Isabella Capodieci: Markenbedeutungen im Zeitalter der Individualisierung

Es scheint, als würde die Gesellschaft stetig egoistischer werden. Konsumenten erwarten zunehmend personalisierte Produkte, die durch und durch an ihre speziellen Bedürfnisse angepasst sind. Customization liegt im Trend. Die Einteilung in übergreifende Zielgruppen scheint kaum mehr möglich. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, welche Herausforderungen die Individualisierung in der Gesellschaft an Markenidentitäten und die Vermittlung sozialer Werte einer Marke stellt. Kann eine an gesamte Zielgruppen ausgerichtete Kommunikation weiterhin sinnvoll ausgespielt werden? Wo entstehen Markenbedeutungen heutzutage? Zur Beantwortung beleuchtet dieser Beitrag, welche Rolle soziale Werte in der Gesellschaft spielen und aus welchen Gründen Konsumenten überhaupt Dinge kaufen. Außerdem wird definiert, was unter Individualisierung genau zu verstehen ist und wie sie sich in der heutigen Gesellschaft äußert. Um schließlich zu begreifen, welche Veränderungen sich bezüglich Markenkommunikation auftun, werden zukunftsorientierte Studien herangezogen sowie die zeitaktuellen soziologischen Ansätze von Andreas Reckwitz und Luc Boltanski und Arnaud Esquerre betrachtet. Es zeigt sich, dass die französischen Ideen der Bereicherungsökonomie heutzutage eher theoretische Grundlage für Marken sein können, als die Singularitätsgedanken von Reckwitz. Bedeutungen entstehen auch zu Individualisierungszeiten im sozialen Feld. Individualisierung bedeutet nicht die vollständige Loslösung des Individuums. Daher ist es für Marken auch dieser Tage sinnvoll, übergeordnete Identitäten zu vermitteln. Es darf jedoch nicht unterschätzt werden, welch hohes Maß an Eigenständigkeit der Einzelne innerhalb der Gruppe gewonnen hat.

Unsere Welt befindet sich in einem stetigen Wandel. Globalisierung und Digitalisierung als zwei der größten Trends unserer Zeit sorgen in Verbindung mit dem momentan vorherrschenden Wohlstand unserer Gesellschaft dafür, dass Einzelne sich zunehmend frei bewegen können – und zwar auch in Bezug auf die Produktwahl. Der Austausch mit Anderen sowie der Gebrauch von Produkten aus aller Welt sind heutzutage ein Kinderspiel. Insbesondere durch die Entwicklungen des Internets sind Individuen nicht mehr an ihre direkte soziale Umgebung gebunden, sondern können sich vielseitig orientieren.

Der Mensch und sein individueller Lebensstil sind zunehmend komplex, denn er kann viele Dinge gleichzeitig tun und zudem nicht nur einem Kollektiv zugehörig sein, sondern vielen verschiedenen. Dadurch wird die Identität eines Einzelnen insgesamt immer multidimensionaler.

Akzeptanzrahmen innerhalb der Gesellschaft erweitern sich. Mit dem Mehr an Spielraum für das einzelne Individuum geht gleichzeitig die Tatsache einher, dass Selbstverwirklichung einen immer höheren Stellenwert gewinnt. Die Gesellschaft scheint immer egoistischer zu werden. Die wachsende Anzahl von Single-Haushalten ist nur eins von vielen Indizien dafür (vgl. Statistisches Bundesamt (Destatis), 2017, S. 4). Die Individualisierung in der Gesellschaft lässt sich nicht leugnen. Im Zuge dessen erwarten Konsumenten von Unternehmen inzwischen eine personalisierte Bedürfnisbefriedigung, d.h. Produkte, die speziell auf die Wünsche des Einzelnen angepasst sind (vgl. KPMG AG, 2017, S. 2). Denn Standard-Güter existieren bereits in ausreichender Zahl. Der Markt der Konsumgüter ist gesättigt, über die Befriedigung physiologischer Bedürfnisse muss sich heutzutage niemand mehr Gedanken machen. Unternehmen befinden sich somit schon seit langer Zeit in einem starken Kommunikationswettbewerb (vgl. Aerni/Bruhn, 2012, S. 18 f.). Symbolische Güter, die eine bestimmte Bedeutung mit sich bringen, spielen eine immer größere Rolle. Es geht zunehmend nur noch um den Zusatznutzen eines Produkts, der dem Konsumenten mehr bietet und sich gewissermaßen auf ihn überträgt.

Um die Aufmerksamkeit der Konsumenten zu gewinnen, gehen viele Unternehmen zunehmend deren Wunsch nach Individualisierung der Produkte nach: Customization liegt im Trend. So können Produkte entweder bereits vor ihrer Produktion an die speziellen Wünsche des Kunden angepasst werden oder aber das fertige Produkt kann um einzigartige Elemente ergänzt bzw. verändert werden (vgl. Wirtz, 2009, S. 102 ff.). Letztlich entstehen Unikate. Coca-Cola, Ferrero oder auch Nike zählen wohl zu den bekanntesten Beispielen: Die eigene Trinkflasche, der persönliche Gruß auf der Schokolade oder der Turnschuh mit den eigenen Initialen verleihen dem Inhaber ein Gefühl von Einzigartigkeit. Studien beweisen, dass Konsumenten bereit dazu sind, für personalisierte Produkte mehr Geld auszugeben (vgl. KPMG AG, 2017, S. 2.).

Der hohe Zuspruch zur Customization schürt zunächst aus dem Wunsch nach Abgrenzung zur Masse (vgl. KPMG AG, 2017, S. 4). Es stellt sich die Frage, ob es für Unternehmen folglich noch sinnvoll ist, gesamte Zielgruppen anzusprechen. Die Gesellschaft wird schließlich immer multidimensionaler – wie können allgemeine Werte vermittelt werden, wenn jeder Konsument nach vollkommener Einzigartigkeit strebt? Es wird scheinbar immer schwieriger, Symbolbedeutungen zu vermitteln, denn es gibt keine klaren Grenzen mehr. Heutzutage trägt der Vorstandschef Turnschuhe und der Sportwagenbesitzer fährt zum Discounter.

Anhand von Umfragen ist jedoch zu erkennen, dass Konsumenten besondere Produkte auch aus einem anderen Grund kaufen: Sie streben nach der Anerkennung von dem Kollektiv, das sie umgibt (vgl. KPMG AG, 2017, S. 4). Das heißt, dass vermittelte Werte einer Marke nicht im Gegensatz zu den grundlegenden Werten einer Gruppe stehen sollten, damit der Einzelne sie interessant findet. Hier zeigt sich also ein Widerspruch: Einerseits scheint der Mensch aus vorgegebenen Strukturen auszubrechen, andererseits spielt die Gruppe, von der ein Individuum in einer Gesellschaft immer automatisch umgeben ist, offenbar trotz Individualisierungstendenzen eine Rolle.

Unternehmen müssen sich den von Statten gehenden Veränderungen in der Welt stellen, um langfristig erfolgreich am Markt bestehen zu können. Nach wie vor sind es loyale Kunden, die es zu erreichen gilt. Doch in einer Welt mit einer Vielzahl an ähnlichen Gütern, in der der Konsument dazu befähigt ist, sich ständig neu zu orientieren, gestaltet sich dies noch schwieriger als es ohnehin schon immer der Fall war. Eine genaue Untersuchung darüber, wie Menschen dieser Tage am ehesten berührt und überzeugt werden, muss stattfinden. Die Balance zwischen der auf gewisse Weise noch erwarteten übergeordneten Kommunikationsbotschaft und der immer mehr geforderten personalisierten Behandlung eines einzelnen Konsumenten muss gefunden werden. Konsumenten kaufen Dinge wegen der Bedeutung, die sie innehaben. Es ist jedoch vonnöten, herauszufinden, welche der oben beschriebenen Seiten letztlich mehr Priorität für den Einzelnen hat: Das Selbst oder die Gruppe? Wo entstehen Bedeutungen einer Marke heutzutage – auf Ebene des einzelnen Individuums, das für sich allein kämpft und Güter kauft, um sich durchweg abzugrenzen? Oder zählt vielleicht die Ebene einer Gruppe, die einheitliche Warenbedeutungen kennt und in der der Einzelne sich durch Käufe klar positionieren kann – oder aber entstehen Bedeutungen auf Ebene der Masse, d.h. klassenübergreifend, sodass in der Gesellschaft durch Konsumakte ein klares Bild eines jeden Einzelnen entsteht?

Der Mensch im sozialen Feld

Im Laufe der Zeit hat sich der Gedanke etabliert, dass der Mensch nicht rational ist. Die Psychologie beweist mit diversen Experimenten, dass Individuen sich von der Gruppe, die sie umgibt, leiten lassen. Das Prinzip der sozialen Mehrheit beschreibt, dass Menschen Konformität mit dem Kollektiv anstreben (vgl. Hurth, 2006, S. 44). Zudem zeigt sich, dass innerhalb einer Gruppe der Wunsch nach Differenz zu anderen Gruppen größer ist, als das Maximieren von Profit für den Einzelnen. Einzelne sind sogar dazu bereit, gänzlich auf persönliche und gruppenrelevante Gewinne zu verzichten, wenn dadurch die Differenz zu Out-Groups gesteigert werden kann (vgl. Brown/Tajfel/Turner, 1979, S. 200 ff.). Menschen streben also danach, Gleichgesinnte zu finden und möchten sich bewusst von Andersdenkenden abgrenzen. Denn klare Zugehörigkeiten verschaffen Sicherheit; der Mensch benötigt Orientierung in der Welt, Anhaltspunkte, die ihm das Leben erleichtern.

Auch in der Soziologie spiegelt sich diese Anthropologie oft wider. Ralf Dahrendorf z.B. sieht den Einzelnen stets mit der Welt verbunden und niemals losgelöst. Mit dem Konstrukt des homo sociologicus schuf er ein Menschenbild, das bis heute Relevanz findet: Der Mensch ist Träger sozialer Rollen, der sich an den Werten, Normen und Erwartungen der Gesellschaft ausrichtet (vgl. Dahrendorf, 2010).

Dieses Verhalten kennt allerdings Einschränkungen. Der Mensch ist durchaus dazu in der Lage, eigenständige Entscheidungen zu treffen. So zeigt z.B. eine 2018 vom Institut für Zukunftspsychologie und Zukunftsmanagement veröffentlichte Studie, dass jeder Einzelne tagtäglich erfolgreich diverse Herausforderungen des Lebens händelt (vgl. Druyen, 2018, S. 322). Dass die meisten Menschen proaktiv zu sein scheinen, beweist u.a. die Zustimmung zu der Aussage, dass Handeln klug macht (vgl. Weller, 2018, S. 187).

Fakt ist jedoch, dass eigenständige Entscheidungen viel Energie kosten. Das Gehirn übergeht diese Fähigkeit oftmals und orientiert sich lieber an Handlungen des Umfelds, um Ressourcen einzusparen und den Menschen vor Überforderung in unserer Welt voller Details zu schützen (vgl. Kahnemann, 2012, S. 127 ff.). Abwarten, Verdrängung oder Adaption sind in vielen Situationen die meist angewandten Methoden (vgl. Druyen, 2018, S. 322).

Soziale Werte & Lebensstile

Was dem Individuum in der Vielfalt der Welt Orientierung gibt, sind soziale Werte, d.h. festgelegte Prinzipien mit handlungsleitender Funktion (vgl. Trommsdorf, 2009, S. 175). Nach Trommsdorf sind soziale Werte zudem „wesentlich durch die Zugehörigkeit zu einer sozialen Einheit (Kultur, Schicht, Familie) geprägt.“ (Trommsdorf, 2009, S. 175). Daraus folgt, dass Werte verschiedener Kollektive sich stark voneinander unterscheiden können. Sie repräsentieren unterschiedliche Lebensstile. Pierre Bourdieu zufolge sind die Wertvorstellungen eines Einzelnen und somit auch sein Lebensstil von Geburt an festgelegt (vgl. Rommerskirchen, 2017, S. 231). Dabei gäbe es für den Einzelnen niemals ein Entkommen aus der gegenwärtigen Position (vgl. Bourdieu, 1993, S. 28). Das Unterscheidungsmerkmal sozialer Klassen innerhalb einer Gesellschaft sei ökonomisches Kapital (vgl. Rommerskirchen, 2017, S. 231). In Kombination mit sozialem, kulturellem und symbolischem Kapital würden Individuen schließlich Macht und Anerkennung in der Gesellschaft erlangen (vgl. Rommerskirchen, 2017, S. 234 f.). Dass Lebensstile von Individuen sich heutzutage aber auch trotz ähnlicher Kapitalien unterscheiden können, beweisen die Sinus-Milieus (vgl. SINUS Markt‐ und Sozialforschung GmbH, 2018, S. 5).

Abb.1: Soziodemografische Zwillinge (Quelle: SINUS Markt‐ und Sozialforschung GmbH, 2018, S. 5)

Es zeigt sich, dass das Einkommen eines Einzelnen und somit seine soziale Position nicht bestimmt, welche Präferenzen derjenige hat oder welche moralischen Ansichten er teilt. Relevant ist also nicht eine Clusterung anhand ausschließlich demografischer Daten, sondern die Lebenswelt von Individuen. Je nachdem, welche Werte Einzelne vertreten, gehören sie einem anderen Sinus-Milieu an. Innerhalb eines Milieus haben Waren den gleichen Wert, d.h. es existieren die gleichen Bedeutungen der Dinge (vgl. SINUS Markt‐ und Sozialforschung GmbH, 2018, S. 5 ff.).

Symbole in der Unternehmenskommunikation

Edward Bernays konstatiert, dass es bei Kauf und Konsum niemals um eine Sache an sich geht, sondern immer um ihren gesellschaftlichen Wert, d.h. um ihre Bedeutung. Denn Bedeutungen würden Emotionen wecken, von denen sich Menschen leiten lassen. In der Gesellschaft seien es Symbole, die solche Bedeutungen repräsentieren und so Orientierung schaffen würden. Daher sei Unternehmenskommunikation nur mit Symbolen sinnvoll (vgl. Bernays, 2014, S. 51 ff.), denn durch den Einsatz von Symbolen könnten Unternehmen Konsumenten lenken. Bernays bezeichnet dies als Propaganda (vgl. Bernays, 2014, S. 34 f.).

Wie bereits erwähnt, spielen funktionale Güter vor allem in einer Gesellschaft, in der grundsätzlich keine Knappheit herrscht, eine untergeordnete Rolle. Somit sind Symbole in der Kommunikation zum Treiber des heutigen Kapitalismus geworden (vgl. Beckert, 2018, S. 329).

Marken(identität) im sozialen Feld

Aus der Tatsache, dass Waren nur auf Grundlage ihrer Bedeutungen gekauft werden, lässt sich schließen, dass Konsum immer eine soziale Komponente mit sich bringt. Kaufentscheidungen positionieren das Subjekt. Die Theorien Thorstein Veblens gehen sogar einen Schritt weiter: Dem Autor geht es nicht um irgendeine Positionierung, sondern ihm zufolge drückt eine große Masse an Konsum Wohlstand aus. Dieser wiederum führt nach Veblen zu Anerkennung in der Gesellschaft; und das sei es, wonach jedes Individuum streben würde (vgl. Veblen, 2015, S. 43 ff.). Wichtig ist dabei in Veblens Augen auch die Zurschaustellung des Konsums, damit andere ihn wahrnehmen können (vgl. Veblen, 2015, S. 52). Folglich finden Kauf und Konsum niemals für einen Einzelnen selbst statt, sondern es dreht sich schlichtweg alles darum, bei Anderen Ansehen zu erlangen.

Doch woher weiß die Gesellschaft, welche Güter welche Bedeutung haben? Geht es wirklich nur um die Masse von Konsum? Eine spezielle Orientierung bieten die Art Güter und Dienstleistungen, die in der Welt als Marke bekannt sind.

Die Positionierung einer Marke am relevanten Markt ist im besten Falle dynamisch, d.h. grundlegende Werte bleiben im Kern stets gleich, werden jedoch unter Berücksichtigung von Veränderungen der Zeit kontinuierlich adaptiert (vgl. Baumgarth, 2014, S. 221). Aus diesen vom Unternehmen intern festgelegten Eigenschaften einer Marke ergibt sich letztlich ihre Identität (vgl. Burmann et al., 2015, S. 29 f.). Eine widerspruchsfreie Identität schafft Wiedererkennungswert und Stabilität. Insbesondere in unserer Zeit, die von Wandel und Komplexität geprägt ist, stehen Unternehmen ebenso wie menschliche Individuen täglich vor neuen Herausforderungen. Abhängig davon, welche Handlungsentscheidungen sie treffen, welche sozialen Werte sie priorisieren, etc., entwickelt sich die interne Identität weiter und wird vielseitiger.

Das Image einer Marke in der Gesellschaft entspricht dem entgegen subjektiven Wahrnehmungen der Konsumenten (vgl. Shimp, 2010, S. 39). Somit decken sich Fremd- und Selbstbild nicht zwingend. Edward Bernays‘ Propaganda funktioniert nicht mit Garantie. Den obigen Ausführungen zufolge kommt es darauf an, die für eine bestimmte Zielgruppe richtigen Werte zu kommunizieren bzw. Symbole zu verwenden.

Letztlich entwickelt sich eine Marke so schließlich selbst zu einem Symbol – zu einem Sinnbild z.B. bestimmter Lebensweisen. Sie positioniert den Käufer auf ganz bestimmte Art und Weise, bietet einerseits Differenzierung zu anderen und andererseits Identifikation für den Einzelnen selbst (vgl. Esch, 2007, S. 22).

Bestimmte Marken in unserer Gesellschaft haben das Level eines Statussymbols erreicht. Die Bedeutung solcher Waren entsteht auf Massenebene, sie ist klassenübergreifend bekannt. Zu beachten ist dabei, dass ein Statussymbol, nur weil es universell bekannt ist und die gleiche Bedeutung hat, nicht übergreifend den gleichen Wert haben muss. Einer Dame kann durchaus bewusst sein, was der Luxussportwagen ihres Verehrers repräsentiert, es kann ihr jedoch vollkommen gleichgültig sein.

Zeitalter Individualisierung

Derzeit scheint es in unserer Gesellschaft zunehmend schwieriger für Marken, klare Symbolbedeutungen und damit übergeordnete Identitäten zu kommunizieren. Denn soziale Grenzen öffnen sich, Menschen orientieren sich dank Globalisierung und Digitalisierung sehr viel vielseitiger, als noch vor einigen Jahren.

Die Konsequenz daraus ist, dass klar abgegrenzte Zielgruppen wie die Sinus-Milieus sich kaum mehr definieren lassen. „Die Auflösung (Hervorhebung im Original) vorgegebener sozialer Lebensformen“ (Beck/Beck-Gernsheim, 2012, S. 11) wie Ulrich Beck sie seinerzeit schon beschrieb, zeigt sich mehr und mehr. Im Zuge dessen konstruiert der Einzelne nach Beck selbst seine soziale Realität (vgl. Beck, 1986, S. 209). Das orientierungsbedürftige Individuum befinde sich im Zuge der Individualisierung in einer äußerst risikoreichen Umgebung (vgl. Rommerskirchen, 2017, S. 238 f.), denn die klare Distinktion von der Masse führe zum Verlust von sozialen Sicherheiten, was wiederum in einer neuen Form der Vergesellschaftung münden würde: Neuerdings sei der Einzelne dazu gezwungen, eigenständige Entscheidungen zu treffen und aktiv am Leben teil zu haben (vgl. Beck/Beck-Gernsheim, 2012, S. 12).

Neben der Abhebung eines Einzelnen von der Masse äußert sich die Individualisierung auch in einem erhöhten Stellenwert von Selbstverwirklichung (vgl. Zukunftsinstitut, o. J. a), o. S.). Da der Mensch nicht gebunden ist an Normen, soziale Schichten usw., kann er seine persönlichen Präferenzen beliebig wählen und sein Leben frei nach ihnen gestalten. Distinktion und Selbstverwirklichung bedingen sich scheinbar gegenseitig: Die Auflösung klassischer sozialer Gegebenheiten auf Grund bestimmter kultureller Ereignisse führt zu Multidimensionalität in der Gesellschaft. Der Einzelne erlangt dadurch erhöhte Autonomie. Folglich kann Selbstverwirklichung stattfinden und immer weiter fortschreiten. Somit ist eine Gesellschaft in sich individueller, die Distinktion Einzelner von der Masse wird immer größer. Die Lockerung sozialer Gefüge erfolgt dann zwangsläufig auf ein Neues. Denn ohne die Akzeptanz dieser Individualität würde die Gesellschaft im Ganzen nicht bestehen können.

Abb. 2: Kreislauf der Individualisierungsdimensionen (Quelle: Eigene Darstellung)

Gründe und Indizien der Individualisierung

Individualisierungstendenzen sind schon lange zu beobachten. Bereits seit den 50er-Jahren sinkt die Anzahl der Mehrpersonen-Haushalte, während die Menge der Single-Haushalte enorm steigt (vgl. Statistisches Bundesamt (Destatis), 2017, S. 4). Der gesteigerte Spielraum von Individuen spiegelt sich auch in einem Aufkommen von mehr verschiedenartigen Haushaltsstrukturen wider: Kinderlose Paare, homosexuelle Paare, Mehrgenerationenhaushalte, Studentenwohngemeinschaften, usw. (vgl. Ewinger et al., 2016, S. 8 ff.).

Außerdem verändern sich Biografiemuster: Während es früher eine klare Struktur aus z.B. Ausbildung, Arbeit und Ruhestand gab, finden heutzutage Verschiebungen statt (vgl. Ewinger et al., 2016, S. 10 f.). Das Leben hat ein hohes Maß an Flexibilität gewonnen (vgl. TrendOne, o. J., o. S.).

Abb. 3: Grafik Biografiemuster im Vergleich (Quelle: Zukunftsinstitut, 2011, S. 68)

Dass Selbstverwirklichung in der heutigen Form überhaupt möglich ist und der Einzelne viele Dinge ausprobieren kann, hängt zunächst mit dem Wohlstand dieser Tage zusammen (vgl. Zukunftsinstitut, o. J., o. S.).

Digitalisierung und Globalisierung dienen als weitere Treiber der Individualisierung: Nie zuvor konnte der Einzelne seine soziale Realität so eigenständig im Sinne Becks entwerfen. Durch den Blick über den Tellerrand sucht das Individuum sich aus vielen verschiedenen Optionen die Aspekte heraus, die es persönlich präferiert und stellt sich so seine eigene Lebensweise zusammen. Somit werden Identitäten immer multidimensionaler. Während Identitätsbildung nach Mead noch im sozialen Umfeld stattfand (vgl. Mead, 2013, S. 197 ff.), ist der Einzelne heute nicht mehr abhängig von seiner direkten Umgebung. Soziale Werte und damit auch Lebensweisen sind nicht mehr an ein Milieu gekoppelt. Stattdessen sind z.B. Produkte aus aller Welt verfügbar und nur über einen einfachen Klick online bestellbar.

Hinzu kommt, dass der User im Internet sogar eigenständig filtern und sich nur noch zwischen den Informationen bewegen kann, die ihn wirklich interessieren. Außerdem sorgen soziale Netzwerke dafür, dass das Zurschaustellen der eigenen Identität ein Leichtes ist. Die Präsentation des Selbst wie Veblen sie beschrieb nimmt unserer Tage ganz neue Dimensionen an.

Ein weiteres Indiz der Individualisierung ist die gesteigerte Forderung nach personalisierten Produkten (vgl. KPMG AG, 2017, S. 2). Dass Unternehmen im vorherrschenden starken Kommunikationswettbewerb durch personalisierte Produkte Aufmerksamkeit gewinnen können, klingt sinnvoll. Customization bietet die Möglichkeit, Kundenwünsche auf einzigartige Art und Weise zu befriedigen. In den letzten Jahren hat sich außerdem der Do-It-Yourself-Trend etabliert. Konsumenten neigen verstärkt zum selbst bauen, basteln und handwerkeln (vgl. Papasabbas, 2016, o. S.). Außerdem ermöglichen neue Technologien 3D-Druck (Fabbing) und somit den Weg zum vollends eigenen Produkt (vgl. Zukunftsinstitut, o. J. a), o. S.).

Auswirkungen der Individualisierung auf den Handel

Einzelproduktionen sind für Unternehmen mit einem erhöhten Kostenaufwand verbunden, als Massenproduktionen. Zudem raubt die Customization ebenso wie Fabbing und die Möglichkeit, durch eine Vielzahl an Waren auf dem Markt Do-It-Yourself-Projekte zu verwirklichen, Unternehmen Macht in der Gesellschaft. Ihre Daseinsberechtigung geht zunehmend verloren.

Dadurch, dass der User online zudem eigenständig filtert, welche Inhalte er sehen möchte, verengt sich der Kommunikationswettbewerb noch mehr. Unternehmen müssen sich konkret darauf ausrichten, den einzelnen User mit Tracking- (vgl. Schott, 2014, 577 ff.) und Targetingmethoden (vgl. Plica/Schultz, 2016, S. 88) zu erreichen, damit ihre Werbung nicht untergeht. Dazu müssen intern Kapazitäten und Kompetenzen geschaffen werden.

Letztlich deutet alles auf die Entwicklung hin zu einer Unikat-Gesellschaft. Unternehmen können scheinbar nicht mehr an Zielgruppen kommunizieren. Die Studie Lebensstile für morgen rät dazu, stattdessen in Lebensstilen zu denken. Diese könnten die Vielseitigkeit eines einzelnen Individuums eher greifen (vgl. Zukunftsinstitut, o. J. b), o. S.). Das Problem daran spricht die Studie jedoch selbst an: Die Komplexität und Multidimensionalität. Gemeinsam mit ihrer Umwelt wandeln auch Menschen sich kontinuierlich (vgl. Druyen, 2018, S. 322). Die Zuordnung eines Konsumenten zu einem bestimmten Lebensstil hat letztlich ebenso Grenzen, wie die Zuordnung zu klar definierten Zielgruppen. Denn sie ist theoretisch. Wie kann sichergestellt werden, dass der Bewohner des Einpersonenhaushalts nicht nur Berufspendler ist und am Wochenende zu seiner Familie fährt?

Ein Schritt in die richtige Richtung könnte es sein, zunehmend situationsspezifisches Marketing zu betreiben. Eine Studie zeigt, dass über 70% aller Kaufentscheidungen erst am Point-of-Sale erfolgen. Nicht nur die generelle Persönlichkeit des Konsumenten ist also relevant, sondern seine seelische Verfassung in der jeweiligen Situation (vgl. Halfmann, 2014, S. 11 f.). Um als produzierendes Unternehmen auf dem Markt Erfolg zu ernten, muss nicht das Produkt im Mittelpunkt des Marketingmanagements stehen, sondern der Konsument als Anker angesehen werden (vgl. Halfmann, 2014, S. 2).

Zwischen Anreicherung und Singularität

Zu Zeiten der scheinbar unaufhaltsamen Individualisierung stellt sich die Frage, wie Marken noch erfolgsbringend kommunizieren können. Ist eine übergeordnete Identität sinnvoll, wenn der Konsument sich nach individueller Betreuung sehnt? Es existieren diverse soziologische Ansätze darüber, wie Markenbedeutungen heutzutage entstehen.

Andreas Reckwitz beschreibt eine Gesellschaft der Singularitäten, in der das einzelne Subjekt nur noch durch sein Streben nach Einzigartigkeit bestimmt wird (vgl. Reckwitz, 2017, S. 7 ff.). Individuen würden jegliche Waren und sogar gesamte Lebensbereiche singularisieren, d.h. ihnen Bedeutungen zuschreiben, die sie einzigartig scheinen lassen (vgl. Reckwitz, 2017, S. 9 ff.). Die Einzigartigkeit der Güter solle sich dann auf das jeweilige Individuum übertragen (vgl. Reckwitz, 2017, S. 308 ff.). Das Ziel eines Jeden sei es, in der Gesellschaft Anerkennung durch diese Einzigartigkeit zu gewinnen (vgl. Reckwitz, 2017, S. 13). Prinzipiell, so Reckwitz, sei jedes Individuum dazu fähig, Dingen Bedeutungen zuzuschreiben, denn jeder sei selbst Regisseur seiner Realität geworden (vgl. Reckwitz, 2017, S. 59). Dabei komme es letztlich auch nicht auf den Preis einer Ware an, stattdessen zähle schlichtweg, was ein Einzelner darin erkennen könne. Sobald auch nur eine einzige Person einem Objekt eine Bedeutung zuschreibe, sei es von Wert (vgl. Reckwitz, 2017, S. 16 f.).

Doch hier zeigt sich ein Widerspruch: Wie kann ein Einzelner Anerkennung vom Kollektiv für den Besitz einer einzigartigen Ware erlangen, wenn nur er selbst dieser Ware eine Bedeutung zuschreibt? Wenn niemand anders die Bedeutung eines Objekts versteht, ist sie letzten Endes wertlos, da das Objekt den Einzelnen nicht im sozialen Feld positioniert. Die Anderen verstehen nicht, was der Einzelne damit ausdrücken möchte und können ihm so auch keine Anerkennung geben.

Dem hingegen teilen Luc Boltanski und Arnaud Esquerre die Ansicht, die Bedeutungen von Dingen entstünden im Kollektiv: Die Franzosen sprechen von einer Bereicherungsökonomie, in der Waren durch Narrationen angereichert werden und so eine bestimmte Bedeutung erlangen (vgl. Monopol-Magazin für Kunst und Leben, 2018, o. S.). Dies deckt sich also mit den weit zurückliegenden Gedanken Bernays‘, es bleibt hier aber unklar, woher die Narrationen stammen. Mit der Bedeutung der Dinge würde ihre Beliebtheit und damit auch ihr Preis steigen (vgl. Boltanski/Esquerre, 2018, S. 184 ff.). Diejenigen, die die Bedeutungen verstehen, könnten mit diesen Waren handeln. Die Soziologen bezeichnen jene, die in der Lage dazu seien, als die Reichen, denn nur Wohlhabende könnten sich hochpreisige Güter leisten (vgl. Boltanski/Esquerre, 2018, S. 512). Alle anderen Gesellschaftsmitglieder wären die Verlierer dieses Kapitalismus, da sie die richtigen Waren nicht erkennen würden und somit auch keinen Handel betreiben sowie folglich keinen Profit daraus schlagen könnten (vgl. Boltanski/Esquerre, 2018, S. 571 f.). So würden die angereicherten Waren nur eine bestimmte Gesellschaftsgruppe bereichern. Sie dienten der kollektiven Abgrenzung zu anderen Schichten und würden die Solidarität innerhalb der Gruppe stärken (vgl. Boltanski/Esquerre, 2018, S. 513). Eine offene Frage in dieser Theorie bleibt jedoch, wer die Richtigkeit von Bedeutungen festlegt. Wer bestimmt, wie die Dinge auf korrekte Weise zu verstehen sind und welche Gesellschaftsschicht der Gewinner ist?

Boltanski und Esquerre beschreiben ein Phänomen, welches sich in der Praxis widerspiegelt: Derzeit bildet sich ein Heimlichkeitswohlstand aus. Statussymbole verlieren ihre universelle Bedeutung. Es geht nicht mehr darum, seinen Besitz klassenübergreifend zu präsentieren und sich von jedem Einzelnen abzuheben. Stattdessen zeigen Beobachtungen auf, dass unter bestimmten Gesellschaftsklassen zunehmend gilt, seine soziale Position durch versteckte Symbole zu kommunizieren und nur innerhalb der jeweiligen sozialen Klasse zu beeindrucken (vgl. Kottmann, 2016, o. S.). Aus diesen Entwicklungen lässt sich konstatieren, dass Bedeutungen heutzutage also scheinbar keineswegs auf Ebene der Masse entstehen.

Zeitaktuelle empirische Studien zeigen auf, dass Menschen Anhaltspunkte in der Gesellschaft benötigen, um möglichst stressfrei leben zu können (vgl. Druyen, 2018, S. 331). Insbesondere in unserer heutigen detailreichen Welt ist es wichtig für Individuen, aus Erfahrungen Handlungsregeln abzuleiten, um nicht immer wieder aufs Neue in Verwirrung zu enden (vgl. Druyen, 2018, S. 322). Die Individualisierung, die viele Möglichkeiten für den Einzelnen mit sich bringt, wirkt oft überfordernd. Daher greifen eingangs erläuterte Herdentriebe des Menschen umso häufiger.

Tatsächlich schließt die Individualisierung Gemeinschaftswerte nicht aus. Obwohl z.B. 90% von 16-35-jährigen Befragten einer Studie ein unabhängiges und eigenständig gestaltetes Leben anstreben, ist es scheinbar trotzdem noch wichtig, die Familie zu unterstützen (84%) (vgl. Zukunftsinstitut, o. J., o. S.). Die auf den ersten Blick gegensätzlich klingenden Pole bedingen sich gegenseitig, wie das Konzept des integrierten Individualismus zeigt: Individuen sind oftmals auf die Unterstützung eines Kollektivs angewiesen, um ihre persönlichen Interessen umsetzen zu können. Dies verdeutlicht sich z.B. in dem enormen Anstieg von bestehenden Genossenschaften in Deutschland in den letzten Jahren (vgl. Zukunftsinstitut, o. J. a), o. S.). Aus dieser aktuellen Empirie heraus lässt sich der theoretische Ansatz Reckwitz‘ zur Erklärung der Entstehung von Markenbedeutungen ausschließen. Der Soziologe missachtet, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, das in einer ständigen Interaktion mit anderen steht. Bedeutungen entstehen nicht auf Ebene eines Einzelnen, sondern auf Ebene bestimmter Klassen, so wie Boltanski und Esquerre es beschreiben.

Fakt ist jedoch, dass das einzelne Individuum innerhalb der Gruppe, in der es sich bewegt, ein hohes Maß an Eigenständigkeit und Flexibilität gewonnen hat. Aus diesem Grund ist auch nicht davon auszugehen, dass nur eine bestimmte Gesellschaftsklasse die richtigen Bedeutungen der Dinge erkennt, wie es die französischen Ansätze darstellen. Heutzutage spielt es weniger eine Rolle, woher der Einzelne kommt – vielmehr geht es darum, was er aus seinem Leben macht. Während sich bei Boltanski und Esquerre Parallelen zu Bourdieu aufzeigen, ist es in unserer Zeit auch ohne von Geburt an ökonomisches Kapital zu besitzen, möglich, sich weiterzubilden und mehr zu erreichen als z.B. die eigene Familie.

Der Mensch ist homo activus (vgl. Arendt, 2007): Er bewegt sich in Gruppen, orientiert sich an den Meinungen anderer, ist jedoch gleichzeitig aktiv und eigenständig. Er steht dabei heutzutage jedoch nicht unter einem Zwang zur Wahl, sondern zeigt durchaus Ehrgeiz und den eigenen Willen, sein Leben so perfekt wie möglich zu gestalten. Dieser Ehrgeiz äußert sich in einer erhöhten Nachfrage nach Life Coaching-Angeboten: Lebensberatungen in verschiedensten Formen haben sich zu einem renommierten Geschäftsfeld entwickelt. Workshops über Ernährung, Karrierebücher oder Podcasts zum Thema Achtsamkeit. Der Mensch ist verstärkt auf der Suche nach Anleitungen, wie das Leben bestmöglich zu meistern ist – dies verdeutlicht gleichzeitig aber auch wieder die vorherrschende Orientierungslosigkeit (vgl. TrendOne, o. J. b), o. S.).

Fazit & Ausblick

Der Mensch ist ein Herdentier. Trotz voranschreitender Eigenständigkeit eines Einzelnen in der Gesellschaft spielt das Kollektiv, das ein Individuum stets umgibt, immer noch eine Rolle, wie empirische Beobachtungen und Zukunftsprognosen zeigen. Zu beachten ist, dass die Empirie zeigt, dass es aber nicht die Masse ist, die zählt, sondern jeweils eine bestimmte Klasse. Während Reckwitz missachtet, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, das in ständiger Interaktion mit anderen steht, bieten die soziologischen Ansätze von Boltanski und Esquerre somit eine gute theoretische Grundlage für Marken der heutigen Zeit – obgleich die Theorie immer noch Kritikpunkte bzw. Lücken aufzeigt, zu deren Schließung weitere empirische Untersuchungen nötig sind.

Für die Unternehmenskommunikation lässt sich schließen, dass Werte und eine klare Markenidentität nach wie vor an übergeordnete Gruppen kommuniziert werden sollten. Eine durchaus personalisierte Kommunikation, die mit einem erhöhten Kostenaufwand verbunden wäre, ist nicht vonnöten, denn das Individuum orientiert sich auch dieser Tage daran, was sein Umfeld denkt und kämpft um dessen Anerkennung. Werte, die im Widerspruch zu den Grundlagen dieses Umfelds stehen, würden vom Einzelnen nicht angenommen werden. Der Individualisierungs-Trend bedeutet also keineswegs, dass Marken ihr Kommunikationskonzept von Grund auf neu definieren und für jeden Konsumenten einzigartig gestalten müssen. Es ist aber offensichtlich, dass Menschen innerhalb einer Gruppe enorm an Flexibilität und Eigenständigkeit gewonnen haben. Gemeinschaften akzeptieren inzwischen ein hohes Maß an Individualität. Der Wohlstand unserer heutigen Zeit ermöglicht es dem Einzelnen in Kombination mit den Trends Globalisierung und Digitalisierung, aus seinem gewohnten Umfeld auszubrechen und Neues auszuprobieren. Es ist niemand mehr an bestimmte Gegebenheiten gebunden, stattdessen geht es darum, sich sein Leben so frei wie möglich zu gestalten. Durch immer offenere Grenzen ist der Mensch nicht mehr nur Teil eines einzigen Kollektivs, sondern kann sich frei bewegen und seine Identität aus vielen verschiedenen Einzelteilen individuell zusammensetzen. Unternehmen dürfen diese Eigenständigkeit von Einzelnen nicht unterschätzen. Es gilt, genauestens zu beobachten, in welchem Umfeld bzw. in welchen Umfeldern sich ein Einzelner bewegt und wohin er ausbrechen könnte, um die richtigen Symbolbedeutungen kommunizieren zu können.

Zielgruppen unterliegen keinen festen Definitionen mehr, der Mensch muss als Einzelner im Kollektiv verstanden werden. Es geht darum, die Komplexität eines Einzelnen zu begreifen und sein Inneres zu durchblicken. Die persönliche Betreuung innerhalb einer Gruppe muss daher einen neuen Stellenwert in der Unternehmenskommunikation gewinnen.

Des Weiteren rauben die erweiterten Handlungsmöglichkeiten eines Subjekts Unternehmen einen großen Part ihrer Kommunikationsmacht. Durch Customization bestimmt der Konsument, wie das Produkt auszusehen hat, im Zuge der Produktvielfalt auf dem Markt kann der Do-it-Yourself-Trend ausgelebt werden und dank 3D-Druckern lassen sich Produkte sogar eigenständig produzieren.

Insbesondere im Online-Bereich kann das einzelne Individuum sich nach Belieben bewegen und für sich selbst irrelevante Informationen völlig ausblenden. Aktuelle Studien zeigen aber auch, dass der Mensch zum eigenständigen Handeln häufig einen externen Antrieb benötigt. Vor allem in der Vielfalt, die unsere heutige Welt bereithält, sehnt er sich nicht nur nach Orientierung, sondern muss aus einer Phase des Abwartens und Verdrängens herausgezogen werden. Unternehmen sollten in dieser Überforderung genau diese Rolle übernehmen: den Menschen an die Hand nehmen und ihm einen Sinn der Dinge aufzeigen. Die Kommunikationsmacht, die Unternehmen dieser Tage geraubt wird, kann so über einen Umweg zurückgewonnen werden.

Insbesondere an dieser Stelle hilft eine klar definierte, übergeordnete Identität, da sie Wiedererkennungswert schafft, Stabilität vermittelt und dem Konsumenten Anhaltspunkte gibt. In Anbetracht des stetigen Wandels unserer Zeit stehen Marken aber vor der Herausforderung, sich anzupassen, d.h. eine dynamische Positionierung innezuhaben, die zwar offen für Neues ist, grundlegenden Werten aber stets Beachtung schenkt. Die Individualisierung fordert, den Einzelnen nicht zu unterdrücken, ihm nichts aufzuzwingen. Stattdessen müssen Marken das Gefühl vermitteln, die Fähigkeiten eines Individuums zu fördern und ihn dazu bewegen, aktiv und eigenständig durchs Leben zu gehen. Dabei muss er dennoch sicher in seinem Kollektiv positioniert werden. Es gilt, den Konsumenten nicht als Konsumenten zu sehen, sondern ihn als Menschen mit einer einzigartigen und vielseitigen Persönlichkeit zu durchblicken und seine tiefsten Sehnsüchte zu verstehen.Wenn davon ausgegangen werden kann, dass Markenbedeutungen auf Ebene sozialer Kollektive entstehen, stellt sich die Frage, wie diese Bedeutungen letzten Endes entstehen. Woher weiß der Einzelne, welches Symbol in der Gruppe welche Bedeutung hat? Woher weiß das Kollektiv, welche Bedeutungen die Dinge haben? Wer legt Bedeutungen fest? Dass es Unternehmen sind, die die konkreten Bedeutungen der Waren vorgeben, ist auszuschließen, wenn die Tatsache der gewonnen Eigenständigkeit von Konsumenten berücksichtigt wird. Boltanski und Esquerre sind diesbezüglich der Meinung, es liege in der Natur einiger Gesellschaftsmitglieder, das Wissen über die Bedeutungen zu haben. Da Bildung in unserer westlichen Welt heutzutage jedoch für jedermann zugänglich ist und ein Einzelner nicht mehr durchweg abhängig von seiner Herkunft ist, ist diese klare Klassengesellschaft, aus der es kein Entkommen für den Einzelnen gibt, grundsätzlich auszuschließen.

Weiterführend wären empirische Analysen darüber interessant, wie weit die Akzeptanz einer Gruppe bezüglich des derzeitigen Individualismus reicht. Wie viel Individualität lässt ein Kollektiv zu? Wäre es eher angebracht, den oben aufgezeigten Individualisierungs-Kreislauf als einschlägigen Pfad anzusehen, der an einem gewissen Punkt stoppt? Und wann ist andersrum der Zeitpunkt gekommen, an dem ein Individuum von der Möglichkeit Gebrauch macht, sich von einem Kollektiv abzuwenden, weil es ihn zu sehr einschränkt?

Außerdem scheint es spannend, zu beobachten, wie weit die Orientierungslosigkeit von Konsumenten in der so vielfältigen Welt noch reichen wird. Derzeit sind bereits Tendenzen hin zu der Besinnung auf Gemeinschaftswerte zu erkennen. Kommt es zu einem Moment, an dem der Einzelne seine bisher gewonnene Individualität und Eigenständigkeit vollständig abgeben würde, um aus der Überforderung zu flüchten und wieder mehr Halt zu gewinnen? Was würde eine solche Entwicklung für die Unternehmenskommunikation sowie Markenbedeutungen implizieren? Es gilt, langfristig zu beobachten, ob diesbezüglich ein Rückschritt der Gesellschaft aufkommt, der sich in der stummen Akzeptanz von Vorgaben durch gesellschaftliche Institutionen äußert. Würde dies bedeuten, dass Unternehmen bzw. Marken Warenbedeutungen in Zukunft doch ganz im Sinne Bernays‘ vorgeben können und die Gedanken der Masse vollkommen lenken können?

Zuletzt ist auch der technische Fortschritt zu erwähnen. Roboter sollen Menschen zunehmend Alltagsaufgaben abnehmen. Wie entstehen Markenbedeutungen in einer Zukunft, in der der Mensch gar nicht mehr selbst interagieren muss?

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