Kommentar zu Jan Rommerskirchen: Autos, Autonomie und Algorithmen
Die Angst vor neuer Technik und durch sie induzierte Kontrollverluste zieht sich als anthropologische Konstante durch das Weltgeschehen. Als im Jahr 1898 das Londoner Kaufhaus Harrods die erste Rolltreppe in Betrieb nahm, gab es für diejenigen, die den Todesmut aufbrachten, dieses Höllengerät zu benutzen, anschließend einen von einem Mitarbeiter gereichten Brandy zur Beruhigung.
50 Jahre zuvor, es war der 16. und 17. März 1948, war es einer meiner Vorfahren, der offensichtlich als einer der Rädelsführer am Solinger Maschinensturm mitgewirkt hat. Nach dem Vorbild der Ludditen rotteten sich aufgebrachte Bürger zusammen, um den neu aufkommenden billig und schnell arbeitenden Gießereien im Bergischen den Garaus zu machen (ausführlich Rosenthal, 1972, S. 352 ff.). Ähnlich wie in England rekrutierten sich die Bergischen Ludditen wohl weniger aus den Entrechteten, Armen und Abgehängten, sondern es handelte sich wohl eher um eine konservative Mittelschicht, die um Status, Bequemlichkeit und Privilegien fürchtete, wie ein Blick auf die Textilarbeiter („Cropper“) im England des frühen 19. Jahrhunderts zeigt: „These workers had great control over when and how they worked—and plenty of leisure. ‚The year was chequered with holidays, wakes, and fairs; it was not one dull round of labor,‘ as the stocking-maker William Gardiner noted gaily at the time. Indeed, some ’seldom worked more than three days a week.‘ Not only was the weekend a holiday, but they took Monday off too, celebrating it as a drunken ‚St. Monday.'“ (Thomson, 2017, o. S.)Die Angst vor neuer Technik und durch sie induzierte Kontrollverluste zieht sich als anthropologische Konstante durch das Weltgeschehen. Als im Jahr 1898 das Londoner Kaufhaus Harrods die erste Rolltreppe in Betrieb nahm, gab es für diejenigen, die den Todesmut aufbrachten, dieses Höllengerät zu benutzen, anschließend einen von einem Mitarbeiter gereichten Brandy zur Beruhigung.
Ist es vielleicht die Angst vor Kontrollverlusten, gepaart mit (Partikular-) Interesse, das Widerstände gegen das Neue, wie derzeit das Autonome Fahren, schürt? Geht es bei allen Gedanken um Robotik und Autonome Systeme nicht vorrangig darum, dass diffuse Technologieängste moralisch überhöht werden, um Pfründe und Privilegien zu sichern? Um der Ludditen neue Kleider?
Wenn wir vor dem Hintergrund dieser Fragen über autonome Verkehrssysteme sprechen, müssen wir zwei Szenarien unterscheiden. Einmal ein streng ökonomisches Szenario, vor allem die Fahrt über Land und über die Autobahn betreffend. Hier ist es das originäre Interesse von Industrie und Handel, dass der Fluss der Waren reibungslos abläuft. Es sind nicht nur die typischen LKW Unfälle, die Logistikketten stören und standortübergreifende Wertschöpfung zum Erliegen bringen. Autonome LKWs benötigen keine Ruhezeiten, schreiben keine Urlaubsanträge und werden nicht krank. Und in der Gewerkschaft sind sie erst recht nicht. Mit Aufrüstsätzen für LKWs (https://www.zf-zukunftsstudie.de/autonomer -lkw-zum-nachruesten) kommt die Logistikbranche ihrem feuchten Traum von Seamless Logistics einen gewaltigen Schritt näher, und im Zweifel setzt sich dann die Technologie durch, die den vermeintlich höchsten Rationalisierungsvorteil bietet.
Das zweite Szenario, mit dem ich mich hier näher beschäftigen möchte, betrifft die sich ändernde Stadt. Mein akademischer Lehrer Peter Ulrich spricht mit seinem Koautoren Edgar Fluri in Anlehnung an C. W. Churchman und E. Jantzsch vom „Ethos ganzer Systeme” (Fluri, 1995, 69), den ich hier als #Ethos1 bezeichnen möchte. Das Verhalten einer Institution kann demnach dann als „gut“ oder „angemessen“ gelten, wenn es eine Verbesserung des jeweils übergeordneten Systems, insbesondere im Sinne von Gesamt-Wohlfahrt, ermöglicht oder bewirkt. Der daraus resultierende Imperativ bezieht sich auf die Relativität herkömmlicher Begründungen und Rechtfertigungen unseres Handelns: dass wir alles, was wir tun, aus einer integrierten Perspektive mehrerer (Akteurs-) Ebenen betrachten und bewerten sowie Entscheidungen immer von einer höheren Warte her treffen sollen. (vgl. Becker, L., 2011).
Dies vorausgeschickt, sollten wir Mobilität nicht isoliert als Technologie, sondern in ihren sozio-ökonomischen Kontexten betrachten, denn: „Zugang, Gesundheit und Lebensqualität spielen im Wertekanon moderner Stadtbewohner eine zunehmende Rolle. Städte, die im globalen Wettbewerb um kluge Köpfe und Arbeitskräfte stehen, werden sich vor diesem Hintergrund sicher auch zu einer Art ‚Dienstleister für Daseins und Lebensqualität’ entwickeln müssen“ (Rammler 2017 S.165).
In Städten wie Kopenhagen, Oslo oder Utrecht wird die Dominanz des individuellen Autoverkehrs ganz grundsätzlich in Frage gestellt. Aus dieser Perspektive scheinen auch bei uns Helikoptereltern in SUV auf dem Bürgersteig vor dem Kindergarten genauso die Legitimation zu verlieren, wie Menschen, die mehr als 1,5 Tonnen Masse (in etwa das Leergewicht eines Passat Kombi) auf einer Strecke von vielleicht 500 Metern von A nach B und wieder zurück in Bewegung setzen, nur um eine Tüte Brötchen von 180 Gramm von B nach A zu bekommen. Selbst wenn dieses Auto ein Tesla S wäre, bei Bedarf autonom fahren und vielleicht noch das Lenkrad wegklappen könnte, hätte solche Absurditäten in diesem Szenario keinen Platz mehr.
Stattdessen stellt sich die Frage nach intermodalen Verkehrskonzepten „zugunsten von Leitbildern der funktional gemischten, aufgelockerten und multimodalen Stadt und einer menschen- statt autogerechten Verkehrsplanung“ (Rammler 2017 S.165). Und genau dieses Denken ist es doch, das die im Sinne des von Jonas (1984, 36) eingeforderten ethischen Imperativs, die Permanenz des echten (sic!) menschlichen Lebens auf Erden wieder neu erschließt. (#Ethos2)
Es sei aber auch in Erinnerung gerufen, dass nicht nur Hans Jonas einen ethischen Imperativ formulierte. Der von Heinz von Foerster (2007) formulierte ethische Imperativ (#Ethos3) besagt, dass man stets so handeln solle, dass die Zahl der Möglichkeiten wächst, dies verstanden im Sinne einer qualitativen Freiheit (Dierksmeier 2016) des Suchens und Auswählens und nicht im Sinne quantitativer Maximierung. Denn nur so schaffen wir uns die Möglichkeit des Wählens und Entscheidens: es geht um manifestierte Freiheit. Ist es nicht die Chance der Befreiung, die Funktion des Mobilitätssystems aufrecht erhalten zu müssen, in dem man, nicht als „Dressierter Gorilla“ (um ganz bewusst den auf Fredrick Winslow Taylor, 2011, zurückgehenden Terminus zu verwenden) am Lenkrad stumpfsinnige Algorithmen, wie Schalten, Bremsen bei Rot oder Gas geben bei Grün, abarbeitet und mit der lächerlichen Machtillusion in Form des dichten Auffahrens oder des provozierend hupen Könnens belohnt wird.
Der Wuppertaler Unternehmer und Vizepräsident der Bergischen IHK, Jörg Heynkes (https://joergheynkes.de), betrachtet den Übergang von fossilen Antrieben zu elektrischen und autonomen Fahrzeugen als Übergangstechnologie zur Schwarmmobilität (vgl. Becker/Sohn, 2016). Autonomie in Verbindung mit der Trennung von Eigentum und Nutzung. Folgt man Jörg Heynkes, ist nicht der selbstfahrende Luxus-Mercedes mit Entertainment, drehbarem Fahrersitz und wegklappbarem Lenkrad (https://www.mercedes-benz.com/de/mer-cedes-benz/inno-vation/autonomes-fahren) die Zukunft, sondern das kleine kugelige Google Auto (https://de.m.wikipedia.org/wiki/ Waymo) ohne Lenkrad und viel Gedöns. Heynckes verweist dabei auf seine Heimatstadt Wuppertal, in der bei etwa 350.000 Einwohnern rund 200.000 Fahrzeuge zugelassen sind, die im Schnitt mehr als 23,6 Stunden einfach nur unbenutzt stehen. Dafür gibt es nur in Wuppertal laut Heynckes etwa 630.000 Stellplätze was in etwa einer Fläche von 7.875.000 Quadratmetern und damit mehr als tausend Fußballfelder nur für Parkraum entspricht. Die gleiche Mobilitätsleistung könne mit etwa 20-25.000 Schwarmmobilen nahezu ohne Stellplätze erbracht werden, und das bei 80 % geringeren Mobilitätskosten, umweltfreundlich und leise. Dies eröffnet uns nicht nur neue Möglichkeiten der Innenstadtgestaltung und -belebung, sondern auch eine ganz neue Mobilität, in der etwa der Kneipenbesuch keine Gefahr mehr für den Führerschein (soweit es dann noch so etwas geben sollte) darstellt, oder in der auch Senioren oder Menschen mit Beeinträchtigungen endlich individuelle und sichere Mobilität ermöglicht wird. Mehr Stille und gute Luft sind so gesehen allenfalls nur angenehme Begleiterscheinungen.
Die wahre Moral[1] des Digitalen heißt „Lernen“ (#Ethos4). Das von Jan Rommerskirchen diskutierte Trolley Problem ist, wie viele andere ethische Probleme rund um das autonome Fahren, akademisch hochinteressant, aber in der Praxis völlig irrelevant.
Niemand möchte sich heute die Folgen eines Zusammenstoßes zwischen einem Matiz und einem Q7 vorstellen. Welche Insassen da den Kürzeren ziehen, ist von vornherein klar: Sicherheit ist in der Geschichte des Autos immer eine Frage des Geldes und der Sonderausstattungen gewesen, und genau das kann sich jetzt zum Guten wenden. Vorausgeschickt sei zunächst, dass der Algorithmus selbst frei jeglicher ethischen Überlegungen ist: er tut – zumindest noch auf absehbare Zeit[2] – nur das, wofür er programmiert wurde. Genauso, wie ein Zug, der auf seinen Schienen fährt. Wenn das System die Kontrolle verliert, kann man es zwingen, in einen eingefrorenen Zustand („Not-Aus“) zu gehen oder völlig abstrakte Regeln, wie „erst rechts dann links“ zu verwenden, womit ethische Überlegungen per se außen vor bleiben. Die Sicherheit wird zudem im Rahmen der so genannten Absicherung anhand vorgegebener Testprozeduren[3] sowie anhand statistischer Methoden des Qualitätsmanagements festgelegt. Es stellt sich gar nicht die Frage, ob Politik, Hersteller oder Fahrer, entscheiden, sondern nur die Frage, wie die Normen zustande kommen und wie ihre Einhaltung kontrolliert wird. Insofern sind Sicherheit und Schutz der Insassen keine ethische Frage, sondern vorrangig eine statistische Größe.
Zur Haftungsfrage gibt es geeignete und erweiterbare juristische Konstrukte, so wie in der „juristischen Person“, die am 1. Januar des Jahres 1900 im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert wurde. Spätestens damit wurde die „nützliche Fiktion“, wie sie Hans Vaihinger (2007) in seiner „Philosophie des Als Ob“ ausbreitet, im Gesetz eingeführt, um einem abstrakten System quasi-menschliche Eigenschaften zu verleihen. Nicht nur, dass damit dem Fiktionalisierungsprinzip und weiteren Gestaltungsmöglichkeiten[4] Tür und Tor geöffnet wurde, sondern es stehen auch noch zahlreiche Ideen bezüglich der Versicherbarkeit des statistischen Restrisikos (https://www.heise.de/autos/artikel/Autonomes-Fahren-aendert-Versicherung-2582698.html?artikelseite=2) im Raum. Aber all das ist hier gar nicht mal entscheidend. Auch nicht entscheidend, aber dennoch wichtig zu erwähnen, ist dagegen, dass die Fahrer von der Verantwortung für andere und möglicherweise schwächere Verkehrsteilnehmer, die sie vielleicht schon aus gesundheitlichen Gründen gar nicht wahrnehmen können, befreit werden. Und möglicherweise noch wichtiger, werden sie quasi ex ante vom Stigma der Schuld befreit.
Entscheidend für die Praxis ist aber etwas ganz anderes: nämlich, dass digitale Systeme (im Gegensatz zu menschlichen Chauffeuren, man denke an alkoholisierte Wiederholungstäter oder notorische Raser[5]) auf vielen unterschiedlichen Wegen systemisch lernen. Man nehme als Beispiel den tragischen Unfall eines Tesla aus dem Jahr 2016, als ein quer zur Fahrbahn stehender LKW-Auflieger vom Autopiloten nicht als Hindernis identifiziert wurde. Ist das notwendige Update an alle Teslas verteilt, wird kein Tesla auf dieser Welt nie und niemals den gleichen Fehler wieder machen. Das heißt, autonome Systeme werden uns in die Lage versetzen, die Zahl der Unfälle gegen Null laufen zu lassen und damit die vor allem in Schweden propagierte „Vision Zero“ zu realisieren (https://www.itf-oecd.org/vision-zero-conference-2017). Denn autonome Systeme fahren zudem weder betrunken, noch unter Drogen, telefonieren nicht am Steuer und übersehen keine Stauenden, sie leiden nicht unter Hypoglykämie und missachten keine Verkehrsregeln, wenn aufgrund von Termindruck oder Testosteronschüben die Impulskontrolle aussetzt.
#Ethos5: „Unsere mögliche Moral heißt kulturelle Bildung“. So lautet der Titel eines Sammelbandes von Reinhard Pfriem (2007) und ist das leitende Argument für die Rehabilitation des (modernen) Prometheus. Zeus hat nicht nur den Menschen das Feuer und damit Gemeinschaft und Geborgenheit am Feuer, die Wärme und die Kunst der Metallverarbeitung und alle daraus resultierende Freiheiten vorenthalten. Er ist den schlichtesten und unredlichsten Weg, nämlich den das Diktats, gegangen. Zeus hat es versäumt, und das wäre seine hehre Aufgabe als Weltenlenker gewesen, inklusive Institutionen (etwa im Sinne von Acemoglu/Johnson/Robinson, 2005; Becker, L., 2017) zu schaffen[6] und stattdessen den Menschen entmündigt und ihm die Möglichkeit versagt, im Umgang mit dem Feuer kulturelle Praktiken und Kompetenzen zu entwickeln. Genauso wie uns die automobile Gesellschaft des 20. Jahrhunderts längst entmündigt hat, uns die Gelegenheit nimmt, auf unsere kulturelle Bestimmung zurückzuziehen, weil sie das Primat des Automobilen tief in unserer Kultur verankert hat, das Auto zum neuzeitlichen Golden Kalb stilisiert und die Städte und ihre Menschen dem Auto zum Untertan gemacht hat. Ist es nicht das Schalten, Lenken, Gas geben und Bremsen auf der einen Seite und die ständige Flucht des Fußgängers vor dem Auto, das uns als Teil der Maschine entmündigt? Sind es nicht die Feinstaub fressenden Kinder in unseren Städten, denen wir wieder die Freiheit zum Spiel auf der Straße geben sollten? Sollten wir autonome Systeme und Roboter nicht endlich als Chance begreifen, der Maschine zu entfliehen und unser Leben zu entfalten? Soll ein System, das seit 80 Jahren unser Leben dominiert, in unserer Jahrtausende alten Kulturgeschichte also nicht mehr als ein Wimpernschlag ist, wirklich das Ende der Fahnenstange sein?
Die autonomen Systeme sind Chance und Verpflichtung zugleich, unsere Institutionen, Regimes und kulturellen Praktiken (ausführlich: Becker, 2017) in Frage zu stellen. „The automation revolution is possible, but without a radical change in the social conventions surrounding work it will not happen“ so Paul Mason, P. (2017) – die wahre Dystopie ist eine Gesellschaft, in der wir die Techniken – oder die wenigen, die die Techniken beherrschen –- nicht beherrschen. Eine Gesellschaft, die die neuen Techniken hat, aber nach überkommenden Regeln lebt und regiert wird. Therapeutische Systemkorrekturen reichen genau so wenig aus, wie technologische Innovationen, die ein bestehendes System nur effizienter machen. Es geht letztlich um „Transformative Wirksamkeit“ (Brocchi, 2017), darum, dass am Ende im Sinne der fünf hier beschrieben Ethea die richtigen Dinge getan werden.
Die Konzentration auf das von Jan Rommerskirchen diskutierte Trolley Problem verschließt uns die Augen vor den Problemen einer höheren Ebene, vor den wirklich relevanten Fragen, wie: Was geschieht mit unseren Daten? Wer beherrscht die Algorithmen? Wem gehören die Daten[7]? Wem geben wir die Kontrolle[8]?
Es geht beim autonomen Fahren nicht darum, luxuriöse Dolce-Vita-Mobilität für besonders Begüterte zu schaffen, sondern die Mobilitätsbedürfnisse der gesamten Gesellschaft im Kontext anderer Bedürfnisse und eines gelingenden Lebens zu ermöglichen. Da sollten wir versuchen, die Lehren aus dem zu ziehen, was wir in Kopenhagen, Oslo oder Utrecht beobachten können: „The upshot of the Copenhagen story is that smart city institutions matters as much as innovative urban techniques and tactics. There is a better way to grow, govern and finance our cities that will require a burst of institutional and operational innovation not seen in decades“ (Katz, B./Noring, L., 2017).
Nicht Prometheus, so mein Gegenplädoyer zu Jan Rommerskirchen, ist der wahre Täter, sondern Zeus. Ihn sollten wird als ideologischen Wegbereiter des Ludditentums auf die Anklagebank schicken. Hat er es aus niederem Anlass, nämlich seine Privilegien und seine Pfründe zu sichern, doch fahrlässig oder vorsätzlich versäumt, den Menschen inklusive Institutionen an die Hand zu geben. Mit seinem misslungenen Versuch, dem Menschen das Feuer zu entziehen, ihnen die Entwicklung und wirtschaftlichen Wertschöpfungspotenzialen und damit die Chancen auf ein besseres Leben vorzuenthalten, handelte er kurzsichtig und verantwortungslos. Es war die typische Fehlleistung der Etablierten und der Mächtigen.
Nur das Neue gibt uns auch die Chance, die alte philosophische Frage nach einem guten und gelingenden Leben neu zu stellen. Mit der autonomen Mobilität eröffnet sich diese Chance, nutzen wir sie.
[1] Moral und Ethik werden hier weitestgehend synonym verwendet, zur Unterscheidung der Begriffe ausführlicher: Becker, 2012
[2] Bis zu dem Zeitpunkt, an dem Computer in der Lage sein werden, sich selbst zu verbessern – wir sprechen auch von „technologischer Singularität“ (Vinge, 1993)
[3] Als Beispiel für ein auf Absicherung spezialisiertes Unternehmen sei die Telemotive AG genannt: https://www.telemotive.de/de/engineering/leistungsspektrum/
car2road/ (04.07.17)
[4] An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass die Rechtswissenschaften interpretative Wissenschaft sind, die durchaus in der Lage sein sollten und sind, Jahrhunderte alte Rechtsgrundsätze aufzugeben oder zu reinterpretieren, wenn sich die gesellschaftlichen Bedingungen ändern. Die aktuelle Diskussion um die „Ehe für Alle“ sei hier als Beispiel genannt. Übrigens wurde meines Wissens noch nie ein Lokführer wegen einer Entgleisung verurteilt, allenfalls nur dann, wenn er seine Interventionsmöglichkeiten zur Vermeidung eines Unfalls fahrlässig außer Acht lies.
[5] 2015 führte in 366.448 Fällen durch ein Fehlverhalten (!) von Fahrzeugführern zu Personenschäden. Diese Zahl übersteigt zum Beispiele die Einwohnerzahlen von Bochum oder Wuppertal. Dazu zählen unter anderem 12.660 Fälle von Alkoholeinfluss, ungenügender Abstand (50.667), nicht angepasste Geschwindigkeit (47.024), Nichtbeachten der Vorfahrt (53.361). Quelle: https://www.destatis.de/DE/ ZahlenFakten/Wirtschaftsbereiche/TransportVerkehr/Verkehrs-unfaelle/Tabellen/FehlverhaltenFahrzeugfuehrer.html (27.06.17)
[6] In dieser Beziehung war der Göttervater auf dem Olymp mit Verlaub ein gnadenloser Stümper, wie die griechische Mythologie mit ihren nie enden wollenden Machtspielen, Rankünen, Intrigen und Ungerechtigkeiten eindrucksvoll belegt. Es soll auch nicht unerwähnt bleiben, dass die Dichotomie zwischen Prometheus laisser-faire und seiner „Invisible Hand“ (um den Terminus von Adam Smith, 1977, zu verwenden) als Gegenentwurf zum Zeusschen Regime als vermeintlich intelligentem Design die ökonomische Diskussion bis heute prägt. Siehe auch Becker, 2012.
[7] Daten werden gerne als Währung der Zukunft bezeichnet, wobei „Gegenwart“ wohl treffender wäre. Wenn aber ökonomische Wertschöpfung über personenbezogene Daten geschieht, wem stehen die geschöpften Werte zu? Zum Beispiel wäre eine genossenschaftliche Verwertung der von dem Verkehrsteilnehmer erzeugten Daten ein zu diskutierendes Modell. Und was ist mit dem Staat, sollte es künftig statt der Rohölsteuer eine Daten- bzw. Transaktionssteuer auf Daten geben?
[8] Ohne an dieser Stelle im Detail darauf eingehen zu können: Um das Entstehen zentralistischer Steuerungen und wirtschaftlicher Oligopole zu verhindern, sind andere Fragen viel entscheidender. Etwa die Frage, wem die Daten gehören und wer sie wirtschaftlich verwerten darf. Dabei ist auf Datenhygiene, also Datenvermeidung und Datensparsamkeit achten. Grundsätzlich sind Schwarmsysteme (peer-to-peer) zentralistischen Lösungen der Mobilität vorzuziehen.
Literaturverzeichnis
Acemoglu, Daron; Johnson, Simon; Robinson, James A. (2005): Institutions as a Fundamental Cause of Long-Run Growth; In: Aghion, P./Durlauf, D. (eds.): Handbook of Economic Growth, Vol. I.: Amsterdam. Elsevier: 386-472.
Becker, L. (2011): Occupy verstehen. http://blog.karlshochschule.de/2011/10/18/occupy-verstehen/ 18. August. (25.06.17).
Becker, L. (2012): Warum Manager sich keine Gedanken über Moral machen sollten, in: Becker, L./Hakensohn, H./Witt, F. (Hg.): Unternehmen nachhaltig führen – Führung, Verantwortung und Nachhaltigkeit im Management, Düsseldorf (Symposion).
Becker, L. (2017): Transformation, Kultur und das Digitale. Transformative Wissenschaft als Grenzgang. In: Pfriem, R./Schneidewind, U.: Transformative Wissenschaft (Arbeitstitel). Erscheint 2017 bei Metropolis. Marburg.
Becker, L./Sohn, G. (2016): Utopie-Podcast #KönigVonDeutschland. Folge 01 mit Jörg Heynckes. https://soundcloud.com/gsohn/der-utopie-podcst-konigvondeutschland-folge-01-mit-jorg-heynkes (26.01.17).
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Katz, B./Noring, L. (2017) The Secret Copenhagen Model for Regenerating Cities: https://nextcity.org/daily/entry/ copenhagen-model-regenerating-cities-norbhaven June 24 (26.06.17).
Mason, P. (2017): Automation may mean a post-work society, but we shouldn’t be afraid. https://www.theguardian.com/sustainable-business/2016/feb/17/automation-may-mean-a-post-work-society-but-we-shouldnt-be-afraid (04.07.17)
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Ulrich, P./Fluri, E. (1995); Management; 7.: Bern/Stuttgart/Wien. Haupt.
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Vinge, V. (1993): O. T.: http://mindstalk.net/vinge/vinge-sing.html (29.06.17)
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