Tom Sommer: Liebe kennt keine Liga – Vereinsmarken zwischen Kult und Kommerz

Das Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, die Bedeutung von Vereinsmarken für ihre Anhänger zu erfassen und den Umgang mit Enttäuschung zu reflektieren. Es werden Antwortmöglichkeiten gegeben, wo die Bedeutung des Vereins ihren Ursprung findet, auf welcher Basis sie besteht und welche Auswirkungen die Kommerzialisierung des Fußballs hervorruft. Zunächst wird das Phänomen aufgezeigt, welches als Ursprung dieser Arbeit zu nennen ist. In den vergangenen Jahrzehnten las sich der Spruch „Liebe kennt keine Liga“ auf vielen, mit Stolz in die Luft gestreckten, Bannern großzügig durch die Stadien der Republik verteilt. Häufig als Bekundung bedingungsloser Liebe in Zeiten, wenn der verehrte Verein nach sportlich schlechten Leistungen eine Spielklasse verlassen musste. Diese Arbeit konnte zunächst erläutern, dass es sich bei Vereinen längst nicht mehr nur um Sportvereine, sondern um Sportmarken handelt. Diese Feststellung ließ darauf schließen, dass auch für Vereine und ihre Anhänger, die üblichen Regeln der Sanktionierung von Enttäuschung bei Markenfehlverhalten aufgerufen werden. Mangelnde Performance würde somit mit Fernbleiben der Zuschauer in den Stadien, im Übertragenen Sinne also dem Konsumboykott der Vereinsmarke, oder sogar der Wechsel zu einem anderen Verein sanktioniert werden. Entgegen dieser theoretischen Annahme sind Fußballanhänger auch nach sportlichen Enttäuschungen keineswegs gewillt ihren Verein nicht mehr zu unterstützen und auf gar keinen Fall besteht die Motivation eines Vereinswechsels. Diese Beobachtungen ermöglichten eine Forschung nach der eigentlichen Bedeutung des Vereins für seine Anhänger. Im empirischen Teil der Arbeit wird diese Bedeutung erfragt und anschließend auf die theoretischen Grundlagen Emilé Durkheims zur kollektiven Ekstase und der daraus entstehenden Bedeutung des Vereins als Religion angewendet. Die vorliegende Arbeit zeigt, dass Anhänger von Vereinsmarken eine Beziehung zu ihrem Verein aufgebaut haben, die aus ihrer Sozialisation entstanden ist und sich durch das Erleben im Kollektiv und die dort erfahrenen Momente festigt und regelmäßig wieder herstellt. Darüber hinaus zeigt diese Arbeit das Bewusstsein der Anhänger über den nötigen Spagat der Vereine zwischen dem Streben nach kommerziellem Erfolg und dem Erhalt der Fankultur.

„Hurra wir sind abgestiegen“, hieß die Überschrift in „Zeit Online“, ein halbes Jahr nach dem Abstieg des TSV 1860 München von der zweiten Bundesliga in die Regionalliga Bayern. Aus finanziellen Gründen stieg der Verein nicht erst in die 3. Liga ab, sondern verabschiedete sich gänzlich aus dem Profifußball. (vgl. Scheler 2017). Die rationale und logische Konsequenz eines solchen Abstiegs in die Bedeutungslosigkeit des Profifußballs sollten leere Stadien, mangelndes Interesse der Öffentlichkeit und vielleicht sogar Fanzuwachs für andere Vereine sein.

Es zeichnete sich jedoch das exakte Gegenteil ab, bleibt man bei dem Beispiel der „Münchener Löwen“, verzeichnete der Verein nach Abstieg knapp 2000 neue Mitgliederanmeldungen und die Vergabe von Eintrittskarten für Heimspiele wurde aufgrund der hohen Nachfrage zur reinen Lotterie. Die Identifikation mit dem Verein war ungebrochen, trotz der sportlichen Talfahrt. Angesichts dieser Entwicklungen beim Verein aus dem Süden der Republik könnte man vielleicht von einem bayrischen Sonderfall sprechen, jedoch zeigen sich auch in anderen Staffeln der vierthöchsten deutschen Spielklasse, der Regionalliga, Zuschauerzahlen jenseits der 20.000er Marke.

Dieses Phänomen lässt sich nicht nur anhand von Vereinen aus der Regionalliga erkennen, sondern bei allen „Traditionsvereinen“, deren Fans sich nahezu bedingungslos hinter ihren Verein stellen. Die aktuellsten Anschauungsbeispiele liefern die Absteiger aus der Bundesligasaison 2017/2018, der 1.FC Köln und der Hamburger SV. Trotz der sportlichen Enttäuschung der Vorsaison, verzeichnen beide Vereine einen Zuschauerschnitt im ersten Jahr nach dem Abstieg im Rahmen der 50.000 Zuschauer pro Spiel. Aus diesen Beobachtungen stellt sich die Frage, ob der sportliche Erfolg eines Vereins für seine Anhänger nicht als oberster Prämisse für ihre Unterstützung angesehen wird. Die zuvor beschriebenen Entwicklungen lassen auf eine gar bedingungslose und jegliche Enttäuschung überstehende Beziehung zwischen Verein und Anhänger deuten.

Aus diesen Erkenntnissen lässt sich die Forschungsfrage ableiten: Welche Bedeutung haben Vereinsmarken für ihre Anhänger? In diesem Zusammenhang muss zunächst festgestellt werden, ob es sich bei Fußallvereinen in der heutigen Zeit auch wirklich um Marken handelt. Ebenfalls gilt es festzustellen, welche Regeln der Sanktionierung von Enttäuschung Marken entgegengebracht wird.

Im Fußballjargon wird häufig das Wort „Kultobjekte“ im Zusammenhang mit verschiedenen Personen, Orten und Momenten die im Zusammenhang mit dem Verein stehen genannt. In dieser Arbeit wird die Entstehung solcher Objekte untersucht, ob sie als Indikator für die Bedeutung von Vereinsmarken für ihre Anhänger gelten.

Zur Beantwortung der Forschungsfrage werden, marketingtheoretische und soziologische Ansätze genutzt, ebenso wie eine eigene qualitative Forschung durchgeführt. Das nachfolgende Kapitel erklärt den Aufbau der Arbeit und die Relevanz der einzelnen Kapitel.

Grundlagen der Markenführung

Der Begriff der Marke lässt sich nach Bruhn in folgende fünf Gruppen unterscheiden:

Dem rechtlichen, objektbezogenen, anbieter und- nachfrageorientierten und dem integrierten Ansatz. Für den vorliegenden Fachartikel liegt der Fokus jedoch auf der sogenannten identitätsbasierten Markenführung. Im Sinne dieser identitätsbasierten Markendefinition lässt die Marke als “ein Bündel aus funktionalen und nicht-funktionalen Nutzen, deren Ausgestaltung sich aus Sicht der Zielgruppe eine Marke nachhaltig gegenüber den konkurrierenden Angeboten differenziert.” (Burmann et. al 2015, S.28.). Das Konzept der identitätsbasierten Markendefinition baut nicht auf der in der Literatur klassischen nachfragerorientierten Perspektive (Outside-In) auf, sondern diese klassische Sicht wird um eine von innen nach außen gerichtete Perspektive (Inside-Out) erweitert. Eine solche Inside-Out-Perspektive untersucht das Selbstbild der Marke mit Hinsicht auf alle internen Zielgruppen innerhalb des Managements, der Mitarbeiter und der Eigentümer. Ein solches Selbstbild wird als Markenidentität beschrieben und umfasst alle Merkmale der Marke, die für die interne Zielgruppe nachhaltig den Markencharakter prägen. (vgl ebd.). Das Konzept der identitätsbasierten Markendefinition baut nicht auf der in der Literatur klassischen nachfragerorientierten Perspektive (Outside-In) auf, sondern diese klassische Sicht wird um eine von innen nach außen gerichtete Perspektive (Inside-Out) erweitert. Eine solche Inside-Out-Perspektive untersucht das Selbstbild der Marke mit Hinsicht auf alle internen Zielgruppen innerhalb des Managements, der Mitarbeiter und der Eigentümer. Ein solches Selbstbild wird als Markenidentität beschrieben und umfasst alle Merkmale der Marke, die für die interne Zielgruppe nachhaltig den Markencharakter prägen. (vgl. ebd.). Anhand dieser Definition lässt sich die interne Ursachenperspektive in die externe Wirkungsperspektive der Marke integrieren. Als interne Ursachenperspektive lässt sich der intendierte Nutzen der Zielgruppe zusammenfassen, der allen Nutzen den die externe Zielgruppe mit der Marke in Verbindung bringen soll bündelt. Die Vermittlung dieses angestrebten Nutzenbündels erfolgt mittels der Berührungspunkte von externer Zielgruppe mit der Marke (Brand Touch Points). Die externe Zielgruppe wiederum beurteilt die Marke aus Sicht der Wahrnehmungsperspektive. Der angestrebte Idealfall besteht dann, wenn sich extern wahrgenommenes Ist-Nutzenbündel und intern festgelegtes Soll-Nutzenbündel übereinstimmend treffen. Das Verhalten der externen Zielgruppe lässt sich jedoch nicht einfach beeinflussen, dazu muss das von ihr wahrgenommene Nutzenbündel auch wichtige Bedürfnisse befriedigen können. Hier spricht man von der Verhaltensrelevanz der Marke zur Zielgruppe. Ein weiterer Bestandteil der Wirkungsperspektive liegt in der aus Sicht der Zielgruppe erkennbare Abgrenzung der Marke gegenüber anderer Marken im Markt. (vgl. ebd.).

Deontische Kontoführung und der Umgang mit Enttäuschung

Nach Robert Brandom ist erfolgreiche und konstante Kommunikation die Einhaltung der normativen Regeln und des damit einhergehenden deontischen Status. Er sieht den deontischen Status zur Festlegung und Berechtigung der Regeln im “Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen” (Brandom 2000, S.275). Zur Illustration dieses Spiels, nutzt Brandom den Vergleich mit einem Baseballspiel. Ebenfalls bestehen bei einem Baseballspiel Regeln, an die sich die Teilnehmer des Spiels halten müssen. Der Punktestand dient als Indikator, welcher Teilnehmer die Regeln am erfolgreichsten einhalten kann und welcher Teilnehmer weniger Erfolg zu vermelden hat. Der Spielstand spiegelt die erfolgreichen Spielzüge (strikes) und misslungenen Spielzüge (outs) wider. Überträgt man diese Spielregeln auf den kommunikativen Diskurs, so können wie im Spiel der Schiedsrichter, kann ein neutraler Beobachter des Diskurses eine Bewertung des Gebens und Verlangens von Gründen vornehmen. Im Diskurs folgen, wie im Spiel mehrere Spielzüge in Abhängigkeit aufeinander. So reagiert der Sprecher auf die Festlegungen und Berechtigungen seines Gegenübers, indem er seine eigenen aufstellt und nachfolgend auf die Antwort des Gegenübers mit weiteren Festlegungen und Berechtigungen antwortet. (vgl. Rommerskirchen 2016, S.309.). Der Punktestand im Baseballspiel zeigt demnach an, wie gut oder schlecht sich die Akteure innerhalb der Regeln bewegen, genau nach diesem Konzept erfolgt auch der kommunikative Diskurs denn äquivalent zum Punktestand im Baseball, kann auch der Akteur der Kommunikation im Rahmen der normativen Regeln Punkte erzielen. Brandom nimmt diesen Gedanken als zentralen Ankerpunkt seines Konzepts der deontischen Kontoführung. So gleicht jeder Sprechakt im Diskurs einem Spielzug im Spiel, dessen Erfolg sich daran messen lässt, ob die Festlegung und Berechtigung die er mit jenem Sprechakt ausgedrückt hat, auch an der richtigen Stelle und im Rahmen der Regeln im Diskurs anbringen konnte (vgl. ebd.).

Um nachzuvollziehen, wie es zu einem negativen deontischen Kontostand innerhalb der Beziehung zwischen einer Marke und des Kunden kommt, muss zunächst das Vertrauen als tragende Säule dieser Beziehung betrachtet werden. Das Vertrauen ist die Grundvoraussetzung für den Kunden, einer Marke ihr Nutzungsversprechen überhaupt abzunehmen. Dieses Vertrauen entsteht daraus, dass der Kunde die Marke anerkennt, ihr eine normative Einstellung gegenüber bringt und dadurch sowohl der normative Status als auch der deontische Status beeinflusst wird. (vgl. Rommerskirchen 2013, S.19.). Der Kunde legt sich auf die Einhaltung des Versprechens der Marke fest, indem er dieses Markennutzenversprechen als Festlegung und als Berechtigung zur Festlegung anerkennt. (Vgl. ebd. S.80.). Es liegt also nun in der Macht des Kunden den notwendigen deontischen Status einzurichten um auf die letztliche Verlässlichkeit des Versprechens zu vertrauen. Denn die deontische Kontoführung ist es, die durch positiv gefüllte Konten, der Marke als Kreditgeber dienen kann. Das bedeutet, dass die Anerkennung des Markennutzenversprechens nur Zustande kommt, wenn das deontische Konto positiv gefüllt ist und somit seine kreditgebende Funktion in Erscheinung tritt.

Dass in manchen Situationen der Kunde von vornherein einer Täuschung ausgesetzt ist, beispielsweise wenn eine Prüfung der Leistung erst im Nachhinein vorgenommen werden kann, kann durch das Vertrauen als Kreditgeber aufgefangen werden. Je größer der Kundennachteil, desto weniger wird die Täuschung akzeptiert und je größer fällt die Enttäuschung aus. Dass es generell dazu kommt, dass der Kunde eine Täuschung nicht legitimiert liegt an negativen Kontoständen der deontischen Konten. Nach Brandom entsteht “Das Einfordern von Gründen bzw. das Verstehen dieser geschieht nach Brandom im “Raum der Gründe” (vgl. Brandom 2000, S.37.), welcher als Handlungsrahmen der Akteure gilt Dort entstehen Beziehungen, die als deontischer Status einer funktionierenden Kommunikation dienen. (vgl. ebd.). Das bedeutet, sollte eine Marke und ihre deskriptiven Sprechakte im Raum der Gründe falsifiziert werden und die Nutzenmaximierung für den Kunden ausbleiben, wirkt sich dies negativ auf den deontischen Status aus. Des Weiteren ist auch der Anspruch auf das Vertrauen des Kunden betroffen, geht dieses verloren verliert die Marke ihre kreditgebende Funktion. Der Kunde vertraut nicht mehr im vornherein auf das Markennutzenversprechen der Marke.

Sportvereine als Marken

Im Sport ergeben sich jedoch eine Vielzahl von Markenträgern: Organisationen, hauptsächlich Vereine und Verbände, Sportstätten sowie Orte an denen Sport ausgeübt wird, beispielsweise Skigebiete. Personen und Athleten gehören ebenfalls zur Marke im Sport, genau wie die Ligen oder Events in denen sie agieren. Im weiteren Sinne zählen auch Sportsendungen wie die Sportschau oder Kampagnen wie “Sport tut Deutschland gut”. (vgl. Preuß 2014, S. 11.). Die Erscheinungsformen dieser Marken lassen sich jedoch vielschichtig differenzieren, dies wird besonders anschaulich beim Betrachten des Beispiels der geographischen Reichweite der Marke von Vereinen und Verbänden. Eine globale Marke bilden internationale Dachverbände beispielsweise das Internationale Olympische Komitee (IOC) oder der Fußball Weltverband FIFA. Der in Europa zuständige Verband UEFA zählt demnach als internationale Marke, während der Deutsche Fußball Bund nach diesem Schema als nationale Marke und der Fußballverband Mittelrhein als Regionalmarke zu verstehen sind. Darüber hinaus können Sportmarken nach Nutzen gebündelt werden, der unter anderem zwischen Dachmarken wie ADIDAS oder der Fußball-Bundesliga und Mono/Einzelmarken unterscheidet. Als Einzelmarken im Sport lassen sich beispielsweise Sportarenen beschreiben. (vgl. ebd., S.9.). Als Besonderheit im Sport ergibt sich die Unterscheidung zwischen Sportmarken, dazu gehören Vereine, Verbände, Sportmarken etc. und Marken im Sport, hauptsächlich Sportartikelhersteller. (vgl. Feldmann 2007.). Im Sportmarkt lassen sich darüber hinaus weitere Charakteristika herausstellen. Dazu gehört eine weitestgehend monopolistische Struktur bezüglich der Ligen, Verbände und Nationalmannschaften. Da sich den Konsumenten keine Konkurrenzangebote bieten, beispielsweise gibt es zweite Deutsche Nationalmannschaft, sind viele der zuvor beschriebenen essentiellen Markenfunktionen nicht anwendbar. Ebenfalls bilden sich häufig Regionalmonopole, wie Sportarenen oder Skigebiete, die trotz prinzipiell vorhandener Konkurrenz aufgrund ihrer Einzigartigkeit jedoch für den Konsumenten nicht austauschbar sind. Psychologische Einstellungen von Konsumenten, Fans eines bestimmten Vereins zu sein, lassen den Austausch von eigentlich homogenen Produkten nicht zu. Denn obwohl ein Verein in der gleichen Liga spielt dieselbe Sportart ausübt sind Produkte der jeweiligen Vereine aufgrund ihrer individuellen Bedeutung für den Fan nicht einfach austauschbar. (vgl. ebd., S. 18.).

Die Definition und Kategorisierung des Fußballsfans

Die Sportsoziologen Schäfer, Roose und Schmidt-Lux definieren den Fan als Menschen, die “langfristig eine leidenschaftliche Beziehung zu einem für sie externen, öffentlichen, entweder personalen, kollektiven, gegenständlichen oder abstrakten Fanobjekt haben in den emotionalen Beziehungen zu diesem Objekt und/oder Geld investieren”(Roose et. al. 2010. S. 12.).Die Beziehung zwischen Fan und Fanobjekt wird besonders durch Emotionalität geprägt, die sich unter anderem anhand von Begeisterung, Verehrung und Identifikation ausdrückt (vgl. Klemmt 2016. S.23.). Die rein wissenschaftliche Betrachtung von Heitmeyer und Peter aus dem Jahre 1988 unterteilt den Fußballfan anhand des Bedeutungsgrades des Fußballs für ihn in drei Kategorien. Dabei haben sich die Kategorien des konsumorientierten, fußballzentrierten und erlebnisorientierten Fans etabliert. Während der konsumorientierte Fan die Bedeutung des Fußballs in der sportlichen Leistung seines Vereins und der Spieler sieht, so zeichnet sich der fußballzentrierte Fan durch Loyalität und Vereinstreue aus, ohne dabei den sportlichen Erfolg in den Vordergrund zu stellen. Dem erlebnisorientierten Fan geht es hauptsächlich um die Stimmung im Stadion und den Fußball als Erlebnis. (vgl. Heitmeyer/Peter 1988, S.32.). Der empirische Teil dieses Artikels befasst sich ausschließlich mit dem fußballzentrierten Fan, der sich durch Loyalität und Vereinstreue auszeichnet. Diese Loyalität und Treue gilt es anhand der qualitativen Methoden zu erläutern.

Religion der Moderne

Durkheims Herausstellung der Religion als eine außerordentlich soziale Praxis und ihr Verständnis als essentieller Punkt zum Zusammenhalt der Gemeinschaft sieht sich diese für Durkheim vor dem Hintergrund fortschreitender sozial-strukturellen Veränderungen einer essentiellen Überprüfung ausgesetzt. Das Ergebnis solcher sozio-strukturellen Tendenzen ist folglich eine Welt, in der Menschen immer häufiger die Identifikation mit partikularen Gemeinsamkeiten fehlt. Die einzige Quelle für Gemeinsamkeit ist für Durkheim deshalb die “Idee der menschlichen Person selbst” (vgl. Joas 2011, S.88.). Durkheim grenzt sich davon ab rituelle Praktiken als bloßen Ausdruck von Glaubensüberzeugungen zu verstehen, indem er sie in ein “System von Glaubensvorstellungen und Praktiken” einordnet. Durkheim zeigte schon in frühen Werken abgeneigt von der Vorstellung, Religion hauptsächlich durch Übersinnliches zu Beschreiben. Ebenso vermeidet Durkheim Religion aus etwas “Übernatürlichem” oder aus einem Gottesglauben heraus zu definieren, da für ihn alleine der Begriff “Übernatürlich” besagt, dass ein Verständnis des “Natürlichen” bereits vorhanden sein muss. Es existieren demnach auch Riten ohne Gott, oder Riten aus denen Götter abgeleitet werden und auch nicht alle religiösen Tugenden ihren Ursprung in der göttlichen Persönlichkeit finden, was weiterhin darauf schließen lässt, dass Religion über die Idee des “Göttlichen” hinausgeht und eine Definition nicht im Bezug auf diese Idee existieren kann (vgl. Durkheim 1981, S. 91.). Durkheim legt sich in seiner Definition eindeutig auf den sozialen Aspekt des Religiösen fest.

“Die religiösen Vorstellungen sind Kollektivvorstellungen, die Kollektivwirklichkeiten ausdrücken, die Riten sind Handlungen, die nur im Schoß von versammelten Gruppen entstehen können und die dazu dienen sollen, bestimmte Geisteszustände dieser Gruppen aufrecht zu erhalten oder wiederherzustellen” (ebd.). Das Wesen der Religion sieht Durkheim in der kollektiven Beziehung zum Heiligen, ebenso kognitiv wie praktisch.

Totemismus und die kollektive Ekstase

Durkheims Annahme zur Folge, muss bei der Erklärung jeglichen menschlichen Anliegens, die evolutionärisch einfachste und grundlegendste Form ermittelt werden, um den Charakter der Sache zu erforschen. Dabei sei es gleich, ob es sich um moralische, religiöse, rechtliche oder ähnliche Dinge handelt, wichtig ist die Betrachtung der ursprünglichsten Form des Verhaltens und der Blick darauf, wie sich dieses über die Zeit hinweg und letztlich bis zum besagten Zeitraum entwickelt hat. Durkheim ist demnach der Annahme, dass sich heutige Phänomene mit Hilfe ihrer ursprünglichsten Form am besten erklären lassen, da sie in diesem Zustand eine geringe Komplexität aufweisen. Dieses Schema angewendet auf die Untersuchung von Entstehung und Wirkung des religiösen Lebens bedeutet eine Untersuchung der ursprünglichsten noch anzutreffenden Form von Religion. Am geeignetsten für diese Untersuchung schien Durkheim der australische Totemismus (Vgl. Joas 1997, S. 88). Der Totemismus allgemein wird am treffendsten von Gerhard Kubik in seinem Werk “Totemismus: ethnopsychologische Forschungsmaterialien und Interpretationen” (vgl. Kubik 2003, S.8ff.) als eine ethnologisch, religiöse Zusammenfassung verschiedener gesellschaftlicher Konzepte oder Glaubensvorstellungen. Kern dieser Konzepte und Glaubensvorstellungen liegt in der mythisch-verwandtschaftlichen Verbindung von Menschen zu bestimmten Naturerscheinungen wie Tieren, Pflanzen, Quellen oder Anderen. Diese Erscheinungen werden als Totem definiert und besitzen als Symbole eine wichtige kulturelle Bedeutung. Wie bereits eingangs erwähnt, glaubte Durkheim nicht an die transzendente Entstehung und Stützung von Moral. Es musste also ein Ersatz gefunden werden, der innerhalb dieser Welt seinen Ursprung findet und nicht transzendent ergründet wurde. Aus seiner aufgestellten Definition der Religion geht hervor, dass das Wesen der Religion in der kollektiven Beziehung zum Heiligen, ebenso kognitiv wie praktisch liegt. “ Der Totemismus ist keine Religion dieser oder jener Tiere, dieser oder jener Menschen oder dieser oder jener Bilder, sondern eine Art anonymer und unpersönlicher Kraft, die sich in jedem dieser Wesen befindet, ohne mit einem von ihnen zusammenzufallen” (Durkheim 1981, S.261.).

Dies führt zu der Annahme, das es nicht die mythischen Persönlichkeiten in Formen von Göttern oder Geister sind, die den Ausgangspunkt des religiösen Denkens bereitstellen (vgl. Joas 2011, S.92.), sondern vielmehr “unbestimmte Mächte, anonyme Kräfte, die je nach den Gesellschaften mehr oder weniger zahlreich sind, manchmal auch in eine Einheit zusammengefasst.” (ebd.) Die Heiligkeit der heiligen Dinge oder Praktiken ist danach nicht inhärent, sondern entsteht erst dadurch, dass die in ihnen wirkende und erfahrbare Kraft aufgefasst werden kann. Der zentrale Punkt dieser Glaubensvorstellungen und Rituale, dem Totemismus, liegt für Durkheim in der Idee einer überpersönlichen Kraft (vgl. Joas 2011, S.92.).

“Der Totemismus ist keine Religion dieser oder jener Tiere, dieser oder jener Menschen oder dieser oder jener Bilder, sondern eine Art anonymer und unpersönlicher Kraft, die sich in jedem dieser Wesen befindet, ohne mit einem von ihnen zusammenzufallen” (Durkheim 1981, S.261.).

Dies führt zu der Annahme, das es nicht die mythischen Persönlichkeiten in Formen von Göttern oder Geister sind, die den Ausgangspunkt des religiösen Denkens bereitstellen (vgl. Joas 2011, S.92.), sondern vielmehr “unbestimmte Mächte, anonyme Kräfte, die je nach den Gesellschaften mehr oder weniger zahlreich sind, manchmal auch in eine Einheit zusammengefasst” (ebd.) Die Heiligkeit der heiligen Dinge oder Praktiken ist danach nicht inhärent, sondern entsteht erst dadurch, dass die in ihnen wirkende und erfahrbare Kraft aufgefasst werden kann. (ebd.) In der Untersuchung danach, wie die Vorstellungen von dieser heiligen Kraft entstanden ist, widmet sich Durkheim auch der Frage nach der Entstehung des Totemismus. Dabei nutzt er die bekannte Beobachtung, dass bei einer Versammlung von Menschen, insbesondere bei jenen die über einen längeren Zeitraum anhalten und die Bedingungen der Versammlung genauer definiert sind, sich das Gefühl der verminderten Selbstkontrolle einschleicht. Zur Beschreibung der Vorgänge innerhalb solcher Versammlungen spricht Durkheim von wachsender Hitze und einer wachsenden elektrischen Spannung unter den Teilnehmern, gleichzusetzen mit einem Echo- oder Lawineneffekt. Diese beschriebene Selbststeigerung ist nach Durkheim zwar nicht immer der Fall, kann aber ab einem bestimmten Punkt bis zu einem Selbstverlust führen. Dieser Grad der Erregung führt dazu, dass sich der Mensch selbst nicht wiedererkennt und sich von einer Art äußeren Macht gesteuert fühlt, die ihm das Gefühl gibt beherrscht zu werden und ihn dazu bringt sein Denken und Handeln anders als gewohnt zu gestalten, oder ihn sogar zu dem Glauben anregt, ein neues Wesen geworden zu sein. Die Masken und Verkleidungen, die bei den Versammlungen getragen werden, verleihen nicht nur dieser inneren Verwandlung Ausdruck, sondern tragen vielmehr noch dazu bei, diese Verwandlung hervorzurufen. Innerhalb der Gruppe fühlt sich nicht nur der Betroffene einer Verwandlung unterzogen, sondern auch alle anderen Teilnehmer der Gruppe. Sie drücken diese ebenfalls durch ihre Handlungen aus und lassen dadurch den Glauben entstehen, dass sich alle Teilnehmer in einer, ihnen völlig fremden Welt, befinden in der sich neue Kräfte gebildet haben, die sie überwältigen und steuern. (vgl. Durkheim 1986, S.300.). Diese Beschreibungen des Totemismus zeigen Durkheims zentrale Idee auf. Er beschreibt dieses Phänomen als “kollektive Efferveszenz”. Dieser Begrifflichkeiten dienen zur Beschreibung der Erfahrung einer Kraft, auch als außerordentliche Macht beschrieben, die die Fähigkeit besitzt derart mitreißend auf ein Individuum zu wirken, dass es sich komplett in eine andere Welt versetzt fühlt. Für Durkheim besteht kein Zweifel an der Wirksamkeit und Wirklichkeit dieser Kraft und er definiert diese Kraft als den Effekt, welcher bei der Vereinigung zu einem Kollektiv entsteht. (vgl. Joas 2011, S. 94). Ebenfalls definiert er das Totem als die Verkörperung der heiligen Kraft und darüber hinaus auch als Symbol des Kollektiv, der Gesellschaft, die als Klan bezeichnet wird. (vgl. Durkheim 1986, S.284.). Er stellt also eine klare Doppelfunktion des Totems heraus. Diese Doppelfunktion führt zum zentralen Kern seiner Fragestellung:

“Wenn es also sowohl das Symbol des Totems wie der Gesellschaft ist, bilden dann nicht Gott und die Gesellschaft eins? Wie hätte das Wappen der Gruppe das Zeichen für diese Quasigottheit werden können, wenn die Gruppe und die Gottheit zwei unterschiedliche Realitäten gewesen wären?” (vgl. Durkheim 1986, S.284.). Aus dieser Fragestellung ergibt sich nun folgende Schlussfolgerung: “Der Gott des Klans, das Totemprinzip kann also nichts anderes als der Klan selber sein, allerdings vergegenständlicht und geistig vorgestellt unter der sinnhaften Form von Pflanzen – oder Tiergattungen, die als Totem dienen.”

Mit der Untersuchung der im Kollektiv ausgelösten Ekstase will Durkheim also der Frage nach der “Vergottung” Abhilfe schaffen. Seine Untersuchung steht unter der Annahme, dass der Empfänger dieser Selbstverlust auslösenden Kraft, diese auch als außerordentliche Erfahrung wahrnimmt und nicht als reguläres Erlebnis einordnet (vgl. Joas 2011, S.95.).

Die bedingungslose Vereinsliebe: Ergebnisse der Forschung

Mithilfe der Forschungsfrage soll nun die besondere Bedeutung von Vereinsmarken für ihre Anhängerherausgestellt werden und dieses Phänomen anschließend in das theoretische Konstrukt eingearbeitet werden. Ebenso soll eine Vorstellung kreiert werden, wie der Zusammenhang zwischen Enttäuschung und Sanktionierung dieser bei Fußballanhängern stattfindet im Vergleich zu normalen Konsumenten.

Im folgenden Kapitel sollen die dargestellten Kategorien zusammengefasst und in einen Sinnzusammenhang geführt werden, der zur Beantwortung der Forschungsfrage, der Bedeutung von Vereinsmarken für ihre Anhänger, dient. Dem Phänomen der scheinbar bedingungslosen Unterstützung von sportlich wenig erfolgreichen Vereinsmarken, kann anhand der Forschungsergebnisse eine Erklärung geboten werden, welche die Bedeutung zwischen Anhänger und Vereinsmarke in mehrere unterschiedliche und miteinander agierende Faktoren unterteilt, die sich auf ein übergeordnetes Ziel konzentrieren, das sich unabhängig vom sportlichen Erfolg definieren lässt: das Streben nach kollektiven Erfahrungen.

Dabei konnte zunächst erforscht werden, auf welchem Fundament die Beziehung zwischen Anhänger und Verein steht. Alle Befragten gaben an, dass ihre Verbindung zum Verein durch Sozialisation und soziales Umfeld entstanden ist und auch weiterhin eng damit verknüpft bleibt. Der Verein dient als Plattform für soziale Verbindungen der Anhänger untereinander; eine Eigenschaft, die sich wechselwirkend als Bedeutungsparameter zwischen Verein und Anhängern darstellen lässt. Als weiteren Auslöser wurden immer wieder prägende Momente identifiziert, die als Auftakt der Beziehung oder Festigung dieser herausgestellt werden konnten. Die Beziehung zum Verein spielt zwar für alle der Befragten eine übergeordnete Rolle im Leben, passt sich aber auch den jeweiligen Umständen der Probanden an. So kann diese Beziehung zwischen Anhänger und Verein in manchen Fällen bis hin zum das Scheitern einer Ehe, in dem mehr Zeit in die Aktivitäten als Fan investiert wird, in manchen Fällen muss sie jedoch aus beruflichen Gründen in den Hintergrund treten. Im nächsten Schritt konnte erörtert werden, warum das Streben nach kollektiven Erfahrungen einen derartigen Stellenwert besitzt. Vergleicht man die Verhaltensweisen der Befragten mit den in der Religion üblichen Verhaltensweisen und Methoden, so lassen sich nicht nur anhand der Rhetorik der Befragten Parallelen ziehen, sondern auch in ihren Handlungen wie beispielsweise die Einhaltung verschiedener Rituale im Kollektiv sowie die Verehrung verschiedener Symbole, Personen und Orte, die einen Zusammenhang mit dem Verein besitzen.

Die Erfahrungen im Kollektiv, sowie das kollektive Generieren von Ritualen und Erschaffen von Kultsymbolen lassen auf eine religionsähnliche Bindung zwischen Anhängern und Verein schließen. Ebenfalls lässt sich das Phänomen der Sakralisierung von Profanem beobachten, wonach eine Aufladung von banalen Dingen mit einer “heiligen” Bedeutung anhand des Ereignisrahmens erfolgt, in dem sie stattfinden. Auch die Projektion von Bedeutung und Gefühlen, die in diesem Rahmen erlebt wurden, spielen für die immense Wertschätzung der eigentlich profanen und gewöhnlichen Gegenstände eine entscheidende Rolle. Diese Beobachtungen finden eine starke Grundlage in den Theorien Durkheims zum Totemismus.

Um eine Aussage treffen zu können, was im Fall der Enttäuschung eingetreten ist oder hypothetisch eintreten könnte, mussten zunächst die Erwartungen der Befragten erörtert werden. Dabei lässt sich wieder die entscheidende Komponente in den Vordergrund stellen, das Streben nach Kollektiv. Die Erwartungen der Befragten ließen sich in zwei verschiedene Kategorien unterteilen: in den Bereich der Erwartungen an sportliche Leistungen und der sozialen Erwartungen an den Verein. Unter sportlichen Erwartungen wurde die Leistungsbereitschaft der Mannschaft auf dem Platz, die tabellarische Zielsetzung sowie auch die Vorstellung der Spielweise in definiert. Die sozialen Erwartungen umfassten vor allem das Stadionerlebnis, die Vereinspolitik sowie den Umgang mit Faktoren der Kommerzialisierung. Auffällig ist hier, dass der Fokus klar auf den sozialen Komponenten der Anhängerschaft liegt, von den meisten als das “drumherum” beschrieben. Die Ergebnisse zeigten, dass die sportliche Enttäuschung und als Konsequenz sogar Abstiege in unterklassige Ligen für die Befragten als ein Teil ihrer Anhängerschaft akzeptiert wird und das Durchleben und die ausbleibende Sanktionierung negativer Ereignisse nach außen als Ausdruck von Stärke und bedingungsloser Bindung zum Verein vermittelt wird.

Zusammenfassend lässt sich genau an diesem Punkt die Bedeutung von Vereinsmarken für ihre Anhänger anhand der zuvor diskutierten Ergebnisse erläutern. Sie wurde aufgebaut auf einem soliden Fundament mit dem Bindeglied des sozialen Umfelds und entweder anhand eines prägenden Erlebnisses ins Leben gerufen oder durch diese weiterhin gefestigt. Hinzu kommt der umfassende Faktor des Kollektivs, in dem sich ekstatische Zustände ausleben, das soziale Umfeld pflegen und gemeinsame Symbole verehren lassen. Diese Festigung der Bindung geschieht durch verschiedene Rituale und die Anerkennung verschiedener vereinsbezogener Kultobjekte. All diese Faktoren führen letztlich dazu, dass die Regeln der Enttäuschung und Sanktionierung gebrochen werden und bei Fußballanhängern nur geringe Anwendung finden.

Der Verein als Religion

In den Ergebnissen lassen sich zahlreiche Verhaltensmuster und Methoden erkennen, die ihre Grundlage in den Theorien von Emile Durkheim finden, insbesondere den Erkenntnissen aus den Untersuchungen des Totemismus. Zur Erklärung der in der Einleitung beschriebenen „bedingungslosen Liebe“ und der gestellten Forschungsfrage bezüglich der Bedeutung der Vereinsmarke lassen sich diesbezüglich aus den Ergebnissen zahlreiche Erkenntnisse herausstellen.

Durkheim konnte zeigen, dass sich Religion losgelöst vom Gedanken an Übersinnliches betrachten lässt und schafft somit Raum dafür, auch nicht-übersinnliche Dinge als Religion zu erfassen. In diesem Punkt liegt der Ausgang des Bezugs seiner Theorien auf die erforschten Ergebnisse. Zunächst wird vorausgesetzt, dass Religion nicht anhand von Übersinnlichem definiert werden kann. Der soziale Aspekt und das Kollektivverhalten, in denen Riten und Handlungen stattfinden, lässt sich mit den Ergebnissen der Forschung vereinbaren. Im weiteren Schritt wird die Feststellung einer “unbestimmte (n) Macht und anonyme (r) Kräfte” auf das Verhalten der Fußballanhänger im Kollektiv angewendet.

Es stellt sich fortführend die Frage, wie eine solche Kraft entstehen kann und ob sich durch sie die Heiligkeit der heiligen Dinge und Praktiken beschreiben lässt. Durkheim betrachtet die Herkunft dieser Kraft aus der kollektiven Ekstase heraus und spricht dabei davon, dass sich bei bestimmten Versammlungen, die über einen längeren Zeitraum anhalten und deren Bedingungen klar definiert sind, “Zustände der verminderten Selbstkontrolle” bis hin zum “völligen Selbstverlust” einstellen und den Erfahrenden das Gefühl einer höheren, sie steuernden, Macht vermittelt und dieser sich dadurch nicht wiedererkennt. Innerhalb der Gruppe fühlt sich der Betroffene einer Verwandlung unterzogen, durch die sich eine fremde Welt eröffnet und neue Kräfte einstellen, welche die Person überwältigen und steuern. Durkheim nennt dies „Kollektive Efferveszenz“ – auch kollektive Ekstase.

In den Interviews wurden zahlreiche solcher Erfahrungen genannt, in denen sich die Personen im Kollektiv nicht wiedererkannten oder von außerordentlichen Erfahrungen berichteten, durch die sich ihr Bezug zum Verein veränderte. Es lässt sich also auch zu diesem Aspekt eine Grundlage in Durkheims Theorien herstellen.

In der Theorie wird das Totem als die Verkörperung der heiligen Kraft und darüber hinaus auch als Symbol des Kollektivs beschrieben. Dies zeigt die Doppelfunktion des Totems. Wenn das angebetete Symbol die Gesellschaft selbst ist, so kann der Gott des Kollektivs nichts Anderes sein, als das Kollektiv selbst, und zwar in vergegenständlichter Form. Dies erklärt auch die Einteilung in profanes und sakrales, denn folglich ist alles das, was nicht in Verbindung mit der beschriebenen Erfahrung steht, profan; sakral ist folglich alles das, was unabhängig der Art wie es vermittelt wird, mit dieser Erfahrung in Verbindung steht.

In Bezug auf die Forschung zeigt sich ebenfalls, dass die Gesellschaft, das Kollektiv der Fans, selbst als “Quasigottheit” auftritt und sich alle Dinge, die mit der beschriebenen Erfahrung in Verbindung treten, als sakral erscheint. Dies zeigt sich an der Verehrung verschiedener Personen oder Stätten in Bezug zum Verein. Personen, Stätte oder Symbole werden aufgrund ihres Zusammenhangs mit dem Erleben der ekstatischen Momente verehrt

Die beschriebenen außerordentlichen Erfahrungen erleben die Individuen zwar nur während ihrer Versammlungen im Kollektiv, jedoch bleibt die Kraft, die dort entsteht, dem Individuum auch im Alltag erhalten. Die Versammlungen und die in ihr entstehende kollektive Ekstase vermitteln eine Lebensfreude, die durch ständige Wiederholungen aufgefrischt und weitergetragen wird.

Dies bietet eine theoretische Grundlage zur Annahme, dass die Unterstützung des Vereins durch das kollektive Zusammenkommen im Stadion und die dort erhoffte kollektive Ekstase eine Motivation darlegt, sich immer wieder im Kollektiv einzufinden, unabhängig vom eigentlichen in der Öffentlichkeit wahrzunehmenden und objektiven Fußballspiel. Diese Zusammenführung der Forschungsergebnisse vor dem Hintergrund der Theorien Durkheims zeigen, dass die starke Bindung zwischen Verein und Anhänger und somit die Bedeutung der Vereinsmarke für seine Anhänger zu großen Teilen auf eine Art in der Ekstase vermittelte Lebensfreude aufbaut, die durch ständige Wiederholung erneuert und verbreitet wird.

Fehlende Sanktionierung der Enttäuschung

Die Beziehung zwischen Marke und Konsument dargestellt werden, in dem festgelegt wurde, dass der Mehrwert der Marke in den Markennutzungsversprechen, also der Bedürfnisbefriedigung des Kunden liegt. Um als Unternehmen einen ökonomischen Vorteil aus dem Aufbau einer Marke zu generieren, müssen demnach die Anforderungen der Konsumenten Erfüllung finden. Ein professioneller Sportverein und demnach auch seine Vereinsmarke suggerieren durch die Teilnahme an professionellen Wettkämpfen das Markennutzenversprechen des sportlichen Erfolgs oder zumindest die Zielsetzung dessen. Betrachtet man nun, dass nach Brandoms Theorie der deontischen Kontoführung, es bei einem Ausbleiben der Nutzenmaximierung des Kunden zu negativen Kontoständen und dementsprechend auch dem Verlust des Vertrauens als Kreditgeber kommt, so wäre die Schlussfolgerung laut dieser Theorie, dass die Vereinsmarke für ein solches Markenfehlverhalten entsprechend sanktioniert werden müsste.

Die Forschung ergab jedoch zwei richtungsweisende Ergebnisse. Einerseits stehen die sportlichen Ergebnisse nicht primär im Zusammenhang mit dem Markennutzenversprechen, sondern vorwiegend die soziale Komponente der Vereinsmarke. Die Ergebnisse zeigen, dass die sportliche Enttäuschung und als Konsequenz sogar Abstiege in unterklassige Ligen für die Befragten als ein Teil ihrer Anhängerschaft akzeptiert und das Durchleben und die ausbleibende Sanktionierung negativer Ereignisse nach außen als Ausdruck von Stärke und bedingungsloser Bindung zum Verein vermittelt werden. Es widerspricht demnach der Theorie Brandoms, beziehungsweise zeigt es, dass für die Bindung zwischen Fußballanhängern und ihrer Vereinsmarke die für Konsummarken aufgestellten Regeln nicht in Kraft treten. Das in der Einleitung beschriebene Phänomen, dass selbst in unterklassigen Ligen ein immenses Zuschaueraufkommen bei Fußballspielen aufzufinden ist, lässt sich demnach dadurch erklären, dass die sportliche Enttäuschung keinerlei bzw. nur marginale negative Auswirkungen auf die Bindung zwischen Anhänger und Verein besitzt, sondern häufig eine Verstärkung dieser herbeiführt.

Fazit

Zu Beginn dieses Artikels wurde das Phänomen skizziert, dass sich sogar in Spielklassen abseits der erst- und zweithöchsten Spielklasse eine scheinbar bedingungslose Unterstützung der Fußballanhänger ihren Vereinen gegenüber widerspiegelt. Die unter Fans gerne ausgerufene Parole „Liebe kennt keine Liga“ führt in Verbindung mit der in der Theorie dargelegten Sanktion der Enttäuschung bei Markenfehlverhalten zur Forschungsfrage nach der Bedeutung von Vereinsmarken für Fußballanhänger.

Ziel dieses Artikels war es, diese Bedeutung zu definieren, ihr Entstehen und Überlebensfähigkeit besonders in Zeiten der Kommerzialisierung des Fußballs zu untersuchen, um anschließend nachvollziehbar darzustellen, wie sich die nach außen titulierte „bedingungslose Liebe“ im Fall der Enttäuschung verhält. Es stellte sich demnach die Frage, was die treibende Kraft hinter der Bedeutung von Fußballanhängern und ihren Vereinsmarken ist.

Mit den Erkenntnissen dieses Artikels lässt sich ganz klar herausstellen, dass das Kollektiv, in dem Fans agieren, als bedeutungsgebendes Element fungiert. Erst im Kollektiv erlangt der Verein für seine Anhänger eine religionsähnliche Bedeutung, die es ermöglicht, Momente der kollektiven Ekstase zu erleben. Diese Momente gelten als Ausgangspunkt oder Festigung der Beziehung. Die in der Theorie dargelegten Untersuchungen Durkheims bezüglich des Totemismus und die dort gewonnenen Erkenntnisse geben Aufschluss darüber, welche Dimensionen die Kollektiverlebnisse der Bedeutung des Vereins gegenüber haben.

Aus den Forschungsergebnissen lassen sich solche Momente der kollektiven Ekstase widerspiegeln. Die Bedeutung des Vereins lässt sich also daraus entstehend ausdrücken, dass das angebetete Symbol die Gesellschaft selbst, in diesem Fall die Gesellschaft der Anhänger, ist. Aus diesem Grund kann der Gott des Kollektivs nichts Anderes sein, als das Kollektiv selbst, und zwar in vergegenständlichter Form. Diese Erkenntnis erklärt die Heiligsprechung verschiedener, in Zusammenhang mit dem Verein stehender Personen, Orte und Symbolen.

Schlussfolgernd zeigt sich, dass es den Anhängern vorwiegend um das Kollektiv und der sich dort einstellenden Erfahrungen geht und weniger um den rein sportlichen Erfolg des Vereins. Aus diesem Grund lässt sich erklären, wie eine nach außen irrationale Unterstützung eines sportlich schwachen Vereins entsteht, welche nicht durch Fehlverhalten der Vereinsmarke sanktioniert wird. Die von Brandom beschriebene Theorie der deontischen Kontoführung und Sanktionierung von Enttäuschung kann im Fall von Fußballanhängern und Vereinsmarken nach Auswertung der Ergebnisse widerlegt werden. Es findet keine Kontoführung zwischen Anhänger und Verein statt, welche auf Fehlverhalten und Vertrauensverlust reagieren könnte und daraus Konsequenzen zieht.

Des Weiteren haben die Ergebnisse gezeigt, dass sich Fußballanhänger mit den Auswirkungen der Kommerzialisierung auseinandersetzen und eine kritische Haltung einnehmen, jedoch auch in diesem Bereich eine Rückbesinnung auf die Werte des Kollektivs stattfindet. Ebenfalls lässt sich im Kollektiv auch die Herkunft der Beziehung zwischen Verein und Anhänger erschließen. Die Ergebnisse zeigen einen Zusammenhang zwischen Sozialisation, sozialem Umfeld und der Vereinswahl.

Es lässt sich festhalten, dass die Bedeutung der Vereinsmarke für Anhänger sich anhand der Theorien Durkheims begründen lässt und die Verallgemeinerbarkeit der Theorien zum Totemismus auf Fußballanhänger und ihre Vereinsmarken als zulässig gestaltet.

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