Lars Hoven: Legitimität als existenzielles Gut von Unternehmen

Dieser Artikel nimmt einen Blick auf die elementaren Pfeiler des Konstruktes Unternehmen vor. Bei einer theoriegetriebenen Betrachtung wird das Gebilde Unternehmen losgelöst anhand seiner elementaren Grundeigenschaften betrachtet. Dieser Blickwinkel soll es ermöglichen die Konstruktion und Wirkungsweisen von Unternehmen nachzuvollziehen, um die heute immer komplexer werdenden Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und Unternehmen abbilden zu können. Dies geschieht anhand der Theoriegrundlage der Organisationssoziologie, der das Konstrukt Unternehmen zuzuordnen ist. Zusätzlich zu den grundlegenden Mechanismen von Organisationen, wird der gewichtige Faktor Legitimität genauer betrachtet. Dabei wird herausgestellt warum Legitimität ein für Unternehmen so wichtiges Gut darstellt, woraus Legitimität resultiert und wie Legitimität produziert und beeinflusst wird. Abschließend findet ein Praxisbezug statt, der den Umgang der Unternehmen mit ihrer eigenen Legitimität zeigt, in dem einzelne Strategien hinsichtlich der Erwartungshaltung der Gesellschaft gegenüber ihnen abgebildet werden. Das übergeordnete Ziel dieses Vorgehens veranschaulicht, inwieweit die Gesinnung auf elementare Grundeigenschaften beim Umgang mit aktuellen komplexen Herausforderungen hilfreich sein kann.

Einleitung

In der heutigen Zeit sieht sich die Gesellschaft mit einer Vielzahl an Umbrüchen und Veränderungen konfrontiert. Nicht nur die Wege der Kommunikation verändern sich durch die Digitalisierung rasant, sondern auch die Themen, die die Menschen bewegen stellen immer höhere Ansprüche an die Gesellschaft. Unsere Zeit ist geprägt von einer wachsenden gesellschaftlichen Mündigkeit, bei der die Menschen verstärkt für die Bedürfnisse des Planeten und für das gemeinsame Miteinander einstehen. Doch auch die Rolle und der Einfluss von Unternehmen erhält eine immer zentraler werdende Position in der Gesellschaft. Durch den wachsenden Einfluss der Unternehmen werden diese auch zunehmend als gesellschaftliche Akteure wahrgenommen, so dass sie ebenfalls Adressaten der Ansprüche der Öffentlichkeit werden. Somit zeichnet sich die heutige Zeit für die Unternehmen durch ein Wetteifern um Legitimität aus. Doch welche Ursachen können diese Entwicklungen zu Grunde gelegt werden? Was genau ist ein Unternehmen, wodurch zeichnet es sich aus? Und wie kann der Faktor Legitimität in das Konstrukt verortet werden? Um diese Frage zu beantworten schlägt dieser Artikel einen Blick auf die elementaren Pfeiler des Konstruktes Unternehmen vor. Anhand einer Loslösung des komplexen Gebildes Unternehmen, sollen durch eine theoriegetriebene Betrachtung die Grundeigenschaften von Unternehmen herausgestellt werden. Dieser Blickwinkel soll es ermöglichen die Konstruktion und Wirkungsweisen von Unternehmen nachzuvollziehen, um die heute immer komplexer werdenden Wechselwirkungen zwischen Gesellschaft und Unternehmen abbilden zu können. Dies geschieht anhand der Theoriegrundlage der Organisationssoziologie, der das Konstrukt Unternehmen zuzuordnen ist. Neben dem Herausstellen der grundlegenden Mechanismen von Organisationen, wird der heute immer gewichtiger werdende Faktor Legitimität genauer betrachtet werden. Diesbezüglich ist es von Interesse zu identifizieren warum Legitimität ein für Unternehmen so wichtiges Gut darstellt, woraus Legitimität resultiert und wie Legitimität aus der Gesellschaft heraus produziert und beeinflusst wird.

Anschließend findet ein Praxisbezug statt, der den Umgang der Unternehmen mit ihrer eigenen Legitimität zeigt, in dem einzelne Strategien hinsichtlich der Erwartungshaltung der Gesellschaft gegenüber ihnen abgebildet werden. Das übergeordnete Ziel dieses Vorgehens soll veranschaulichen, inwieweit die Gesinnung auf elementare Grundeigenschaften beim Umgang mit aktuellen komplexen Herausforderungen hilfreich sein kann.

Die unternehmerische Organisation

Um das Konstrukt Unternehmen jenseits des alltäglichen Verständnisses zu betrachten ist es hilfreich, dieses auf seine fundamentalen Eigenschaften zu reduzieren, um anschließend dessen Aktionen und Reaktionen innerhalb der Wirklichkeit neu bewerten zu können. Dabei stellen sich die Fragen, was genau ist ein Unternehmen, welche Eigenschaften machen es aus und wie funktioniert es? Um die Beantwortung dieser Fragen zu gewährleisten, ist das Herausstellen einer theoretischen Grundlage notwendig, die in der Organisationssoziologie gefunden werden kann. In dieser Theoriegrundlage wird der Forschungsgegenstand der Organisationen, als charakterliches Merkmal und gleichzeitig gestaltendes Element moderner Industrie- und Dienstleistungsgesellschaften, untersucht. Die Bezeichnung der Vereinigungen von Personen, vor dem Hintergrund des Erreichens eines gemeinsamen Ziels, wie beispielsweise Betriebe, Behörden, Schulen um nur einige zu nennen, als Organisationen ist innerhalb unserer Alltagssprache überaus untypisch. In unserem täglichen Umgang mit diesen Konstrukten geben wir anderen Begriffen, die uns vertrauter sind, den Vorrang, demnach nutzen wir Begriffe wie Unternehmen, Institutionen oder öffentliche Einrichtungen (vgl.Abraham/Büschges, 2004, S. 19-22). Für die theoretische Untersuchung des Unternehmens-Begriff zeigt sich an dieser Stelle, im soziologischen Verständnis wird das Konstrukt des Unternehmens als Organisation aufgefasst. Organisationen können eine Vielzahl von Ausprägungen aufzeigen und vereinen in ihren Eigenschaften den Zusammenschluss von Personen für das Erreichen eines gemeinsamen Ziels.

Organisationen als autopoietische Systeme

Organisationen existieren allerdings nicht als losgelöste, isolierte Konstrukte, denn schließlich sind auch sie ein Teil vom großen Ganzen der Gesellschaft. Nichtsdestotrotz wird oftmals im Rahmen von theoretischen Organisationsbetrachtungen, die Umwelt der Organisationen ausgeklammert. Dieses Versäumnis kritisiertNiklas Luhmann vehement, indem er anmerkt, die Aussage, die Umwelt sei jener Teil einer Organisation, der nicht zu ihr gehöre, führe zu der Unterstellung, die Umwelt sei nicht existent (vgl. Luhmann 2000, S. 34). Luhmann selbst bemisst die Wichtigkeit von Umwelt auf die Existenz von Organisationen als deutlich höher, da er davon ausgeht, dass das Handeln der Organisation wie jedes Handeln lediglich retrospektiv betrachtet werden könne. Nur mit Hilfe des Konzeptes Umwelt könne man einschätzen was man getan habe. Zudem ermögliche die Umwelt Zurechnungen auf Ursachen, die außerhalb organisationsinterner Verantwortlichkeiten liegen (vgl. Luhmann, 2000, S. 35). Folglich scheint die Umwelt für Organisationen eine Voraussetzung darzustellen, um auf von ihr getriebenen Handlungen überhaupt reagieren zu können. Gleichzeitig ermöglicht die Umwelt die Zuschreibung auf Sachverhalte, die sich außerhalb der Einflüsse von Organisationen befinden. Dabei kann von einer Zuschreibung dieser Sachverhalte, sowohl von positiver als auch negativer Natur, ausgegangen werden. Außerdem zeichnete sich im Rahmen vorherrschender Theoriekonstrukte die Ansicht ab, Organisationen arbeiten rational und effizient, dabei könnten sie Entscheidungen treffen wie ein Individuum und sind zudem hierarchisch von oben nach unten strukturiert (vgl. Brunsson/Olsen, 1993, S. 60 ff.).Doch auch diesesVerständnis von Organisationen stellt Luhmann als schwierig heraus, er identifiziert die Problemstellung in der Übertragung von Bedingungen in ein normatives Modell nach rationalen Kriterien, was in der Realität, also der operativen Umsetzung, nicht haltbar ist (vgl. Luhmann, 2000, S.44). Als Lösungsvorschlag stellt Luhmann die alternative Definition, „eine Organisation ist ein System, das sich selbst als Organisation erzeugt“ (Luhmann, 2000, S. 44 f.), in den Raum, wobei er die hier vorzufindenden Funktionsweise mit Autopoiesis betitelt. Der Ursprung besagter Autopoiesis liegt nach Jan Rommerskirchen in der Selbstreferenzsozialer Systeme, da diese ihre Strukturen stets in Bezug auf die Elemente, die ihnen zu Grunde liegen, unterscheiden und darstellen. Dies bedeutet wiederrum auch, dass Systeme ihre Beobachtungen und Handlungen ebenfalls immer auf sich selbst beziehen und auf Einflüsse der Umwelt nur mit ihrer innewohnenden Systemlogik reagieren können. Um neue Eindrücke in die Systemprozesse aufnehmen zu können ist eine Unterscheidung dieser Prozesse von der Umwelt und eine Schlussfolgerung bezüglich der Bedeutung dieser für sich selbst notwendig (vgl. Rommerskirchen, 2017, S. 200). Luhmann selbst nutzt eine andere Wortwahl: „Ein System, das sich selbst erzeugt, muss sich selbst beobachten, das heißt: sich selbst von seiner Umwelt unterscheiden können“ (Luhmann, 2000, S. 46 f.). Dementsprechend definieren Systeme, beziehungsweise Organisationen, sich und die Differenz hinsichtlich ihrer Umwelt selbst, zudem ist es auch das System selbst, welches entscheidet welche Elemente ein- oder ausgegrenzt werden (Vgl. Rommerskirchen, 2017, S. 200).

Retrospektive Selbstbetrachtung autopoietischer Systeme

Die Organisation betrachtet sich selbst nicht als feststehendes Objekt, sondern besitzt die eigene Identität nur um ihre Strukturen, durch immer neue Bestimmungen, wandeln zu können. Diese Wandelbarkeit der als Bezugspunkt eingesetzten Identität wird durch die Selbstbetrachtung der Organisation während des Beobachtens gewährleistet, sprich sie ist in der Lage andere selbstbeobachtende Systeme zu beobachten, um daraus unzugängliche Aspekte für sich abbilden zu können und diese doch ihrem Aufmerksamkeitsradius zu zuführen (vgl. Luhmann, 2000, S. 47-52). Konkret gilt es sich an bereits eingetretene Ereignisse zur orientieren, da Organisationen ohnehin den Sinn ihres Handelns maßgeblich retrospektiv betrachten. Dies führt zu einem möglicherweise problematischen Nebeneffekt, denn die retrospektive Betrachtung ihrer Selbst hat das Vernachlässigen der Betrachtung der aktuellen Umwelt zur Folge. Eine weitere Voraussetzung für die eigene Existenz ist das Rück- und Vorgreifen auf andere Organisationen des gleichen Systems, wodurch Verknüpfungen herausgestellt und eine Abgrenzung zur Umwelt produziert und reproduziert werden können. Aus der retrospektiven Betrachtung ihres Handeln, die aus der generell umständlichen Wechselwirkung zwischen dem System Unternehmen und dessen Umwelt resultiert, können Einschränkungen abgeleitet werden, die auf die Wirklichkeit der Aktionen und Reaktionen von Unternehmen übertragen werden können. Demnach kann angenommen werden, dass Organisationen nur langsam auf sich verändernde Umweltbedingungen reagieren können. Übertragen auf Unternehmen, dürfte es sich für diese schwierig gestalten zeitnah auf die kontinuierlich verändernden Ansprüche ihrer Umwelt und somit auf die ihrer Wettbewerber, ihrer Kunden oder schlicht auf die der Gesellschaft, einzustellen.

Jedoch weisen Organisationen noch weitere Eigenheiten auf. So charakterisiert die operative Geschlossenheit von autopoietischen Systemen, diese zu autonomen Systemen. Diese operative Schließung bedeutet allerdings nicht, dass das Organisationssystem keine Kontakte zur innergesellschaftlichen Umwelt besitzen kann, da die Gesellschaft Möglichkeiten zu eben jener Kommunikation über Subsystemgrenzen hinweg zur Verfügung stellt. Dies bedeutet aber im Umkehrschluss, dass Organisationen nicht an Kommunikation teilnehmen können ohne sich selbst dabei ebenfalls als Teilnehmer zu verstehen (vgl. Luhmann, 2000a, S. 47-52). Dadurch wird deutlich, dass Unternehmen sehr wohl die Möglichkeit besitzen auf Inhalte ihrer direkten Umwelt zu zugreifen, die Möglichkeiten über Subsystem-Grenzen hinweg zu kommunizieren, macht die Unternehmen allerdings zu gleichwertigen Akteuren innerhalb des Systemgeflechts. Diese Position kann allerdings, sowohl positive als auch negative Aspekte mit sich bringen, worüber die Unternehmen sich noch nicht vollends im Klaren sind. Erschwert wird diese Außensicht jedoch durch die, dem Unternehmen als Organisationen zu Grunde liegende, retrospektive Betrachtungsweise ihrer Selbst und die Ungeübtheit hinsichtlich der Kommunikation über ihre Systemgrenzen hinweg.

Paradigmenwechsel Neoinstitutionalismus 

Eine weitere einflussreiche Strömung hinsichtlich des theoretischen Erkenntnisinteresse von Organisationen ist der Neoinstitutionalismus. Dieser neue Institutionalismus zeichnet sich, mit Blick auf Aktionen und Reaktionen von Unternehmen, vor allem durch die Distanzierung des Verständnisses von Legitimität und Effizienz als deckungsgleiche Erfordernisse aus. Stattdessen wird der Standpunkt vertreten, Organisationen entwickeln formal-rationale Strukturen nicht um eine hohe Effizienz bezüglich ihrer Problembearbeitung zu generieren, sondern zum Erlangen von Legitimität (vgl. Hasse/Krücken, 1999, S. 13). So wurde von bisherigen Theorien, aufgrund der Fokussierung auf die Steuerung von komplexen Netzwerken durch Koordination und Kontrolle, eine Quelle für formelle Struktur außer Acht gelassen. Bei dieser Quelle handelt es sich um die Legitimität rationalisierter formaler Strukturen. Die Elemente dieser rationalisierten formalen Struktur stellen eine Reflektion des allgemeinen Verständnisses der sozialen Realität dar. Viele Positionen und Richtlinien moderner Organisationen werden durch die öffentliche Meinung, die Meinung wichtiger Mitgliedsgruppen oder dem sozialen Ansehen, um nur einige Möglichkeiten zu nennen, beeinflusst (vgl. Meyer/Rowan, 1977, S. 43 f.). Der Neoinstitutionalismus markiert einen Paradigmenwechsel bei der Betrachtung von Organisationsbetrachtungen, da nun Legitimität, anstatt Effizienz, als existenzieller Antrieb in den Mittelpunkt rückt. 

Das Streben nach Legitimität

Organisationen streben also nicht in erster Linie nach einem maximalen Grad an Effizienz bezüglich ihrer technologischen oder organisatorischen Prozesse, sondern besitzen vielmehr die Absicht ihre Strukturen und Handlungen gegenüber ihrer Umwelt zu legitimieren (vgl. Kirchner, 2012, S. 33 f.). Hervorgegangen ist dieses Umdenken durch die Beobachtung eines Phänomens des Wirtschaftslebens, welches die Effizienz von Wirtschaftsunternehmen grundlegend in Frage stellte: Wie gestaltet sich die Überlebensfähigkeit von Unternehmen die langfristig ihren Zweck, wirtschaftlichen Profit zu erwirtschaften, verfehlen? Als Antwort auf diese Frage konnte die Forschung ein neues Konzept erarbeiten, demnach ist es Organisationen möglich effektiv zu sein, ohne dabei effizient sein zu müssen. Es ist diesen Organisationen möglich auf Ressourcen zurückzugreifen, obwohl diese eine verhältnismäßig ineffiziente Verwendung finden. Demzufolge muss es sich um Organisationen handeln für die Legitimität einen bedeutenderen Faktor darstellt als ihre Wirtschaftlichkeit (vgl. Hasse/Krücken, 1999, S. 40).Als praxisorientiertes Beispiel für diese Erkenntnisse kann der Harold Examiner genannt werden: Eine bis in die 1960er Jahre erfolgreiche Tageszeitung. Im Verlauf des darauffolgenden Jahrzehnts verschlechtert sich der Zustand radikal. Neben der sich halbierenden Auflage nehmen auch die Anzeigenannahmen rapide ab, so dass das Unternehmen einen Verlust von 10 Millionen US-Dollar verzeichnen muss. Tatsächlich wird der Harold Examiner als ehemaliges Aushängeschild des Hearst-Verlagshauses trotz der offensichtlichen Ineffizienz dauerhaft weitergeführt, ohne jedwedes Bestreben einer wirtschaftlichen Verbesserung. Zurückzuführen ist dieses Phänomen auf das Zerwürfnis der Eigentümer des Familienunternehmens, da auf der einen Seite zur Schließung des Unternehmens gedrängt und auf der anderen Seite sich für den Erhalt der Tageszeitung, angesichts des symbolischen Gewichts für das Verlagshaus ausgesprochen wurde (vgl. Meyer/Zucker, 1989, S. 31). Dieses Beispiel zeigt, dass auch die Wirtschaft keine gesellschaftsfreie Umwelt von Rationalität und Effizienzorientierung darstellt, wobei sich dies, sowohl durch den Einfluss gesellschaftlicher Erwartungen, als auch durch politische Regularien ausdrückt. Dementsprechend hebt der Neoinstitutionalismus, abseits der wirtschaftlichen Eigendynamik, die Bedeutung der sozialen Einbettung von Unternehmen hervor. Sprich die Betrachtung der Wirtschaft als sozialer Sektor mit dem Merkmal der Produktion konkreter Erwartungszusammenhänge (vgl. Hasse/Krücken, 1999, S. 45). 

Legitimität als gesellschaftlicher Zuschreibungsprozess

Die, anhand der theoretischen Grundlage herausgestellten Eigenschaften von Unternehmen, lassen die These zu Unternehmen würden sich, bevor sie eine Handlung forcieren, an den Handlungen und Gegebenheiten ihrer Umwelt orientieren. Damit rückt außerdem ein ständiger Aushandlungsprozess, hinsichtlich Legitimität stiftenden Themen zwischen den Unternehmen selbst, der Gesellschaft, der Politik und allen weiteren beteiligten Akteuren, in den Fokus. Eine ähnliche Schlussfolgerung nimmt Konstanze Senge vor, da sie ebenfalls davon ausgeht, dass das Handeln von Organisationen „maßgeblich durch die in der Gesellschaft geltenden allgemeinen Werte bestimmt wird – die natürlich immer auch in Normen übersetzt und spezifiziert werden müssen – [so] wird der Einfluss kultureller Werte auf Organisationen deutlich“ (Senge, 2011, S. 120 f.). Infolgedessen kann Legitimität als Ergebnis eines Zuschreibungsprozesses, der nicht aus der Organisation selbst, sondern anhand ihrer Umwelt also durch verschiedene Stakeholder hervorgeht, verstanden werden. Die Wahrnehmung der Organisation ausgehend von Stakeholdern gründet einerseits auf den unmittelbaren Erfahrungen und Wechselwirkungen mit der Organisation, andererseits, erheblich einflussreicher, auf der medialen Vermittlung der jeweiligen Organisation (vgl. Elsbach, 2003, S. 298 ff.). Die Legitimität, nach der die Unternehmen streben, konstruiert sich also durch die allgemein geltenden Werte der Gesellschaft und spiegelt somit eine Zusammenführung der Ansprüche aller Stakeholder wider. Damit ein Unternehmen als legitim betrachtet wird ist also eine Übereinstimmung der unternehmenseigenen Werte mit den gesellschaftlichen Werten notwendig, dabei ist die mediale Vermittlung dieser Werte wirksamer als die unmittelbaren Erfahrungen der Stakeholder. Folglich stellt die mediale Vermittlung von möglicherweise nichtzutreffenden Werten einen bequemeren und gleichzeitig effektiveren Weg dar, um einen positiven Einfluss auf die Unternehmen zu nehmen.

Einflussnahme auf den gesellschaftlichen Diskurs

Doch wie gestalten sich die von Werten getriebenen Zuschreibungsprozesse innerhalb der Gesellschaft und vor allem welche Akteure sind in der Lage diese zu beeinflussen? Eine Herangehensweise hinsichtlich der Erwartungshaltungen zwischen Unternehmen und Gesellschaft liefert Juliana Raupp. Sie stellt die These, „neben politischen und ökonomischen Faktoren vermögen auch öffentliche, insbesondere massenmedial vermittelte Diskurse die Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung von Unternehmen zu erklären“ (Raupp, 2011, S. 98), auf. Weiter identifiziert Raupp Öffentlichkeit als Netzwerk von Diskursverläufen, so ließen sich Prozesse der öffentlichen Legitimierung von ökonomischen Akteuren bestimmen. Der hier thematisierte Diskurs wird jedoch nicht als verständigungsorientierte Kommunikation verstanden, sondern als eine formale gesellschaftliche Auseinandersetzung angesichts potentiell konflikthaltiger Themen. Dabei ist laut Raupp zu beachten, die Austragung von Diskursen spielt sich heute primär in und über Massenmedien vermittelt ab, was wiederrum bedeutet, gesellschaftliche Diskurse werden durch die Strukturen und Prozesse der massenmedialen Kommunikation geprägt. Demnach sind öffentliche Diskurse strukturell durch die Rollen und die Handlungslogiken von Öffentlichkeitsakteuren zu veranschaulichen. Gesellschaftlicher Akteure verfolgen dabei, in der Rolle von Sprechern, das Ziel, den öffentlichen Diskurs für sich selbst positiv zu beeinflussen. Wobei dies in erster Linie durch das Sichtbarmachen ihrer selbst, ihrer Position in der Öffentlichkeit und in den Massenmedien geschieht. Als etablierte Sprecher können politische Organisationen, wie Regierung, Parteien oder Behörden und darüber hinaus politisches Führungspersonal genannt werden. Außerdem sind Unternehmen und Wirtschaftsverbände, die über Routine im Zugang zu Mediensystemen besitzen, ebenfalls anzumerken. Abweichend zu den etablierten Sprechern, können schwächer etablierte Sprecher, wie soziale Bewegungen oder Protestgruppen als Öffentlichkeitsakteure nur dann Aufmerksamkeit generieren, indem eine medienwirksame Inszenierung ihrer Themen stattfindet und diese somit in den öffentlichen Diskurs eingespeist werden. Vor allem soziale Bewegungen oder Protestgruppen zeichnen sich dadurch aus, dass sie vor dem Hintergrund moralischen Richtigkeit, andere von bestimmten Argumenten und Positionen überzeugen wollen und dementsprechend alle die diese moralische Richtigkeit nicht aufweisen hart angehen. Diese Gruppen, oftmals als aktivistische Teilöffentlichkeit bezeichnet, erfassen ein gesellschaftliches Problem und gehen organisiert dagegen vor. Dies geschieht indem ein Zusammenhang zwischen Unternehmen und dem Problem hergestellt wird, wodurch die Unternehmen als Problemverursacher festgelegt werden (vgl. Raupp, 2011, S. 101-108). Gerade die medienwirksame Inszenierung der Themen von schwächer etablierten Akteuren ist symbolisch für unsere aktuelle Gesellschaft. Soziale Bewegungen und die Anliegen von Protestgruppen finden heute deutlich einfacher eine medienwirksame Inszenierung, durch die von der Digitalisierung bereitgestellten Kommunikationskanäle. Durch das Verbreiten von Botschaften über Social Media-Kanäle kann schnell eine kritische Masse an Personen erreicht werden. Diese Masse ist in der Lage aus ihrem Anliegen einen gesellschaftlichen Diskurs zu generieren und somit Druck auf die Unternehmen auszuüben. Diesbezüglich ist zu beachten, konflikthaltige Themen vereinfachen den Zugang in die mediale Öffentlichkeit. Zusätzlich gilt, dass Unternehmen nicht nur einseitig durch die Organisationsumwelt bestimmt werden, sondern Organisationen als Teil der Gesellschaft diese Muster ebenfalls reproduzieren und somit in der Lage sind die Diskursverläufe zu beeinflussen. Unter dieser Prämisse und aus einer managementorientierten Perspektive kann dabei die Fokussierung der Unternehmen auf ihr kommunikatives Umfeld bestimmt werden, wodurch Unternehmen durch dialogische Kommunikation mit relevanten Gruppen versuchen Legitimität zu generieren (vgl. Raupp, 2011, S. 101-108).

Legitimationsfassaden und Täuschung

Doch als Gegenmaßnahme für die Festlegung der Unternehmen als Problemverursacher wird leider nur selten eine aktive Fehlerkultur angewandt, denn anstatt die kritisierten Praktiken einzustellen, ziehen sich die Unternehmen oftmals aus der Verantwortung. Dies geschieht beispielsweise indem die Moralisierung des Diskurses skandalisierbare Markthandlungen aufgreift, einzelne Manager des unmoralischen Handelns anklagt und diese dafür sanktioniert (vgl. Heinrich/Lobigs, 2004, S. 211-230). Ein Vorgehen, welches durchaus auch in jüngster Zeit von Unternehmen angewendet wurde, betrachtet man die Ereignisse des Diesel-Skandal im Umfeld des VW-Konzerns, bei denen wie hier beschrieben einzelne hochrangige Manager als Verantwortliche kommunikativ in den Mittelpunkt gestellt wurden. Passend zu diesem Phänomen beschreibt Günther Ortmann ein Maß an Heuchelei welches mit Öffentlichkeitsdarstellungen und Legitimitätsbestrebungen einhergeht. Er verweist auf den Sachverhalt, dass die Automobilindustrie, trotz Skandale, in der Lage ist ungestört ihr Tagesgeschäft weiter zu verfolgen, so lange sie durch ihre Kommunikation genügend Aufmerksamkeit auf nachhaltige Konzepte, wie Katalysatoren, Recycling oder Hybrid-Motoren lenkt. Demnach betont Ortmann, dass Legitimationsfassaden und Heuchelei oftmals als Ersatz für Verantwortlichkeit genutzt werden, wobei dies durchaus ohne eine willentliche Absicht der Täuschung stattfinden kann. Dies resultiert aus der räumlichen oder prozessualen Trennung, der Organisations-Abteilungen, die für die unterschiedlichen Aufgaben wie Entscheidungen, Kommunikation oder Ähnliches verantwortlich sind, woraus sich die Schwierigkeit einer moralischen Zurechnungsfähigkeit ergibt (vgl. Ortmann,  2015, S. 192 f.). Die hier angesprochene prozessuale Trennung unterstreicht erneut die typischen autopoietischen Charakteristika von Unternehmen, denn wie es scheint sind auch die einzelnen Subsysteme der Organisation Einschränkungen hinsichtlich ihrer Außensicht und Selbstbetrachtung unterworfen. Am Ende bleibt die Frage offen, ob Unternehmen Legitimitätsfassaden unwillentlich, durch die ihnen zu Grunde liegenden Strukturen und Prozesse, anwenden, oder ob doch berechnende Heuchelei aus Bequemlichkeit der Grund dafür ist. Außer Frage steht jedoch, dass das Streben nach Legitimität existenziell für die Unternehmen ist. Doch in Zeiten von digitaler Kommunikation und wachsenden gesellschaftlichen Ansprüchen ist es für die Unternehmen, nicht nur schwieriger geworden der Vielzahl an Ansprüchen gerecht zu werden, sondern auch mögliche Heucheleien zu verschleiern.

Fazit:

Ausgehend von einer theoretischen Perspektive bei der Betrachtung von Unternehmen sollten Ursachen hinsichtlich der Handlungen und Eigenschaften dieser in der Praxis aufgezeigt werden. Um dies vorzunehmen wurde auf die Erkenntnisse der Organisationssoziologie zurückgegriffen. Dabei konnten durch die Ausführungen Niklas Luhmanns, die Wichtigkeit der Organisations-Umwelt für die Unternehmen herausgestellt werden. Denn erst durch die Betrachtung der Umwelt sind die Organisationen, beziehungsweise Unternehmen, in der Lage äußere Sachverhalte aufzufangen. Dies ermöglicht den Organisationen Strömungen oder Veränderungen in ihren Aufmerksamkeitsradius aufzunehmen, die ihnen sonst verborgen bleiben würden. Diese Eigenschaften schreibt Luhmann sich selbst erzeugenden, den sogenannten autopoietischen, Systemen zu. Diese zeichnen sich außerdem durch die retrospektive Betrachtung ihres eigenen Handelns aus, wodurch sie ihre Handlungen lediglich rückblickend bewerten können. Übertragen auf Unternehmen konnte die Schlussfolgerung getätigt werden, dass durch ihre autopoietischen Eigenschaften eine angemessene Reaktion auf sich verändernde Rahmenbedingungen ihrer Umwelt, beziehungsweise des Marktes, erschwert wird.

Weitere gewichtige Erkenntnisse konnten aus der Theoriegrundlage des Neoinstitutionalismus gezogen werden, die einen Paradigmenwechsel hinsichtlich des Verständnisses der fundamentalen Bestrebungen von Organisationen darstellt. Im Rahmen dieses Theoriekonstruktes wurde sich hinsichtlich des Verständnisses von Legitimität und Effizienz als deckungsgleiche organisatorische Erzeugnisse weites gehend distanziert. Stattdessen fokussiert der Neoinstitutionalismus Legitimität als den existenziellen Antrieb der Organisationen zu Grunde liegt. Die Unternehmen streben somit danach sich selbst und ihre Handlungen gegenüber ihrer Umwelt zu legitimieren. Am Beispiel des Harold Examiner konnte aufgezeigt werden, in welchen möglichen Formen sich diese Eigenschaft in der Praxis manifestieren kann. An dieser Stelle war es möglich eine maßgebliche Erkenntnis festzuhalten, denn nicht der wirtschaftliche Faktor ist für die Unternehmen richtungsweisend, sondern der Faktor Legitimität überwiegt. Diese Erkenntnis kann in der wirtschaftlichen Sphäre, in der sich die Unternehmen befinden durchaus als paradox bezeichnet werden. Nachdem Legitimität als ein existenzieller Antrieb von Unternehmen identifiziert werden konnte, war es notwendig die Konstruktion von Legitimität zu fokussieren. Legitimität zeigte sich als Zuschreibungsprozess, der aus der Umwelt der Organisationen heraus stattfindet. Das Generieren von Legitimität seitens der Unternehmen stellt somit ganz deutlich einen wechselseitigen Prozess zwischen dem Unternehmen und seiner Umwelt, also seinen Anspruchsgruppen, dar. Folglich konstruiert sich Legitimität aus den allgemein gültigen Werten der Gesellschaft, wodurch die Unternehmen angehalten sind eine Übereinstimmung ihrer unternehmenseigenen Werten mit denen der Gesellschaft zu erreichen.

Doch neben den Unternehmen versuchen auch andere Öffentlichkeitsakteure den gesellschaftlichen Diskurs in ihre Richtung positiv zu beeinflussen. Dies ist am effizientesten mit Hilfe massenmedial gesteuerter Diskurse möglich. Somit haben zu meist die Akteure die besten Chancen den Diskurs positiv für sich zu beeinflussen, die einen routinierten Zugang zu Massenmedien haben. Allerdings konnte außerdem herausgestellt werden, dass auch schwächere Akteure, vor allem in der heutigen digitalisierten Zeit, durchaus die Möglichkeit besitzen ihre Themen so zu inszenieren, dass diese in der Lage sind Druck auf die Unternehmen auszuüben. Dies geschieht indem eine aktivistische Teilöffentlichkeit gesellschaftliche Probleme identifiziert und die Unternehmen als Problemverursacher in die Verantwortung zieht. Doch auch die Unternehmen sind in der Lage den gesellschaftlichen Diskurs in eine für sie positive Richtung zu lenken, dafür stehen ihnen die gleichen Mittel zur Verfügung, auf die auch alle anderen Öffentlichkeitsakteure zugreifen können. Für die Unternehmen resultiert im Rahmen des Legitimitätszuschreibungsprozesses vor allem die Erkenntnis über die Wichtigkeit der Ansprache aller für sie relevanter Gruppen. In der Praxis wählen die Unternehmen jedoch oftmals andere Strategien um ihrem Streben nach Legitimität gerecht zu werden. Entweder ziehen die Unternehmen sich aus der Verantwortung und statuieren ein Exempel an einzelnen Mitarbeitern um die Schuld von sich zu weisen, oder greifen zu einer Legitimationsfassaden. Bei diesen wird der Gesellschaft, zumeist massenmedial, die Übereinstimmung mit den geforderten Werten nur vorgetäuscht, in Wahrheit aber keine wirkliche Änderung der kritisierten unternehmenseigenen Werte vorgenommen.

In einer sich schnell verändernden Welt, die geprägt ist von neuen Kommunikationsmöglichkeiten und wachsenden gesellschaftlichen Ansprüchen, sehen sich die Unternehmen mit immer neuen Herausforderungen konfrontiert. Doch trotz der schnelllebigen Zeit sind die elementaren Theoriegrundlagen hinsichtlich des organisatorischen Kerns von Unternehmen unverändert aktuell. Demnach soll abschließend darum angehalten werden von Zeit zu Zeit die komplexen Wechselwirkungen von Unternehmen und ihrer Umwelt losgelöst in einem theoretischen Kontext zu betrachten. Solch ein Vorgehen könnte durchaus in der Lage sein Lösungs- beziehungsweise Optimierungsansätze für das Generieren von Legitimität, vor dem Hintergrund wachsender gesellschaftlicher Ansprüche, hervorzubringen.

Literaturverzeichnis:

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Meyer, M. W./Zucker, L. G. [1989] Permanently Failing Organizations. Newbury Park, 1989.

Ortmann, G. [2015] Organisation und Moral. Die dunkle Seite, 2. Aufl., Weilerswist 2015.

Raupp, J. [2011] Die Legitimation von Unternehmen in öffentlichen Diskursen, in: Raupp, J./Jarolimek, S./Schultz, F. (Hrsg.): Handbuch CSR. Kommunikationswissenschaftliche Grundlagen, disziplinäre Zugänge und methodische Herausforderungen Mit Glossar, Wiesbaden 2011.

Rommerskirchen, J. [2017] Soziologie & Kommunikation. Theorien und Paradigmen von der Antike bis zur Gegenwart, 2. Auflage, Wiesbaden 2017.

Senge, K. [2011] Das Neue am Neo-Institutionalismus. Der Neo-Institutionalismus im Kontext der Organisationswissenschaft, Wiesbaden 2011.

 

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