, Lobo 2012).

Ergebnisse

In einem Vergleich von konventioneller Partizipation mit der Partizipation im Social Web, wobei die sechs festgelegten Kriterien der konventionellen Partizipation sowie die Charakteristika der Partizipation im Social Web als Grundlage dienten, konnte festgestellt werden, dass die wesentlichen Unterschiede beim Kriterium der Machtverteilung sowie der Verantwortungsübernahme liegen. Diese beiden Kriterien konnten, im Gegensatz zu den Restlichen, bezüglich der Partizipation im Social Web nicht bestätigt werden.

Grund hierfür sind im Falle der Machtverteilung die Plattformanbieter. Diese geben zwar einen Teil ihrer Macht ab, in dem Nutzer die Möglichkeit zur eigenen Produktion von Medieninhalten gewährt wird, jedoch sind diese Anbieter in den meisten Fällen wirtschaftsorientierte Unternehmen. Der Nutzer wird in diesen Fällen häufig als Produkt deklariert, der Medieninhalte unentgeltlich beisteuert und Daten liefert die wiederum zu Marketingzwecken eingesetzt werden können (Jenkins, Ford, Green 2013, p. 298). Diesen Aspekt greift auch Schäfer in seinem Modell der impliziten Partizipation auf, welches bereits geschildert wurde.

Im Falle des Kriteriums der Verantwortungsübernahme wird im Zusammenhang mit dem beschrieben Phänomen des Clicktivism häufig die Frage gestellt, ob und wie informiert und reflektiert Clicktivisten agieren, da aus dieser Art der Beteiligung keine Handlungen und damit Konsequenzen resultieren (Eisfeld-Reschke, Geiger 2012). Darüber hinaus bietet das Social Web wie ebenfalls erwähnt die Möglichkeit als Nutzer anonym zu agieren, somit ist eine Übernahme der Konsequenzen des Handelns nicht immer gegeben.

Auffällig ist, dass besonders die beiden Kriterien der Machtverteilung und Verantwortungsübernahme nicht im virtuellen sondern eher im realen Raum zu verorten sind, da sie nicht einfach technisch umgesetzt werden können. Die Verteilung von Macht sowie die Übernahme von Verantwortung stellen bedeutende Bestandteile unserer Gesellschaft dar. Die Machtverteilung fußt dabei auf dem Ideal der demokratischen Gesellschaft und Etzioni beschrieb, dass eine Verantwortungsgesellschaft auf kulturell geprägten Werten und Handlungsmustern basiert, also dem Kern einer jeden Gesellschaft. Aus dieser Erkenntnis können nachfolgend zwei Schlüsse gezogen werden. Zum einen lässt sich im Rahmen der erlangten Ergebnisse erkennen, dass der Begriff der Partizipation im Social Web häufig in unspezifischem Zusammenhang verwendet wird und rein nach den sechs Kriterien nicht mit konventioneller Partizipation verglichen werden kann. Jedoch bedeutet dies nicht, dass Partizipation im Social Web per se nicht erfolgen kann. Es wurden einige Beweise geliefert, wie beispielsweise die Auflösung der traditionellen Rollenverteilung von Sender und Empfänger, die daraufhin deuten, dass durch das Social Web eine neue Art der Beteiligung für gesellschaftliche Akteure entstanden ist. Jedoch bestätigen einige Studien, dass die euphorische Hoffnung, das Social Web würde zu mehr Demokratie und noch nie dagewesener Partizipation führen, zumindest bisher nicht erfüllt wurde. In diesem Zusammenhang besagt die Nielsen-Regel, auch bekannt als Ein-Prozent-Regel, „In most online communities, 90% of users are lurkers who never contribute, 9% of users contribute a little, and 1% of users account for almost all the action.“ (Nielsen 2006). Diese Regel sowie einige repräsentative empirische Ergebnisse bestätigen, dass die digitale Beteiligung im Social Web auf einer Minderheit basiert, die oftmals eine ähnliche Nutzergruppe wie in klassischen Beteiligungsformaten darstellt (Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft 2014, p. 11). Der zweite Schluss, der sich aus dem Vergleich zwischen konventioneller Partizipation und der Partizipation im Social Web ziehen lässt ist, dass Partizipation im Social Web möglicherweise unter anderen Kriterien betrachtet werden müsste, denn sie unterliegt den besonderen Strukturen und Gegebenheiten des Social Webs. Aus diesem Grund sollte dem Social Web keineswegs das Potential zur Partizipation aberkannt, jedoch ein neuer Begriff einverleibt werden. Der Begriff der Symbolpartizipation erscheint hierfür besonders geeignet zu sein. Dieser Begriff entstand im Rahmen einer repräsentativen Studie des Politikwissenschaftlers Gary S. Schaal, der die politische Beteiligung im Online- und Offlinebereich untersucht. Die symbolische Partizipation beschreibt in diesem Kontext weniger die Intention einer konkreten Einflussnahme auf Entscheidungsprozesse wie im klassischen Sinne der Partizipation, sondern vielmehr ein Zeichen für die eigene Meinung zu setzen. Diese Art der Partizipation ist spezifisch und kurzfristig aktivierbar und zielt nicht direkt auf umfassende Veränderungen ab, sondern auf eine Beteiligung und eine Art des Sich-Einbringens im direkten Lebensumfeld des Nutzers (Schaal 2013). Jedoch sollte festgehalten werden, dass diese Art der Partizipation nicht negativ betrachtet werden sollte. Wenn Menschen sich mit bestimmten Sachverhalten oder Problematiken auseinandersetzen dann können sie ein Bewusstsein entwickeln das wiederum ihr direktes Umfeld beeinflussen und sich unter verschiedenen Gegebenheiten und Umständen in Beteiligung äußern kann. Symbolische Partizipation stellt somit eine Vorstufe der konventionellen Partizipation dar.

Literaturverzeichnis

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