Pia Zietz: Beziehungen zu Menschen und Marken – Entscheidungsmotive der Generation Y

Um erfolgreiches Marketing betreiben zu können, ist das Wissen über die Zielgruppe unerlässlich. Somit wird im vorliegenden Artikel reflektiert, unter welchen Bedingungen die Generation Y, eine Generation junger, gebildeter und kritischer Personen, die im Zeitalter des Individualismus aufgewachsen sind, bereit ist, sich zu binden. Hierbei werden hypothetische Parallelen zwischen Bedingungen für Paarbeziehungen und Beziehungen zu Marken aufgezeigt. Um herauszufinden, unter welchen Bedingungen die Generation Y Beziehungen zu Menschen und Marken eingeht, dient der Diskurs unterschiedlicher Perspektiven aus marketingtheoretischer sowie soziologischer Sicht. Interviews mit acht Probanden der Generation Y bereichern den Erkenntnisgewinn. Entgegen theoretischer Annahmen ist die Generation Y nicht darauf bedacht, eine vollständige Individualisierung anzustreben. Der Fokus scheint auf einem integrierten Individualismus zu liegen, der die Selbstverwirklichung auf Basis von Gemeinschaftlichkeit anstrebt. Ein beobachtbares Phänomen, das offenbar der Schlüssel zum Bindungsverhalten der Generation Y zu sein scheint, ist die neu interpretierte kohärente Identität. Daraus resultierend schlägt dieser Artikel ein neues Akteurmodell vor – das des Homo identitas. Dieser verbindet Entscheidungsmotivationen des Homo oeconomicus und des Homo sociologicus und beachtet dabei zeitgeistige und gesellschaftliche Entwicklungen, die die individuelle Identität in den Mittelpunkt stellen. Zusammengefasst geht die Generation Y offenbar dann Beziehungen und Bindungen zu Menschen und Marken ein, wenn diese für die individuelle Interpretation des Ziels der Selbstverwirklichung sinngebend erscheinen. Hierbei stehen vor allem rational wirkende Begründungen von Entscheidungen im Mittelpunkt. Für das (Beziehungs-)Marketing lautet die daraus resultierende Empfehlung, die Aspekte, die die Generation Y als identitätsbestimmend wahrnimmt, z. B. vermeintlich rationale Beweggründe für Kaufentscheidungen, besonders zu bedienen.

 

Menschen und Marken in Beziehungen – eine Einführung

Die Generation Y ist inmitten des heutigen Individualisierungstrends aufgewachsen, hat mehr Möglichkeiten als vorangegangene Generationen, aber ist deshalb auch vermehrt Entscheidungssituationen ausgesetzt. Der Wunsch, Entscheidungen zur individuellen Selbstverwirklichung autonom und zwanglos zu treffen, gleichzeitig aber den gesellschaftlichen Anforderungen nachzukommen, kann hierbei zu Orientierungslosigkeit herbeiführen. So befindet sich die Generation Y in einem stetigen Spannungsverhältnis zwischen Individualisierung und gesellschaftlichen Normen. Die Auswirkungen zeigen sich vor allem in diversen gesellschaftlichen Bereichen, in denen soziale Beziehungen geführt werden. In aktuellen Diskussionen wird der Generation Y häufig der Begriff „beziehungsunfähig“ (vgl. z. B. Nast 2016) in Bezug auf Partnerschaften zuteil. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn es um langfristige und feste Bindungen geht.

Abgesehen von der zwischenmenschlichen, soziologischen Perspektive ist die Problematik der Beziehungsfindung und Bindungsbereitschaft auch aus der Perspektive des Marketings interessant. Die gegenwärtige Literatur rückt immer wieder die Wichtigkeit von Beziehungen zwischen Unternehmen und Kunden in den Fokus und untersucht hierbei, welche Bedeutungen Marke-Kunden-Beziehungen haben. Nicht nur das Beziehungsmarketing als solches, sondern vor allem die Marke selbst, stellt in diesem Artikel eine wichtige Beobachtungsgröße dar. Dabei werden die Annahmen, dass Menschen Marken wie Menschen kategorisieren (vgl. Aaker 1997, S. 347 ff.) und dass Marken als emotionale Beziehungspartner für Menschen fungieren können (vgl. Fournier 2005, S. 212 ff.), in den Mittelpunkt gerückt.

Die daraus resultierenden Annahmen dieses Artikels lassen sich natürlich nicht auf alle Akteure der Generation Y beziehen, dennoch gilt die Gruppe insgesamt als Betrachtungsobjekt. Sie erscheint deshalb besonders relevant, da sie die derweil jüngste, vollständig aktive und gleichzeitig besonders fordernde Wirtschaftsgeneration darstellt (vgl. Huber/Rauch 2013, S. 14). Der Name der Generation Y wurde das erste Mal 1993 in der Zeitschrift Ad Age verwendet. Hier wurde die Generation den zwischen 1984 und 1995 Geborenen zugeschrieben (vgl. Parment 2009, S. 15). In Deutschland werden auf ihr wirtschaftliches Agieren bezogen, die zwischen 1980 und 1995 bzw. 1996, also die zwischen 20 und 35 Jahre alten Personen betrachtet (vgl. Huber/Rauch 2013, S. 14). Die Generation Y zeichnet sich dabei durch verschiedene Merkmale aus: Überdurchschnittlich viele Personen dieser Generation sind gut qualifiziert und gebildet, verstehen die neuen Medien, sind kreativ und offen und stellen in der Konsequenz bestehenden Muster, Normen und Gegebenheiten in Frage. Durch diese Gruppe, der sogenannten High Potentials, wird das Bild der Generation geprägt (vgl. Purgal 2015, S. 12).

Im Mittelpunkt des Werteverständnisses der Generation Y scheinen Familie, Zusammengehörigkeit, Harmonie und die eigene Selbstverwirklichung zu stehen (vgl. Kienbaum Institut @ ISM für Leadership & Transformation GmbH 2015, S. 6 ff.). Währenddessen lässt die Bedeutung von Marken als Statussymbole offenbar immer weiter nach (vgl. z. B. Schröder 2016, o. S., Havas Media Group 2015, o. S.).

Vor dem Hintergrund der Theorien von Aaker und Fournier werden im vorliegenden Artikel die Bindungskonflikte der Generation Y dargestellt, analysiert und der Umgang der Akteure reflektiert. Es soll untersucht und im Anschluss dargelegt werden, auf Basis welcher Faktoren die Generation Y, eine Generation junger, gebildeter und kritischer Personen, Beziehungen und Bindungen zu Menschen und Marken einzugehen bereit ist. Somit ergibt sich die Forschungsfrage: Unter welchen Bedingungen ist die Generation Y bereit, Beziehungen und Bindungen zu Menschen und Marken einzugehen?

Zur Beantwortung der Forschungsfrage werden marketingtheoretische und soziologische Ansätze, aktuelle Studien, sowie eine eigene qualitative Forschung hinzugezogen. Die dargestellte Problematik der Generation Y, die offenbar veränderten Einstellungen zu Beziehungen zu Menschen und Marken und die veränderte Bindungsbereitschaft, die als Ausgangspunkt unterstellt wird, erfordern eine Analyse dessen, was ebendiesen zugrunde liegt.

So können auf Grundlage der soziologischen Betrachtungen, Empfehlungen für die zukünftige Bearbeitung der Zielgruppe der jungen Erwachsenen gegeben werden. Der Artikel dient nicht dazu, Tatsachenbehauptungen aufzustellen. Es werden vielmehr vor allem solche Thesen generiert, die dazu anregen sollen, bisherige soziologische und marketingtheoretische Betrachtungsweisen zu überdenken und aus differenten Perspektiven zu beleuchten. Auf Grundlage der Annahme enger Verbindungen zwischen soziologischen Veränderungen und marketingtheoretischen Herangehensweisen, werden Empfehlungen für das weitere Vorgehen im Bereich (Beziehungs-) Marketing formuliert.

Das Beziehungsmarketing als Grundlage

Die Ausdifferenzierung der Märkte, der Trend zur Individualisierung – der heutige Zeitgeist fußt nicht zuletzt auf sozialen und ökonomischen Entwicklungen und beeinflusst diese gleichzeitig maßgeblich. Da im vorliegenden Artikel der Einfluss sozialer Entwicklungen auf die Bedeutung von Marken und der entsprechenden Markenkommunikation bzw. dem Marketing behandelt wird, müssen auch die Ziele, die das Konstrukt Marke verfolgt, näher beleuchtet werden. Nach Burmann sollte eine Marke vor allem drei grundsätzliche Funktionen erfüllen: Sie sollte einen symbolischen Mehrwert besitzen, beim Kunden Vertrauen erzeugen und diesem Orientierung geben (vgl. Burmann et al. 2015, S. 2 f.).

Seit den 1990er Jahren ist das Marketing stark auf die Kundenorientierung ausgelegt, in den 2000ern etablierte sich die Beziehungsorientierung, um Barrieren, wie stetig wechselnde Marktbedingungen, überbrücken zu können und Marke-Kunden-Beziehungen so aufrecht zu erhalten (vgl. Bruhn 2016, S. 18.). Das daraus resultierende Beziehungsmarketing fokussiert vor allem die Wechselbeziehung zwischen Kunden und Unternehmen und versucht, die affektiven, konativen sowie kognitiven Determinanten des Kunden durch Interaktion zu analysieren, zu verstehen, zu beeinflussen und so eine langfristige Bindung des Kunden an Produkt und Unternehmen, statt nur einen kurzfristigen Kaufakt zu erzielen (vgl. Bruhn 2016, S. 31, S. 206 f.).

Der Kunde ist mittlerweile zum strategischen Partner des Unternehmens geworden. Seine Meinung über Unternehmen und Produkt sind ebenso entscheidungsrelevant, wie der rein ökonomische Erfolg (vgl. Burmann et al. 2007, S. 9). In der heutigen Zeit gelten die Vielzahl, die Homogenität und die Austauschbarkeit von Marken und Produkten für Kunden als verunsichernd (vgl. Helmke et al. 2013, S. 5, White 2015, S. 141). Morgan und Hunt schreiben, bezogen auf die Komplexitätsreduktion, vor allem der Vertrauensfunktion von Marken einen hohen Stellenwert zu (vgl. Morgan/Hunt 1994, S. 26). Darüber hinaus gilt es als besonders wichtig, dass das Vertrauen im späteren Verlauf in einer Bindung mündet. Beziehungsmarketing als Begriff impliziert zwar, dass in erster Linie auf eine generelle Beziehung abgezielt wird, die auch kurzfristiger Art sein kann. Langfristig und als eigentliches Ziel gilt jedoch die Kundenbindung in Form der „Verbundenheit“ (Bruhn 2009, S. 85) als besonders relevant. Dabei steht viel mehr die psychische Verbindung des Kunden im Mittelpunkt, als die durch Wechselbarrieren herbeigeführte (vgl. Bruhn 2009, S. 86 f.).

Beziehungen im Spannungsverhältnis zwischen Individualisierung und Gemeinschaft

Da der vorliegende Artikel ähnliche Bedingungen für Beziehungsführungen zu Menschen wie zu Marken untersucht, wird im Folgenden zunächst das Konstrukt der zwischenmenschlichen Beziehung aus soziologischer Perspektive näher betrachtet.

In der heutigen Zeit scheinen vor allem die Möglichkeiten zur Individualisierung und die damit einhergehende Ausbildung der Identität als Grundlage für Entscheidungen für Paarbeziehungen zu fungieren. Beck beschreibt die Identitätsbildung von Individuen im Rahmen der Individualisierung beispielsweise als Loslösung des Einzelnen von der Gesellschaft indem jeder autonom seine individuelle Biographie formen kann. Doch diese Freiheit wird in Becks Individualisierungsthese nicht als Freiheit, sondern vielmehr als „paradoxer Zwang“ (Beck/Beck-Gernsheim 1993, S. 179) zur Selbstverwirklichung wahrgenommen (vgl. Beck/Beck-Gernsheim 1993, S. 179 f., Beck 1994, S. 47 f., Beck 2015, S. 205).

Im Vergleich zu Pierre Bourdieus Ausführungen wird dieser Standpunkt besonders deutlich. Bourdieu beschreibt die Entstehung der Identität des Einzelnen als Ergebnis seines gesellschaftlichen Umfeldes und des damit einhergehenden Habitus. Für Bourdieu hängt die Identität des Einzelnen also allein davon ab, wie er sozialisiert wurde und welche Verhaltensweisen und Normen implementiert wurden (vgl. Bourdieu 1987, S. 25, Bourdieu 2014, S. 277).

Zwischen der Idee des kollektivistisch motivierten Handelns von Bourdieu, und Becks Ausführungen, die einem individualistischen Paradigma folgen, kann Ralf Dahrendorfs Interpretation eingeordnet werden. Er geht zwar, ebenfalls wie Beck, von individualistischen Handlungsmotivationen aus, sieht den Einzelnen allerdings in einem existenten Wechselverhältnis zur Gesellschaft und argumentiert hierbei eher auf der Grundlage eines interpretativen Paradigmas (vgl. Rommerskirchen 2017, S. 337).

Dahrendorf betrachtet die Wechselbeziehungen von Optionen zur Selbstverwirklichung und Erwartungen an das Individuum. Für den Einzelnen ergeben sich verschiedene „Lebenschancen“ (Dahrendorf 1979, S. 49) zur Selbstverwirklichung. Diese treten aber nach Dahrendorf immer in Abhängigkeit von „Optionen und Ligaturen“ auf (Dahrendorf 1979, S. 50). Die Ligaturen ergeben sich aus den speziellen Erwartungen an das Subjekt in seiner Rolle und weisen die Grenzen der Lebenschancen auf. An den Lebenschancen können Individuen daraus resultierend nach Dahrendorf wachsen, aber auch scheitern, je nachdem ob sie mit den Ligaturen, die wie Bindungen zu verstehen sind, ins Reine geraten oder nicht. Dementsprechend sind Menschen nach Dahrendorf zwar frei und innerhalb von Ligaturen begrenzt individualisiert, aber auch immer abhängig von gesellschaftlichen Konsequenzen (vgl. Dahrendorf 1979, S. 49 ff.).

Folgt man Dahrendorfs Überlegungen, so ist der Einzelne zwar frei darin, sich für oder gegen Beziehungen zu entscheiden, ist dabei aber immer bestimmten Bedingungen und Erwartungen ausgesetzt. Diese Annahme scheint am ehesten mit den Gegebenheiten in modernen Gesellschaften übereinzustimmen.

Nach Mead setzt sich die erlernte Identität des Einzelnen aus dem Me und dem I zusammen (Mead 1973, S. 216). Während das Me dem Akteur zuweist welche Rolle er für sein Gegenüber darstellt, bezeichnet das I die tatsächliche Beziehung des Individuums zu seinem Interaktionspartner, also die Reaktion, die unabhängig von gesellschaftlichen Normen geschieht und aus dem Akteur überhaupt erst ein Individuum bildet (vgl. Mead 1973, S. 217 ff.).

 Mead setzt voraus, dass der jeweils andere Interaktionspartner in der Kommunikation dieselben „signifikante[n] Symbole“ (Mead 1973, S. 187) nutzt, wie sie in der eigenen Sozialisation ausgebildet worden sind. Somit ist für Mead die Rollenübernahme in einer Art Empathie selbstverständlich. Herbert Blumer hingegen unterstellt in seiner Weiterentwicklung der Theorie, dass die Bedeutung der Dinge, und damit die Identität der Kommunikationspartner und ihrer Beziehung zueinander, erst in der Interaktion entstehen. Die Bedeutungen der Dinge, der Situation und die Identität selbst werden also ausgehandelt. So können Bedeutungen sich in unterschiedlichen Interaktionen situationsbedingt unterscheiden und sind nicht immer gleich (vgl. Blumer 1997, S. 1 ff.).

In Erving Goffmans Ausführungen kommt es in diesen Interaktionen auch dazu, dass einer der Akteure eine Fassade präsentiert. Auch bei Goffman entstehen die Bedeutungen der Dinge in der Interaktion, hängen aber auch davon ab, wie sehr sie einer Inszenierung und einem Spiel mit den eigenen Rollen unterliegen, um einen erwünschten Eindruck zu hinterlassen (vgl. Goffman 1973, S. 95 ff., Goffman 2003, S. 19 ff.).

Die diskutierten Theorien und Annahmen verdeutlichen, inwiefern Rollen das Selbst in Beziehungen beeinflussen können und inwieweit es hierbei zu Konflikten kommen kann. Der Rollenbegriff setzt immer eine Form von Interaktion voraus, was wiederum bedeutet, dass das Subjekt in Abhängigkeit von anderen gesehen wird. Bei einer Paarbeziehung setzt das Konstrukt an sich aus der interpretativen Sicht eine Interaktion voraus. Wer Subjekte in Beziehungen sind und inwiefern sich die Rolle des jeweiligen Beziehungspartners in der Beziehung formt, etabliert oder verändert, hängt von der Betrachtungsweise ab. Vermutlich ist auch hier eine Kombination aus den Ansätzen die zielführendste Interpretation in Bezug auf (moderne) Partnerschaften. Auch in Beziehungen basiert das Selbst des Subjektes immer ein Stück weit auf dessen früherer Sozialisation, wird aber auch durch die Situation, die Erwartungen des Beziehungspartners sowie den Wunsch, den das Subjekt an sich selbst als Rolleninhaber hegt, geformt.

Drei Modelle der Partnerwahl

Wenn man davon ausgeht, dass Individuen ihre Identität erst durch Beziehungen ausbilden, dann können auch Paarbeziehungen als identitätsbildende Konstrukte wahrgenommen werden. In der Soziologie lassen sich vor allem drei verschiedene Modelle der Partnerwahl voneinander abgrenzen. Hierzu gehören die Homophilie bzw. die Ähnlichkeitshypothese sowie die Heterophilie bzw. die Komplimentaritätshypothese (vgl. z. B. Lazarsfeld/Merton 1954, S. 23, Lenz 2009, S. 72) und die Idee der Beziehung als Interaktionsprozess (vgl. Lenz 2009, S. 65 ff.).

Während die Heterophilie als wissenschaftlicher Begriff für „Gegensätze ziehen sich an“ steht, fußt die Idee der Homophilie auf der Idee, dass Beziehungen dann besonders erfolgreich geführt werden können, wenn sich die Beziehungspartner in Sozialisation, Werten und Interessen sehr ähnlich sind – „Gleich und gleich…“. Die Beziehungsführung als stetiger Austauschprozess nach Lenz, basiert weniger auf Ähnlich- oder Gegensätzlichkeit der Beziehungspartner, sondern vielmehr auf andauernder „beidseitiger Wissensakkumulation“ (Lenz 2009, S. 193) über Dinge und das jeweilige Selbst. Diese Wissensakkumulation führt im besten Falle zu einer andauernden Übereinstimmung zwischen den Beziehungspartnern und so zu einer langwährenden Beziehung und festen Bindung (vgl. Lenz 2009, S. 192 ff.).

An allen drei Modellen lassen sich ihre jeweiligen Grenzen kritisieren. Keines der vorgestellten Modelle erfasst den gesamten Umfang an Begründungen für oder gegen Beziehungen und kann als alleinige Antwort in Bezug auf die Forschungsfrage genutzt werden.

Während sich sowohl die Idee von Gleich und Gleich, als auch die der Anziehung durch Gegensätzlichkeit vor allem auf den Einfluss der gesetzten Identität des Subjektes beziehen, fokussiert sich das Modell der Interaktion darauf, dass Beziehungen immer eine Frage der erfolgreichen gemeinsamen Wirklichkeit sowie einer in der Interaktion entstandenen Beziehungsidentität sind. Damit wird zu großen Teilen die tatsächliche Wirkung bzw. der Einfluss des einzelnen Identitätsträgers vernachlässigt. Lediglich sein für den Partner dargestelltes Selbst wird in der Theorie von Lenz näher betrachtet. Inwiefern das innere Selbst Einfluss nimmt, oder durch die Beziehung beeinflusst wird, bleibt weitestgehend offen. Bei Homophilie und Heterophilie werden hingegen Interaktionseinflüsse vernachlässigt, da ausschließlich die Voraussetzungen für Interaktionen beobachtet werden, nicht aber der Einfluss dieser.

Drei Modelle der Entscheidungsfindung

Ein weiterer wichtiger Aspekt bezüglich der Beziehungsführung ist die Entscheidung für oder gegen ein solches Konstrukt. Wie Entscheidungen getroffen werden, versucht die Soziologie durch verschiedene Akteurmodelle zu erklären. Der Ökonom Gary Becker geht davon aus, dass Menschen Entscheidungen aufgrund nutzenmaximierender Zielsetzungen und Präferenzen treffen. Er setzt voraus, dass Entscheidungen niemals bewusst rational – sondern unterbewusst ökonomisch getroffen werden (vgl. Becker 2014, S.97 ff). Für Becker sind also Entscheidungen dann ökonomisch, solange sie entsprechend der Präferenz erklärbar bleiben. Für den Ökonomen folgen demnach auch Entscheidungen für oder gegen Beziehungen automatisch immer einer Kosten-Nutzen-Rechnung.

Ralf Dahrendorf sieht den Einzelnen als Homo sociologicus, als einen Akteur, der soziale Rollen bekleidet und Entscheidungen immer unter Beachtung der Erwartungen an seine sozialen Rollen trifft. Für ihn existieren die Gesellschaft und der Einzelne nicht bloß nebeneinander. Beide sind vielmehr direkt miteinander verbunden. Für Dahrendorf ist der Homo sociologicus ein unfreier Mensch, der sämtliches Handeln danach ausrichtet, welche Konsequenzen diese im Kontext der Gesellschaft haben – er ist nur innerhalb der Erwartungen frei in seinen Entscheidungen (vgl. Dahrendorf 2010, S. 37 ff.). Uwe Schimank etabliert zusätzlich zu den beiden bekannten Modellen den Identitätsbehaupter, der seine Entscheidungen auf Basis seiner Ansprüche an sein Selbst trifft (vgl. Schimank 2002, S. 124). „Normativen Selbstansprüche sind solche Sollensvorgaben für das eigene Handeln, deren Nichteinhaltung die betreffende Person als Scheitern des eigenen Lebens begreifen würden“ (Schimank 2002, S. 124).

Alle vorgestellten Modelle zeigen wichtige Aspekte unterschiedlicher Entscheidungsmotivationen auf. Dennoch lässt sich schwerlich ein Modell als alleingültige deklarieren, insbesondere bezogen auf Entscheidungsmuster einer jungen Generation. Ein prägnanter Kritikpunkt an Schimanks Modell ist, dass er dem Identitätsbehaupter ein intrinsisch verankertes Selbstbewusstsein unterstellt. Er definiert an keiner Stelle, wie überhaupt die Identität des Einzelnen entsteht, sondern setzt sie als gegeben voraus. Eine solche Ausführung ist jedoch entscheidend, um zu verstehen, welchen Einfluss die Identität auf Entscheidungen für oder gegen Beziehungen haben kann.

Auch laut Schimank sind vermeintlich final überlegte, rationale Entscheidungen bei wachsender Komplexität der zu entscheidenden Sache quasi nicht existent. Maximal möglich sei hier das Treffen von Entscheidungen, das dem Akteur und bzw. oder seinem Gegenüber das Gefühl einer gewissen rationalen Wahl vermittelt und eine tatsächliche Rationalität zeitweise unterstützen kann. Er bezeichnet diese Entscheidungssituationen als Rationalitätsfiktionen. Diese sind demnach Vorgänge, die wirken, als würden sie auf rationalen Entscheidungen basieren. Akteure glauben folglich, rationale Entscheidungen getroffen zu haben und demnach auch rationale Handlungen folgen gelassen zu haben. Nach Schimank folgen sie aber nur Handlungsoptionen, statt einer tatsächlich autonomen Entscheidung für oder gegen alternative Optionen. Der Autor bezeichnet diesen Weg der Rationalitätsfiktion insofern als dienlich, als dass der Akteur weniger Zeit für die Entscheidung aufbringen muss, weniger unsicher ist und sein Handeln für legitim hält, da es für ihn aus einer vermeintlich rationalen Entscheidung hervorgegangen ist (vgl. Schimank 2005, S. 370 ff).

Dieses Modell nach Schimank, das vor allem die Rechtfertigung von Entscheidungen vor sich selbst und vor anderen in den Mittelpunkt der Beobachtung rückt, erscheint als zielführend, wenn man Entscheidungsprozesse des Alltags reflektiert. Auch die Entscheidung für oder gegen eine Beziehung kann in der eigenen Wahrnehmung des Subjektes als Rationalitätsfiktion auftauchen. Das geschieht indem der Einzelne selbst glaubt, dass z. B. die Entscheidung für die Selbstverwirklichung und gegen die Beziehung rational gewesen sei. Die Entscheidung unterliegt also tatsächlich der eigenen Einschätzung und ist, um die Verbindung zu Becker zu ziehen, auf den ersten Blick vielleicht ökonomisch, aber in keinem Falle tatsächlich rational. Sie unterliegt auch immer der Emotionalität und nur den beobachtbaren Präferenzen, nicht aber dem tatsächlichen Kosten-Nutzen-Verhältnis, dass sich eventuell durch das Eingehen der Beziehung ergeben hätte. Schließlich ist es dem Einzelnen nicht möglich, in die Zukunft zu schauen, weshalb eine tatsächlich rationale Entscheidung quasi unmöglich ist.

Ergebnisse der Leitfadeninterviews: Die kohärente Identität der Generation Y

Um die tatsächlichen Beweggründe der Entscheidungsfindung für oder gegen Beziehungen zu Menschen und Marken verstehen und Hypothesen formulieren zu können, ist es unerlässlich, die Generation selbst zu Wort kommen zu lassen. Hierzu wurden acht qualitative Leitfadeninterviews mit vier Singles und vier Personen in Paarbeziehungen (jeweils zwei Männer und zwei Frauen) im Alter zwischen 25 und 31 Jahren geführt. Nach Abschluss wurden die Interviews transkribiert und zu Auswertungszwecken mit verschiedenen Codes versehen. Die gebildeten Kategorien fassen thematische Schwerpunkte der Interviews zusammen: Persönliches Markenmanagement, Persönliches Beziehungsmanagement, Selbstmanagement & Karrieremanagement.

Ergebnis der sogenannten selektiven Kodierung (vgl. Strauss/Corbin 1996, S. 94) ist dabei die Beobachtung des übergreifenden Phänomens der kohärenten Identität. Der Begriff kohärente Identität wurde zwar bereits zuvor u. a. vom Soziologen Stuart Hall genutzt, wird aber im vorliegenden Artikel anders definiert. So beschreibt die kohärente Identität hier die zusammengesetzte, zusammenhängende und bestenfalls (!) widerspruchsfreie Identität und nicht, wie von z. B. Hall beschrieben, die vollständig einheitliche Identität (vgl. Hall 1994, S. 183.).

Es wurde in den Interviews deutlich, dass die Befragten in allen drei ausgemachten Kategorie-Bereichen nach ähnlichen Mustern Entscheidungen zu treffen scheinen. Sämtliche Handlungsentscheidungen in den drei beschriebenen Lebensbereichen gelten als Einzelphänomene zur Identitätsbildung bzw. zur kohärenten Identität und führen in der Summe und in Abhängigkeit voneinander zu dem was die Befragten sind oder sein wollen. Bei der Bewertung des Nutzens der Entscheidungen für die Ausbildung der kohärenten Identität spielen sowohl emotionale als auch rationale Komponenten ein.

Im Bereich Markenmanagement wird als Bindungsvoraussetzung vor allem der eigene Anspruch an Ehrlichkeit, Transparenz, Stilkonformität und die Unterstützung des Qualitätsbewusstseins der einzelnen Befragten als Voraussetzung für das Vertrauen in Marken und die Entscheidungen für den Verbleib oder Wechsel von Marken als relevant dargestellt. Die Befragten folgen vermeintlich rationalen Begründungsmustern, die jedoch immer auch emotional konnotiert erscheinen. Marken werden angeblich nicht als Statussymbol und argumentativ nur wegen ihres vermeintlich rational begründbaren Nutzens wie Qualität konsumiert. Jedoch stellen sie hinsichtlich ihres Nutzens für den individuellen Stil eben doch gewisse Statussymbole dar. Dies geschieht zwar nicht über den Namen der Marke und über ihren Preis, aber eben dadurch, dass das Markenprodukt als Symbol für die eigene Identität fungieren und zeigen soll, wer derjenigen sein möchte.

Die Bereitschaft zu einer Paarbeziehung folgt ähnlichen Argumentationen. In der Interpretation der Kategorie Beziehungsmanagement wird deutlich, dass sich die Konsequenzen und Strategien der einzelnen Befragten zwar unterscheiden, jedoch kann ebenfalls beobachtet werden, dass die Handlungsentscheidungen dem Ziel des größtmöglichen Sinns für die eigene Identitätsausbildung und -konformität folgen. Der Gedanke, eine Beziehung nur dann vernünftig führen zu können, wenn der eigene Lebensweg ohne große Abstriche beschritten werden kann, zeigt, dass die Befragten nicht dazu bereit sind, ihre Identität ausschließlich in der Beziehung selbst zu bilden. Eher fokussieren sie sich darauf, ihre Identität zunächst selbst zu bilden und diese dann in der Beziehung weiterzuentwickeln. Der Anspruch der Befragten ist es, den eigenen Wünschen durch Individualisierung und Freiheit gerecht werden zu können.  In Partnerschaften sollen durch Gegensätzlichkeiten Ergänzungen zur eigenen Identität herbeigeführt werden, während eigene Interessen, Werte und die eigene Bildung durch Ähnlichkeiten gestärkt werden sollen. Das führt zu der Annahme, dass Beziehungen nicht allein aus rationalen oder emotionalen Entscheidungen eingegangen werden. Die Motivation umfasst dabei vielmehr das Ziel, beides zu einer Optimierung des Selbst in der Gemeinschaft mit einem Partner und dies im Einklang miteinander hervorzubringen.

In der Kategorie Selbstmanagement & Karrieremanagement wird die Idee der Identitätsbildung weiterhin unterstrichen. So unterscheidet sich die Darstellung der Identität beispielsweise je nach Situation und Rolle. Auch die Entscheidungen für oder gegen Optionen folgen vor allem der Idee der individuellen Selbstverwirklichung. Das Verständnis der Befragten, ob diese Entscheidungen wirklich frei oder unfrei stattfinden, ist different. Einigkeit herrscht jedoch darin, dass verschiedene Entscheidungsalternativen immer dem Muster der Motivation der eigenen Grundzufriedenheit folgen. Die Mischung aus Selbstbewusstsein und Selbstkritik gestaltet sich hierbei als nützliche Motivation auf dem Weg zum gestärkten und stärksten Selbst.

Führt man die theoretischen Erkenntnisse mit den empirischen zusammen, wird deutlich, dass die Generation Y sich selbst auch einer Vielzahl von Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung ausgesetzt sieht, jedoch keine vollständige Individualisierung, sondern vielmehr einen „integrierten Individualismus“ (Zukunftsinstitut GmbH 2012, o. S.) im Rahmen von Gemeinschaftlichkeit anstrebt. Die Befragten ordnen die Optionen, die sich in ihrem Leben offenbaren, zwar als Ligaturen im Rahmen von gesellschaftlichen Normen ein, nehmen diese jedoch vor allem als Möglichkeiten war und wollen sie im Rahmen von Gemeinschaftlichkeit umsetzen. So kann die heutige Interpretation von Individualisierung eher als gemeinschaftlich kontextualisierte Individualisierung verstanden werden, die sich aus dem individuellen Umgang innerhalb der Handlungsfelder der kohärenten Identität ergibt. Die Multioptionalität wird also maximal als schwierig aber nicht als negativ wahrgenommen. Sie wird weit weniger im Spannungsverhältnis interpretiert als von außenstehenden Beobachtern angenommen und analysiert.

Eine Generation beziehungsfähiger Bindungsinterpreten

Die Generation Y ist durchaus bereit, Beziehung zu führen und Bindungen einzugehen – am ehesten auf Grundlage einer Mischung der bereits vorgestellten Modelle. So scheinen sowohl die Homophilie, als auch die Komplementaritäts-Hypothese als Modelle der Partnerwahl in der heutigen Zeit zu gelten. Sie werden jedoch heute weiter gefasst und individueller interpretiert. Es scheint darauf anzukommen, inwiefern und in welchen Teilbereichen sich die Partnerschaftssubjekte unterscheiden bzw. ähneln und wie dies im Kontext der subjektiven Individualisierung vereinbar scheint. Im Sinne Karl Lenz findet die Bedeutung und Art und Weise der Beziehung als stetiger Interaktions-Prozess statt und wird zwischen den Subjekten ausgehandelt. Jedoch nicht nur, wie der Soziologe es in den Mittelpunkt seiner Betrachtung stellt, im Sinne von Interaktion mit dem jeweils Anderen, sondern auch in der Interaktion mit der Außenwelt und deren Bedeutung für die Identität der Subjekte innerhalb und außerhalb der Beziehung.

Das Bestehen der Beziehung mit der Option auf eine langfristige Bindung ist dann gegeben, wenn es sowohl den Beziehungsparteien möglich ist, ihre eigene Identität auszubilden, als auch in der Interaktion eine individuelle Identität des Wir generiert werden kann. Entgegen vieler Annahmen scheint die Generation Y gerne Beziehungen zu führen, distanziert sich dabei aber von starren Grenzen und festen Definitionen. Feste Bindungen in Paarbeziehungen sind eine Konsequenz aus längerfristigen funktionierten identitätsbasierten Partnerschaften. Trennungen finden dann statt, wenn die Subjekte ihre Identität bzw. die Idee, die sie von dieser haben, in der Beziehung oder die Identität der Beziehung selbst bedroht sehen. An dieser Stelle wird bewusst davon abgesehen, Nützlichkeit im Sinne von Zweckdienlichkeit oder Gewinnbringung für die jeweilige Identität als Grund zu benennen, da diese Definition zu eng zu sein scheint. Zwar scheinen Beziehungen nach dem hier entwickelten identitätsbasierten Partnerschaftsmodell auch den Nutzen für die eigene Identität zu hinterfragen, jedoch ebenso den der gemeinsamen Identität innerhalb dieser Gemeinschaft und der gegenseitigen Sinngebung.

Die theoretische Annahme, dass Menschen Marken wie Menschen beschreiben und auch solche Beziehungen zu ihnen eingehen, wie die Grundlage dieses Artikels nach Aaker und Fournier beschreibt, scheint in Bezug auf das Entscheidungsmuster der Generation Y zu Teilen haltbar. Es kann angenommen werden, dass die Argumentationsgrundlagen der Handlungsentscheidungen hinsichtlich des Eingehens und Beibehaltens von Beziehungen zu Menschen und Marken ähnlich sind.

Die Befragten sind dann bereit, Beziehungen einzugehen und Bindungen zuzulassen bzw. beizubehalten, wenn diese für die Ausbildung ihrer Identität, welche sich z. B. aus den individuellen Lebenszielen, Wertvorstellungen, der Sozialisation etc. aber auch aus Rollen in Gemeinschaften zusammensetzt, wert- und sinnvoll sind. Die Bedingungen, Beziehungen zu Marken und zu Menschen einzugehen, scheinen jedoch nicht vollständig kongruent zu sein. So kann angenommen werden, dass den Entscheidungsmotiven für zwischenmenschliche Beziehungen offenbar mehr emotionale Beweggründe zugestanden werden, als denen zu Marken. Bei Beziehungen zu Marken erscheinen vor allem rational wirkende Beweggründe für Verbindungen (noch) wichtiger zu sein. Es lässt sich aber bei beiden Beziehungsformen beobachten, dass die Befragten ihren Markenkauf im Nachhinein ebenso versuchen, argumentativ zu begründen, wie das Beginnen, Verbleiben bzw. nicht Eingehen von zwischenmenschlichen Beziehungen. Hier sind Verhaltensmuster entsprechend Schimanks Rationalitätsfiktionen auszumachen.

Sowohl hinsichtlich Marken, als auch bezogen auf zwischenmenschlichen Beziehungen auf Basis von Partnerschaften, gilt die ehrliche Kommunikation und stetige Interaktion ebenfalls als Voraussetzung für das Bestehen dieser. So scheint also eine transparente Darstellung der Identität des Gegenübers Voraussetzung für eine Beziehung und vor allem für eine längerfristige Bindung zu sein. Eine durch das Unternehmen widerspruchsfreie Darstellung der Markenidentität von Markenwerten, Symbolen, Markenpersönlichkeit usw. (vgl. Burmann et al 2016, S. 29 ff.) gilt dabei als Voraussetzung für eine nachhaltige Marke-Kunde-Beziehung.

Da Marken nicht in eine tatsächliche Interaktion mit Konsumenten treten können, Identitäten in der soziologischen Betrachtung jedoch erst durch Interaktion entstehen, wird der Unterschied der Beziehungsmodelle deutlich. Während Subjekte in zwischenmenschlichen Beziehungen ihre Identität ausbauen, verändern und auch gemeinsame Beziehungsidentitäten entwickeln können, dienen Marken eher zum Unterstreichen der bereits bestehenden Identität bzw. der gewünschten Identität. Es kann dennoch angenommen werden, dass auch bei der Beziehung von Subjekten zu Marken sowohl die Komplementaritäts-Hypothese, als auch die Ähnlichkeitshypothese von Bedeutung sind. Das hieße, wenn Markenidentität und -image (vgl. z. B. Burmann et al, S. 29 ff.) möglichst kongruent sind und der Selbstwahrnehmung des Konsumenten z. B. bezüglich vermeintlicher Werte ähnlich oder sinnvoll gegensätzlich erscheinen, eine höhere Chance besteht, dass die Marken als bindungsopportun wahrgenommen werden. Bei der Entscheidung für oder gegen eine Marke und bezüglich der Option auf langfristige Bindung würde auch hier wieder die Ausbildung der Identität des Konsumenten im Mittelpunkt stehen.

Entscheidungsmotive der Generation Y: Der Homo identitas

Aus der immer wieder auftretenden Wichtigkeit der Identität ergibt sich die Idee, ein weiteres Akteurmodell mit differenten Entscheidungsmotivationen vorzuschlagen, das zum zeitgeistigen Selbstverständnis der untersuchten Generation passt. Die Generation Y folgt keinem der bisher vorgestellten theoretischen Entscheidungsmuster stringent, sondern bedient sich sowohl den Entscheidungsmaximen des Homo oeconomicus, als auch dem des Homo sociologicus. Das Verhalten der Generation Y ist außerdem vor allem darin begründet, Entscheidungen an dem größtmöglichen Sinn für die Ausbildung ihrer eigenen oder gemeinsamen Identität zu orientieren. Hierbei werden u. a. sowohl Entscheidungen im Sinne der Nutzenorientierung und Individualisierung (Homo oeconomicus), als auch basierend auf Normen und Rahmenbedingungen der Gesellschaft und der Gemeinschaftlichkeit (Homo sociologicus) getroffen. Da auch Schimanks identitätsbasiertes Entscheidungsmodell bisher nicht erklärbar macht, aus welchen Grundlagen die Identität erwächst, wird als neues Modell der Homo identitas entworfen.

Dieser entwickelt seine Identität fortwährend in differenten Interaktions- und Sozialisationsprozessen im Rahmen unterschiedlicher Situationen und Voraussetzungen. Er trifft Entscheidungen sowohl emotional, als auch ökonomisch, versucht diese aber in seiner Argumentation rational zu begründen, da dies für die Ausbildung seiner widerspruchsfreien Identität bzw. des nicht diffusen Selbst von Wichtigkeit ist. Sämtliche Entscheidungen für oder gegen Beziehungen zu, und Bindungen an Marken und Menschen stützen sich für den Homo identitas auf ihrem Wert bzw. Sinn für die Darstellung und das Selbstempfinden seiner Identität. In der heutigen Zeit scheint es nicht das primäre Ziel zu sein, sich vollständig individualisieren zu können, sondern vielmehr im Rahmen der gesellschaftlichen Optionen Stellung zu beziehen und ein starkes und repräsentatives Selbst herauszuarbeiten. Entscheidungen und Handlungen erfragen nicht rein den individuellen Nutzen oder den Nutzen für die Gemeinschaft, sondern vor allem den Sinn, die Vertretbarkeit, die Argumentation und das Ziel und somit Sinn und Wert für Individualität und Gemeinschaft.

Der Homo identitas stellt als Handlungsakteur keinesfalls einen Narzissten oder Egoisten dar. Sein Ziel, eine klare Identität zu besitzen und diese im Kontext individueller Handlungsentscheidungen aber auch im Rahmen differenter Beziehungen auszubilden, ist zwar ein selbstbezogenes Ziel, kann jedoch miteinschließen, dass beispielsweise Altruismus als Teil der Identität einen hohen Stellenwert besitzt und dass das Ziel auch eine gemeinsame Beziehungsidentität sein kann.

Unter welchen Bedingungen die Generation Y bereit ist, sich zu binden

Die Akteure der Generation Y richten ihre Entscheidungen offenbar daran aus, wer sie sein wollen, und was ihre Identität und die ihrer Interaktionspartner ausmachen soll. Das Ziel dabei ist zwar das Sein und damit die Erkundung des Lebenssinns, die Entscheidungsmotivation auf dem Weg dorthin besteht jedoch aus einem permanenten Werden. Ob ihre Entscheidungen für oder gegen Beziehungen zu Marken und Menschen tatsächlich rational oder emotional getroffen werden können, ist letztendlich irrelevant, vorausgesetzt, sie erfahren in irgendeiner Form eine rational motivierte Begründung, die somit dem Werden dienlich ist.

So kann bei der Generation Y auch nicht per se von nutzenorientierten Individualisten oder alternativ einzig in der Gemeinschaft agierenden Akteuren gesprochen werden. Aus diesem Grund wurde im letzten Kapitel das Akteur-Modell des Homo identitas entworfen. Dieser dient dem besseren Verständnis der Entscheidungsmotive der Generation Y, da er nicht nur generelle Muster betrachtet, sondern den Akteur im Kontext des Zeitgeistes beleuchtet. Der Homo identitas als Akteurmodell einer modernen Generation folgt dem integrierten Individualismus. Je nachdem, welche Form von Gemeinschaft zum aktuellen Selbstverständnis des jeweiligen Individuums am besten passt, liegt der Fokus hierbei auf beruflicher oder familiärer Gemeinschaft oder aber auf einer Paarbeziehung – optional auch auf allen gleichzeitig. Ebenso verhält es sich mit Beziehungen zu Marken: Die Generation Y ist durchaus kritisch und sinnhinterfragend, sie ist aber auch bereit, Beziehungen zu Marken einzugehen, wenn diese ihr Selbst auf rational begründbare Art und Weise unterstützen.

Diese Erkenntnisse konnten durch die verschiedenen soziologischen Theorien, den Forschungsstand und die empirische Untersuchung herbeigeführt werden und beantworten die Forschungsfrage, die dem Artikel zugrunde gelegt wurde: Unter welchen Bedingungen ist die Generation Y bereit, Beziehungen und Bindungen zu Menschen und Marken einzugehen?

Es wurde gezeigt, dass die Generation Y offenbar bereit ist, Beziehungen zu Menschen und Marken einzugehen, wenn diese Verbindungen eine Option darauf haben, in Interaktionen, welche auch auf Wertvorstellungen und Sozialisationsgrundlagen fußen, zu Bindungen zu werden. Die Voraussetzungen für Bindungen sind dabei zumindest kurz-, aber vor allem langfristige Kompatibilitäten mit dem Selbst.

Aufgrund des veränderten Verständnisses von Individualismus und Gemeinschaft steht auch das Beziehungsmarketing vor neuen Herausforderungen. So empfiehlt es sich den Fokus im Beziehungsmarketing und in der Markenkommunikation an sich vermehrt auf argumentative Arbeit zu legen. Dies impliziert die Unterstützung des Konsumenten und dessen Präferenzen auf dem Weg zum Selbst. Die Generation Y ist keine nicht emotionale Generation, sondern legt ganz im Gegenteil Wert auf den Aspekt Vertrauen. Dennoch benötigt gerade dieser Vertrauensaspekt Argumente, um zu bestehen. Die Generation Y fühlt sich dabei vor allem durch rational begründbare Kaufargumente wie Qualität motiviert. Diese Erkenntnisse veranlassen dazu, die bisherige Unternehmens- bzw. Markenkommunikation zu überdenken. Die Beziehungsarbeit sollte also auf rational wirkende Argumente setzen und vor allem Aspekte wie die Qualität der Produkte selbst in den Vordergrund rücken und diese durch den Stil der Marke emotional untermauern. So sollte Marketing weniger darauf ausgelegt sein, den jungen Erwachsenen zu vermitteln, wie ihr Selbst sein könnte, sondern inwiefern die Marke das von ihnen selbst gewünschte Selbst unterstützt – nämlich durch einen bestimmten Stil und vor allem gute Qualität.

Kritik und Forschungsimplikation

Im Anschluss an die empirische Ausarbeitung des Themas bleiben Fragen offen und relevante Themenkomplexe unbearbeitet. Die geringe Differenzierung zwischen der Art und Weise der Beziehungsführung von männlichen und weiblichen Akteuren ist an erster Stelle zu kritisieren. Die Unterschiede, die im Rahmen der Forschung ausgemacht werden konnten, sind zu gering, um sie als ausschlaggebend für die finalen Aussagen und Thesen zu markieren. In den qualitativen Interviews hätte hier möglicherweise näher und differenzierter nachgefragt werden müssen.

Insgesamt deckt der Artikel nur einen kleinen Teil des gesamten Themas der Bindungskonflikte der Generation Y ab. Zwar ist die finale These, dass die Generation Y immer nur unter Identitätsfindungs-Aspekten bereit ist, sich zu binden, ein wichtiger Erklärungsansatz, jedoch deckt diese These mit Sicherheit nur einen geringen Teil der Entscheidungsmotivationen dieser Generation ab. Da das Phänomen der kohärenten Identität erst als Ergebnis der selektiven Kodierung in der Forschung entwickelt werden konnte, war es im Nachgang nicht mehr möglich weitere Identitätstheorien als Basis zur Betrachtung hinzuzuziehen. Außerdem wäre es ebenfalls zielführend gewesen, den Begriff Sinn näher zu beleuchten, da der Sinn einer Entscheidung für den Homo identitas von größerer Bedeutung zu sein scheint, als der Nutzen für das Individuum oder die Gemeinschaft.

Aus der Kritik an diesem Artikel ergibt sich auch eine Empfehlung für die weitere Forschung. Im Anschluss an das beobachtete Phänomen der kohärenten Identität könnte in einer weiteren qualitativen Forschung der Einfluss der Digitalisierung auf die Entwicklung der Identität in Beziehungen untersucht werden. Der Umgang mit anderen Individuen in der digitalisierten Welt und die eigene Selbstverwirklichung im Zuge des Digitalisierungstrends sind Aspekte, die in einem direkten Zusammenhang zu sehen sind und deshalb als zu beforschender Bereich im weiteren Verlauf sicher interessant wären. Möglicherweise stellt die Digitalisierung einen weiteren Baustein der kohärenten Identität dar. Generell müssten die Thesen der kohärenten Identität und des Homo identitas als Akteurmodell in einer quantitativen Forschung überprüft werden, da es sich bisher lediglich um hypothetische Vorschläge handelt und der Fokus auf die Identität nur eine Erklärungsidee markiert.

 

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