Katharina Prußnat: Bin ich es oder die KI? – Einstellungen, Haltungen und Verhalten von Konsumenten

Der vorliegende Fachartikel untersucht den Einfluss von künstlicher Intelligenz auf die Markeneinstellungen von Konsumenten. Dabei wird sowohl die emotionale als auch die rationale Markensicht beleuchtet, um einen ganzheitlichen Überblick von Markenbeziehungen liefern zu können. Mit Fokus auf den Menschen, wird das Verständnis für die Begriffe Haltung, Einstellungen und Verhalten geschärft. Anschließend wird auf die Frage des Vertrauens eingegangen. Mit diesen Begrifflichkeiten wird schließlich ein Bezug zur künstlichen Intelligenz hergestellt. In der Studie dieses Artikels werden die kognitiven, affektiven und konativen Einstellungen hinsichtlich verschiedener Einsatzbereiche von KI untersucht. Anschließend wird der Fokus auf die jeweiligen Markenbeziehungen gelenkt, um herauszufinden inwiefern der Einsatz von KI die jeweiligen Markeneinstellungen beeinflusst. Die Basis der Forschung bilden Leitfadeninterviews, bei denen sich die Befragten in verschiedene KI-Szenarien hineinversetzen müssen. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Einstellungen der Konsumenten gegenüber Marken durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz beeinflusst werden können. Dies steht jedoch in Abhängigkeit zu dem jeweiligen Berührungspunkt mit der Marke und kann demnach nicht allgemeingültig betrachtet werden. Des Weiteren geht aus der Studie hervor, dass nicht alle Einstellungsmerkmale (kognitiv, affektiv, konativ) gleichermaßen beeinflusst werden.

 

Künstliche Intelligenz – der bessere Mensch?

“The development of full artificial intelligence could spell the end of the human race. […] It would take off on its own, and re-design itself at an ever-increasing rate. Humans, who are limited by slow biological evolution, couldn’t compete, and would be superseded“ (Hawking, BBC Interview 2014)

In den letzten beiden Jahrzehnten hat die Digitalisierung erhebliche Veränderungen in den Alltag der Menschen gebracht, was sich maßgeblich auf die Markenführung vieler Unternehmen auswirkt. Viele Unternehmensprozesse werden mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) beschleunigt und automatisiert, um die Effizienz zu steigern. Dabei werden die Konsumenten mit ethisch unzureichenden KI-Anwendungen konfrontiert, welche aus der Digitalisierung hervorgehen (vgl. Capgemini Research Institute 2019: 13). Des Weiteren herrschen bei einer hohen Anzahl von Menschen große Wissenslücken hinsichtlich künstlicher Intelligenz. Das führt bei einem Großteil der Konsumenten zu Skepsis gegenüber dieser Technologie. Viele von ihnen sind sich gar nicht bewusst, wie oft sie im Alltag bereits mit KI- Anwendungen konfrontiert werden (vgl. Pega 2017: 5 ff). Nicht zuletzt, tragen die unklaren ethischen Richtlinien von Marken im Umgang mit KI-Systemen zu dem Misstrauen gegenüber künstlicher Intelligenz bei. Hieraus resultiert eine veränderte Vertrauensbasis von Kunden zu den jeweiligen Marken, wobei die Gefahr besteht, dass Kunden die Nutzung dieser Technologien eher vermeiden möchten (vgl. a.a.O.: 11). Transparenz und Aufklärung im Umgang mit dem Thema KI sowie ethische Rahmenbedingungen für Unternehmen können Marken darin unterstützen, das Vertrauensverhältnis zu den Kunden wiederherzustellen (vgl. Capgemini Research Institute 2019: 15).

Hierzu ging aus einer Studie hervor, dass 62 % der Befragten ein höheres Vertrauen in Marken setzen würden, wenn diese die genannten Bedingungen erfüllt würden (vgl. a.a.O.: 8). Darüber hinaus hat eine weitere Studie die Emotionen und Gefühle der Menschen gegenüber künstlicher Intelligenz untersucht. Diese legt dar, dass die Befragten zwar allgemein offen gegenüber künstlicher Intelligenz sind, jedoch eine weit verbreitete Skepsis bezüglich der Technologie herrscht (vgl. Syzygy 2017: 2). Dabei befürchtet ein Großteil der Konsumenten, dass Mitarbeiter durch KI gesteuerte Systeme ersetzt werden. Daraus würde folgen, dass die zwischenmenschliche Kommunikation zur Marke verloren geht, was sich auf die Markenbeziehung auswirken könnte. Insbesondere im Hinblick auf den Einsatz von Chatbots in der Markenkommunikation, ist eine menschliche Verschleierung dieser Roboter nicht erwünscht (vgl. ebd.). Gleichzeitig herrscht bei einer großen Anzahl der Menschen der Wunsch nach einer humanoiden KI. Das bedeutet, Roboterassistenten sollen mehr Persönlichkeitsmerkmale wie Namen oder Emotionen besitzen.

Trotz der Skepsis gegenüber künstlicher Intelligenz, geht aus einer weiteren Untersuchung hervor, dass die Konsumenten im Grunde mehr Angst vor den Programmierern haben, als vor der Technologie selbst. Sie befürchten, dass Unternehmen die Technologie für ihre eigenen Zwecke missbrauchen. Nichtsdestotrotz zeigen die Ergebnisse dieser Studie, dass 83 % der Deutschen sich vorstellen können mit KI zu kommunizieren. Diese Umfrage hat zusätzlich ergeben, dass die Konsumenten vorrangig Vertrauen in KI-Anwendungen haben, die ihre alltäglichen Prozesse erleichtern und dem Nutzer mehr Komfort bieten. Dabei wurden besonders Sprachassistenten wie Alexa und Siri hervorgehoben (vgl. nextMedia.Hamburg 2019). Des Weiteren hat eine Studie der Bertelsmann Stiftung die allgemeinen Einstellungen der Deutschen gegenüber künstlicher Intelligenz untersucht. Die Untersuchung legt dar, dass die jeweiligen Einstellungen der Teilnehmer aufgrund verschiedener Wissensausprägungen variieren und vor allem die Älteren unter den Befragten sich skeptischer gegenüber KI verhalten. Zusätzlich konnte festgestellt werden, dass die Einstellungen der jeweiligen Befragten ambivalent sind (vgl. Fischer/Petersen 2018: 23 f.).

Dieser Fachartikel soll den bisherigen Forschungsstand erweitern, indem nicht nur die allgemeinen Einstellungen untersucht werden, sondern auch die Art der Einstellungen gegenüber verschiedenen Sachverhalten bzw. Szenarien, in denen die Konsumenten mit KI konfrontiert werden. Daraus hat sich die folgende Forschungsfrage ergeben:

Inwiefern werden die kognitiven, affektiven und konativen Einstellungen zu einer Marke beeinflusst, wenn die Konsumenten mit KI-Anwendungen in Interaktion treten?

Es handelt sich bei dieser Ausarbeitung um die Etablierung einer Grundlage für weitere Analysen sowie die Präzisierung der allgemeinen Einstellungen gegenüber künstlicher Intelligenz. Zwar haben vergangene Forschungen bereits Aufschluss darüber gegeben, wie die Menschen im Allgemeinen gegenüber der Technologie eingestellt sind, jedoch fehlt bisher noch eine Differenzierung zwischen den jeweiligen Einsatzbereichen der künstlichen Intelligenz. In diesem Zusammenhang wird sich auf verschiedene Berührungspunkte mit Marken fokussiert, die einen tieferen Einblick in die jeweiligen Einstellungen gegenüber der Technologie liefern sollen.

 

Fiktionale Erwartungen und die Schaffung von Einzigartigkeit

Bei der emotionalen Sicht auf die Marke sind die fiktionalen Erwartungen bedeutend. Wo früher der Konsum der Deckung von Grundbedürfnissen diente und von sozialen Traditionen bestimmt wurde, hat er heute eine viel weitreichendere Position im Leben der Menschen eingenommen (vgl. Beckert 2018: 297 f.). Das bedeutet, die Kaufentscheidungen innerhalb der Gesellschaft orientieren sich nicht länger an dem rein funktionalen Nutzen von Produkten und Dienstleistungen, sondern sie müssen auch mit einer kulturellen und sozialen Bedeutung aufgeladen werden. Die oben genannten fiktionalen Erwartungen nehmen bei dem Kaufprozess eine entscheidende Rolle ein. Sie handeln von der Vorstellung, das Produkt zu besitzen, wobei imaginierte Bilder und das Begehren nach dem Produkt ausgelöst werden. Dadurch soll der Entscheidungsprozess unterstützt und Ungewissheiten verringert werden (vgl. a.a.O.: 300). Auf diesem Weg können Bilder, die mit einem Konsumgut assoziiert werden, eine begehrenswerte Vorstellung einer Lebenssituation auslösen, welche mit dem Erwerb des Produktes verwirklicht wird. Hier sind die Marketingkampagnen der Unternehmen von Bedeutung, welche die Erwartungsvorstellungen bei ihrer Zielgruppe hervorrufen können. Der geschaffene Wert eines Objekts liegt demnach in der Diskrepanz zwischen Begehren und Inbesitznahme. Daher ist es für das Wirtschaftswachstum enorm wichtig, dass das Begehren nach neuen Konsumgütern stetig intensiviert wird. Denn sobald der Mensch ein Gut erworben hat, lenkt er seine Bedürfnisse auf neue Produkte, die er noch nicht besitzt. Dies unterliegt der Fiktionsfähigkeit und der Fiktionsbedürftigkeit der Menschen (vgl. Beckert 2018: 331).

An dieser Stelle ist die Gesellschaft der Singularitäten von Bedeutung, denn heutzutage wird zunehmend das Besondere und weniger das Allgemeine von den Konsumenten erwartet. Das bedeutet, sowohl Menschen als auch Unternehmen sehnen sich nach Einzigartigkeit, das sogenannte Singuläre, worauf sie ihre Interessen und Erwartungen ausrichten (vgl. Reckwitz 2017: 7). Demnach fordern die Konsumenten von Gütern und Dienstleistungen immer häufiger etwas Unverwechselbares. Alles muss auf das Individuum persönlich zugeschnitten sein, um sich als das Besondere von dem Allgemeinen abzuheben (vgl. ebd.). Dieses Leitmilieu der Spätmoderne wirkt sich auf die gesamte Lebensgestaltung der Menschen aus. Dabei rufen die allgemeinen Praktiken in der Gesellschaft das Besondere hervor und werden daher als „reale Paradoxie“ (vgl. ebd.) bezeichnet. Demzufolge lässt sich feststellen, dass die Gesellschaft der Singularitäten „eine Kulturalisierung des Sozialen ist“ (vgl. a.a.O.: 17). Sie beschreibt das Zusammenspiel von Bewertung und Entwertung, Einzigartigkeit und Gewöhnlichkeit sowie eine Werteaufladung von Dingen, die weit über ihre Funktionalität hinausgehen. Die Existenz von Marken sollte daher nicht mehr länger auf ihren rein funktionalen Nutzen gründen, sondern auch auf deren emotionalen Wert. Dadurch kann erst ein emotionaler Nutzen geschaffen werden, der von Konsumenten als einzigartig und unverwechselbar anerkannt wird. Somit erhoffen sie sich, dass die Einzigartigkeit der Güter sowie Dienstleistungen einen maßgeblichen Einfluss auf ihr Charakterwesen haben und ihre Existenz zu etwas Besonderem machen. Dies beschreibt das ständige Streben nach Individualität als allgemeine Praxis in der Gesellschaft.

 

Ein rationaler Blick auf die Marke

Um eine rationale Sicht auf die Marke beschreiben zu können, kann das Modell der identitätsbasierten Markenführung herangezogen werden. Es handelt sich dabei um einen Austauschprozess von Informationen und Erwartungen. Dabei wird von der Marke zunächst ein Markennutzenversprechen formuliert, welches den externen Zielgruppen den kaufverhaltensrelevanten Nutzen näherbringen soll. Dieses Markennutzenversprechen basiert auf einer Anzahl von Aussagen, welche die Markenidentität zusammenfassen sollen. Es dient dazu, sich von den Wettbewerbern deutlich abzugrenzen und die Markenbedürfnisse zielgruppengerecht zu adressieren. Dabei geht das Nutzenversprechen aus den Leistungen der Marke hervor, welche durch die Persönlichkeit, Werte und Kompetenzen der Marke gebildet werden. Diese wiederum werden durch die Markenherkunft und -vision definiert, welche die essenziellen Merkmale der Markenidentität darstellen. Auf diesem Weg wird das Selbstbild der internen Zielgruppen gekennzeichnet. Der Markenidentität wird das Markenimage gegenübergestellt, welches das Fremdbild der externen Zielgruppen beschreibt und maßgeblich für die Markenbekanntheit ist (vgl. Burmann et al. 2003: 6). Diese sehen in der Marke einen Markennutzen, der sich durch die Eigenschaften definiert, die die Konsumenten der Marke zuschreiben. Diese Attribute beinhalten die Leistungen und Vision, Persönlichkeit und Werte sowie die Kompetenzen und Herkunft der Marke. Aus dem erhofften Markennutzen gehen die Markenbedürfnisse und das Markenerlebnis der externen Zielgruppe hervor. Ein äußerst wichtiger Faktor für das Markenerlebnis ist das Markenverhalten wie etwa die Produkt- und Serviceleistungen einer Marke. Dies umfasst jeden Kontakt zwischen den Mitarbeitern der Marke mit ihren Nachfragern, wie beispielsweise durch Werbung oder den Kundenservice des Unternehmens. Dabei spricht man von den sogenannten Brand Touch Points, die jede Interaktion zwischen Konsumenten und Marke kennzeichnen und die Customer Journey definieren. Diese Erlebniserfahrungen spielen eine wichtige Rolle bei der Bildung des Markenimages. Aus diesem Grund ist es von großer Bedeutung, dass das Markenverhalten mit dem kommunizierten Markenversprechen stimmig ist, sodass die Erwartungen und Bedürfnisse der externen Zielgruppen erfüllt werden (vgl. Burmann et al. 2015: 30 f.). Wenn dieses Versprechen gebrochen wird wie beispielsweise durch nicht konformes Markenverhalten, hat dies unweigerlich zur Folge, dass die Konsumenten zu einer Konkurrenzmarke wechseln oder ihr Verhalten sowie Sichtweise gegenüber der Marke verändern. Die externen Zielgruppen erhoffen sich eine Befriedigung ihrer Bedürfnisse durch die Nutzung der Produkt- und Serviceleistungen einer Marke. Wenn diese allerdings nicht zur Deckung der Bedürfnisse dienen können, sucht der Konsument sich ein anderes Unternehmen, welches seine Wünsche und Erwartungen erfüllen kann.

 

Haltung annehmen

Haltungen sind Aristoteles zufolge Tugenden, welche einen wichtigen Beitrag zur Urteilskraft des Menschen leisten und deren Begriff eng mit dem der Beurteilung verknüpft ist. Aus diesem Grund stellen die Begriffe der Haltung (hexis) und der Wahl (prohairesis) wichtige Säulen für das richtige Handeln dar. Sie bringen Stabilität und Kontingenz in das Leben der Menschen (vgl. Kurbacher 2006: 3). Darüber hinaus verleiht die Haltung dem Menschen seine Integrität. Dabei können Haltungen einen moralischen Standpunkt als eine Art Ideal beschreiben (vgl. Benderes 2014: 231). Um Entscheidungen treffen zu können, muss der Mensch immer einen Bezug zu sich selbst und seinen vier elementaren Fähigkeiten des Wollens, Fühlens, Wahrnehmens und Denkens herstellen. Erst dadurch kann er ein reflektiertes Urteil fällen. Allerdings werden aufgrund dieser vier Fähigkeiten, Entscheidungen nicht nur auf einer rationalen Basis, sondern auch auf einer emotionalen Grundlage getroffen (vgl. Kurbacher 2006: 4). Neben den oben genannten Fähigkeiten des Menschen, auf denen seine Urteile beruhen, spielen auch Werte und Normen eine wichtige Rolle. Erst diese bringen die Haltung eines Menschen hervor und wirken sich auf jeden seiner Lebensbereiche aus (vgl. Benderes 2014: 237). Darüber hinaus spielt es eine wichtige Rolle, wie der Mensch sich in diversen Situationen innerhalb einer Gesellschaft selbst begreift und wie er sein Wesen zum Ausdruck bringt. Daher kann ein Mensch auch mehrere Haltungen einnehmen, deren Äußerung situationsabhängig variieren kann. Demzufolge werden in der Haltung des Menschen seine Persönlichkeit und Individualität geformt, aus der seine inneren Einstellungen hervorgehen, welche sein praktisches Verhalten bestimmen (vgl. Kurbacher 2006: 6f.).

 

Einstellungen und Verhalten

Die inneren Einstellungen eines Menschen beruhen auf seinen Überzeugungen und bestehen aus einer affektiven, kognitiven und verhaltensbezogenen Komponente. Die kognitive Komponente dieses Modells kennzeichnet die Gedanken und Überzeugungen sowie die Eigenschaften, die eine Person mit einem Bezugsobjekt in Verbindung bringt (Vgl. Maio/Haddock 2014: 200f.). Dahingegen bezieht sich die affektive Komponente auf Gefühle bzw. Emotionen, die mit einem Bezugsobjekt assoziiert werden. Diese haben einen erheblichen Einfluss auf die Einstellungsbildung des Menschen. Dabei basieren seine Gefühle und Emotionen auf den affektiven Reaktionen, welche durch die Konfrontation mit einem Einstellungsobjekt ausgelöst werden (vgl. a.a.O.: 201). Die dritte, verhaltensbezogene Komponente beschreibt schließlich die Verhaltensweisen einer Person bzw. ihr ausgeführtes Verhalten gegenüber einem Einstellungsobjekt. Ihr Verhalten kann sogar die Basis ihrer Einstellung sein (vgl. a.a.O.: 203). Daher können Einstellungen in einigen Fällen auch als Verhaltensprädiktor fungieren, wobei der Beeinflussungsgrad von der Einstellungsstärke abhängig ist. Je stärker die Einstellung gegenüber einem Objekt oder Sachverhalt ist, desto wahrscheinlicher ist eine Vorhersage über das Verhalten des Menschen möglich. Zusätzlich ist der Beeinflussungsgrad an drei weitere Bedingungen geknüpft: Die Korrespondenz zwischen Einstellungs- und Verhaltensmaßen, der Verhaltensbereich sowie die Rolle der Persönlichkeitsvariablen (vgl. a.a.O.: 221 f.). Mit Blick auf die Einstellungs-Verhaltens-Beziehung wird ersichtlich, dass das Umfeld einer Person auf ihre Einstellungen und Verhaltensweisen einwirkt. Ebenso werden die Ausführung einer Handlung und das Erreichen eines Ziels durch eine Verhaltensintention wahrscheinlicher. Des Weiteren beeinflussen das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und die tatsächliche Fähigkeit, eine Handlung auszuführen, das Verhalten von Menschen in erheblicher Weise. Außerdem muss die Rolle der Gewohnheiten bei einer Verhaltensvorhersage berücksichtigt werden, da deren Ausprägungsgrad bestimmt, inwieweit man eine solche Vorhersage treffen kann (vgl. a.a.O.: 224 ff.). Zusätzlich lassen sich anhand von impliziten und expliziten Einstellungen jeweils unterschiedliche Verhaltensarten vorhersagen. Darüber hinaus führen Motivation und verfügbare Ressourcen zu überlegtem Verhalten. Wenn diese Faktoren nur gering vorhanden sind, neigt der Mensch zu spontanem Verhalten und greift dabei auf starke und leicht zugängliche Einstellungen zurück (vgl. a.a.O.: 228).

 

Eine Frage des Vertrauens

„Ohne Treue und Vertrauen kann es keine menschliche Gesellschaft geben“ (Reid 1853: 666).

Daraus geht hervor, dass Vertrauen den Existenzkern einer Gesellschaft bildet. Es dient zur Organisation einer Gesellschaft und der Etablierung von Verhaltensnormen. Zudem kann Vertrauen erst dann entstehen, wenn Wahrhaftigkeit die leitende Norm ist, an der die Akteure sich orientieren können. Aus diesem Grund würde keine Gesellschaft existieren, in der Lügen Anerkennung finden könnten, da die Menschen sich nicht aufeinander verlassen und einander Glauben schenken würden (vgl. Hartmann 2011: 121). Um einander vertrauen zu können, spielt die Glaubwürdigkeit des jeweils anderen eine wichtige Rolle. Das bedeutet, jeder unterzieht sich einer bewussten oder unbewussten Glaubwürdigkeitsprüfung und erlangt im bestandenen Falle die Anerkennung des anderen (vgl. a.a.O.: 123). Aus diesem Grund basiert Vertrauen nicht auf Emotionen, sondern auf der Befähigung des Menschen, auf rationale Weise zu vertrauen. Darüber hinaus wird die Autonomie eines jeden Mitgliedes einer Gesellschaft gefördert, wenn man in einer Kultur der Vertrauenswürdigkeit lebt. Es ermöglicht jedem Menschen, sein Wissen und seine Fähigkeiten stetig auszubauen (vgl. a.a.O.: 134 f.). Des Weiteren kann Vertrauen eine Einstellung sein, welche durch das Zusammenwirken aller Einstellungen ihren Existenzkern findet. Wenn sich diese Art der Einstellung im Menschen manifestiert, kann ihm viel Aufwand erspart bleiben. Er erlangt durch seine stets vertrauensvolle Einstellung Sicherheit und Orientierung in seinem Handeln. Solange er dabei nie den Kontakt zur Realität, seiner äußeren Umwelt verliert, besteht keine Gefahr, dass dieses rationale Vertrauen in eine naive Vertrauensart übergeht (vgl. a.a.O.: 144 ff.).

 

Vertrauen und Technologie

Unter dem Aspekt der Technologie wird schnell deutlich, dass Vertrauen einen wichtigen Grundstein für deren Existenz legt. Erst durch das in sie gesetzte Vertrauen sind Innovationen möglich und es besteht die Möglichkeit jene weiterzuentwickeln. Dabei darf man bei der Automatisierung nie die Menschlichkeit (Wärme) und die Einhaltung des Versprechens (Kompetenz) vernachlässigen, da diese beiden Indikatoren bei der Vertrauensbildung entscheidend sind (vgl. Diekhöner 2017: 7). Auch hier sind fiktionale Geschichten von hoher Bedeutung, da die etablierten Systeme innerhalb der Gesellschaft darauf basieren. Hier kann man einen engen Zusammenhang zu den fiktionalen Erwartungen erkennen, welche die Konsumenten erheblich in ihren Kaufentscheidungen beeinflussen. Gleichermaßen lassen sich diese fiktionalen Geschichten, auf welche die Menschen zu vertrauen sich geeinigt haben, auf die Vertrauensschaffung in etwas Neues beziehen (vgl. a.a.O.: 14). Wenn ein neuer Lösungsansatz von einer Mehrheit der Menschen als hilfreicher und besser angesehen wird, findet diese Methode Vertrauen in der Gesellschaft. Die Menschen sind dazu bereit, bekannte Gewohnheiten aufzugeben und sich auf etwas Neues einzulassen (vgl. a.a.O.: 12).

 

Künstliche Intelligenz und Algorithmen

Mit dem ersten Rechner (Computer), der in den 1950er Jahren auf den Markt kam, wurde die künstliche Intelligenz ins Leben gerufen. Jedoch ist es nicht möglich, den Begriff „Künstliche Intelligenz“ (KI) allgemeingültig zu definieren, da auch der menschliche Intelligenzbegriff bisher nicht eindeutig bestimmt werden konnte (vgl. Burchardt et al. 2018: 2). Allerdings kann man den KI-Begriff einer Arbeitsdefinition unterordnen. Dabei sind Experten sich einig, dass künstliche Intelligenz in ein Teilgebiet der Informatik einzugliedern ist (vgl. Buxmann/Schmidt 2019: 6). Demnach dienen Algorithmen als ein Werkzeug der Informatik, um ein Problem auf automatisierte Weise lösen zu können. Doch dazu benötigen sie bestimmte Informationen (Input), woran der Algorithmus erkennen kann, welches Ergebnis seinen Berechnungen nach (Output) die richtige Lösung ist (vgl. Zweig 2018: 11). In diesem Zusammenhang werden Algorithmen ein hohes Maß an Objektivität zugesprochen, da sie Entscheidungen frei von Vorurteilen treffen können, wodurch Diskriminierungen vermieden werden (vgl. a.a.O.: 12). Nichtsdestotrotz gibt es zu diesem Thema konträre Meinungsbilder. Melinda Lohmann ist Assistenzprofessorin an der Universität St.Gallen und ist nur bedingt von der Objektivität der Algorithmen überzeugt. Dabei spricht sie von einer sogenannten Objektivitätsillusion (vgl. Deutsche Telekom AG 2019). Zwar wird Maschinen im Allgemeinen die Objektivitätsqualität zugeschrieben, jedoch sollte man hier einen kritischeren Blick darauf werfen, da Algorithmen im Endeffekt immer noch von Menschen programmiert werden und somit die Entscheidungsmuster bewusst oder unbewusst vorurteilbehaftet sein können.

Dies ging zusätzlich aus einer Verbraucherstudie der Bertelsmann Stiftung hervor, in der die Befragten nur eingeschränkt von der Objektivität der Algorithmen überzeugt sind. Darüber hinaus legt die Studie dar, dass die Probanden ambivalente Einstellungen gegenüber künstlicher Intelligenz haben. Dabei gründen negative Einstellungen auf einem höheren Alter sowie einem geringeren Wissensstand der Befragten hinsichtlich KI. Des Weiteren ist das Maß an Affinität für die Technologie entscheidend, ob die Teilnehmer positiv oder negativ gegenüber Algorithmen eingestellt sind. Je eher die Befragten eine Chance im technologischen Fortschritt sehen und mehr darüber wissen, desto positiver sind ihre Einstellungen gegenüber Algorithmen. Gleichermaßen schärft dies auch das Bewusstsein für die Risiken und Grenzen der Technologie (vgl. Fischer/Petersen 2018: 11 ff.) In diesem Zusammenhang ist auch die Vertrauensschaffung auf diesem Gebiet von hoher Bedeutung, weshalb die Europäische Kommission einen Strategieentwurf mit ethischen Richtlinien festgelegt hat. Diese Richtlinien wurden auf das Wohlergehen des Menschen ausgerichtet. Gleichzeitig soll darauf geachtet werden, dass die gesellschaftlichen Interessen keinem anderen Lebewesen oder der Umwelt Schaden zufügen. Erst durch ein gesellschaftliches Vertrauen in KI, kann die Entwicklung KI-bezogener Innovationen gefördert werden und generiert einen Nutzenmehrwert für Konsumenten (vgl. European Commission 2019).

 

Parasoziale Beziehungen mit Blick auf intelligente Artefakte

Zusammenhängend mit der Schaffung menschenähnlicher Interaktionen in Form von Chatbots und Roboterassistenten (z.B. Alexa von Amazon) lässt sich ein Bezug zur Entstehung von parasozialen Beziehungen herstellen. Bisher gibt es keine konkreten und aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu dem Thema. Allerdings herrscht auch in der Soziologie ein erhöhtes Interesse an Beziehungen zwischen Menschen und sogenannten „non-humans“ (vgl. Böhle/Pfadenhauer 2011: 4). Dabei bringt vor allem die Einbettung von KI-Anwendungen in den Alltag der Menschen neue Herausforderungen mit sich. In diesem Zusammenhang tritt die Entwicklung von der Mensch-Maschine-Interaktion zur Mensch-Maschinen-Beziehung in den Vordergrund. Man geht in der Soziologie davon aus, dass sich die Gesellschaft in ihrer Struktur durch den Einsatz von intelligenten Artefakten verändern wird (vgl. a.a.O.: 5). „Die Beurteilung des Einsatzes technischer Artefakte „als handelnde Akteure“ wäre dann etwa an der Einflussnahme auf soziales Handeln durch soziale technische Mittel zu orientieren“ (a.a.O.: 6). An dieser Stelle warnt der Philosoph Mathias Gutmann davor, KI-Anwendungen bzw. intelligente Artefakte einzuführen, bei denen die Technik ihre technische Zweckmäßigkeit überschreiten (vgl. a.a.O.: 7).

 

Methodik

Die empirische Untersuchung in diesem Artikel stützt sich auf eine qualitative Forschungsmethode, welche die theoretische Grundlage ergänzen soll. Das Messinstrument stellt in diesem Verfahren das Leitfadeninterview dar. Dazu wurden acht Erwachsene im Alter von 23-70 Jahren befragt. In dieser Altersspanne befinden sich laut eigenen Bezeichnungen, Skeptiker und Befürworter von KI sowie Personen mit einem stärker und schwächer ausgeprägten Wissen über die lernfähige Technologie. Die Forschungsdaten wurden durch Einzelinterviews erhoben, um subjektive Erfahrungen und Meinungsbilder erfassen zu können. Diese werden bei der Datenauswertung unter einem Phänomen kollektiv zusammengefasst. Der Leitfaden beinhaltet insgesamt acht Szenarien bezüglich verschiedener Themenbereiche. Die Fragen enthalten sowohl Alltagssituationen als auch abstraktere Sachverhalte. Wichtig zu beachten ist, dass die Befragten keine Einführung in das Forschungsthema erhielten, um Priming zu vermeiden und die Antworten der Befragten im Voraus nicht zu manipulieren. Mithilfe der verschiedenen Themenblöcke sollen diverse Einstellungen der jeweils Befragten zu unterschiedlichen KI-Bereichen untersucht werden. Damit wird ein Ergebnis der verallgemeinerten Einstellungen gegenüber künstlicher Intelligenz vermieden.

 

Fünf Phänomene

Die Auswertung der qualitativen Forschung hat fünf Phänomene identifizieren können. Das erste Konzept bildet die „KI in der Markenkommunikation“, wobei der Einsatz von Chatbots sowie individuelle Produktempfehlungen und das damit einhergehende Preisgeben von Daten entscheidend sind. Als weiteres Phänomen wurde „KI im Recruiting“ bestimmt. Hier stehen allem voran die automatisierten Auswahlverfahren von Bewerbern im Vordergrund. Diese umfassen unter anderem Online-Persönlichkeitstests, Vorstellungsgespräche mit Robotern und algorithmische Entscheidungsmuster. Darüber hinaus wurde das Konzept „Mangelndes Vertrauen in KI“ herausgefiltert. Dabei handelt es sich um die Fehleranfälligkeit von Algorithmen, Sicherheitsbedenken der Konsumenten sowie nicht autorisierte, menschliche Eingriffe in die Technologie. Des Weiteren wurde das Phänomen „Rationale und emotionale Markenbeziehung“ bestimmt, welches zeigt, dass Emotionalität und Rationalität sich nicht gegeneinander ausschließen. Vielmehr ergänzen sich diese beiden Beziehungskomponenten und haben Einfluss auf die Markenloyalität der Konsumenten. Als letztes Konzept konnte „KI mit Persönlichkeit“ identifiziert werden. An dieser Stelle kommen Roboterassistenten wie Alexa und Co. zum Vorschein sowie der Wunsch nach einer humanoiden KI mit Persönlichkeitsmerkmalen und Emotionen.

 

Phänomene und Einstellungen

Das Konzept „KI in der Markenkommunikation“ hat gezeigt, dass die Befragten insbesondere in den Bereichen Kundenservice und Marketing nicht negativ in ihren Einstellungen gegenüber einer Marke beeinflusst werden. Vielmehr sehen sie für sich selbst und für das Unternehmen Vorteile im KI-Einsatz. Die Probanden schätzen dabei besonders den persönlichen Nutzen von individuellen Produktempfehlungen im Internet und haben bereits Produkte auf diesem Weg erworben. Darüber hinaus haben die Teilnehmer keine Hemmungen, persönliche Daten von sich preiszugeben, solange sie den daraus hervorgehenden Nutzen überordnen können. In diesem Kontext lassen sich vor allem kognitive Einstellungsmerkmale erkennen. Die Kunden sehen einen praktischen Nutzen, den die Technologie in der Markenkommunikation bietet. Daher sind sie aufgrund der Kognitionen bezüglich dieses Sachverhalts dazu bereit, die Vorteile der Technologie für sich zu nutzen.

Dahingegen hat das Konzept „KI im Recruiting“ ergeben, dass die Menschen erhebliche Antipathien zu einer Marke entwickeln, wenn Algorithmen über ihre Eignung für eine Stelle im Unternehmen entscheiden. Zwar würden sich einige dennoch bewerben, jedoch befürchten sie bei KI-gesteuerten Auswahlverfahren, etwas falsch zu machen. Dadurch schätzen sie ihre Chancen deutlich geringer ein, eine Zusage zu erhalten. Zusätzlich fühlen sie sich nicht als Person wertgeschätzt und sind der Ansicht, auf ihre Lebensläufe und Zeugnisse reduziert zu werden. Den Befragten fehlt der persönliche Kontakt zur Marke. Dadurch können sie nicht für sich selbst einschätzen, ob sie für das jeweilige Unternehmen arbeiten möchten. Aufgrund der fehlenden Zwischenmenschlichkeit haben die Teilnehmer das Gefühl, sich der Marke nicht vollständig präsentieren zu können. An dieser Stelle sind vor allem die affektiven Einstellungsmerkmale von hoher Relevanz. Insbesondere bei dem Vergleich zwischen dem Phänomen „KI in der Markenkommunikation“ und dem Konzept „KI im Recruiting“ wird deutlich, dass die kognitiven und affektiven Einstellungen auf die konativen Einstellungsmerkmale einwirken. Die Befragten wollen konträre Verhaltensmuster zu ihren Einstellungen gegenüber den Sachverhalten vermeiden und suchen daher nach einer Übereinstimmung zwischen Verhalten und Einstellungen.

In Bezug auf das Phänomen „Rationale und emotionale Markenbeziehung“ fiel auf, dass die expliziten Aussagen der Befragten auf eine rationale Markenbeziehung deuten. Dennoch haben implizite Hinweise darauf schließen lassen, dass die Beziehung zu einer Marke nicht nur auf rationalen Interessen beruht. Den Konsumenten ist wichtig, dass eine Marke Haltung besitzt, welche mit der Haltung des Individuums hinreichend übereinstimmen sollte. Dabei sind vor allem die gelebten Werte und Überzeugungen einer Marke für die Konsumenten von besonderer Bedeutung. Dadurch können Rückschlusse auf eine emotionale Markenbindung gezogen werden. Gleichzeitig stellt das Nutzenversprechen einen erheblichen Faktor dar, da die Konsumenten auf dessen Wahrhaftigkeit vertrauen und dadurch Orientierung erhalten, um Enttäuschungen zu vermeiden. In diesem Kontext ergänzen sich die rationale und emotionale Markenbeziehung miteinander, was eine positive Auswirkung auf die Markenloyalität hat. Bei diesem Konzept lassen sich sowohl kognitive als auch affektive Einstellungsmerkmale feststellen. Die Übereinstimmung zwischen persönlichen Überzeugungen sowie Werten mit denen einer Marke, wirkt sich auf die affektiven Einstellungen gegenüber der Marke aus. Gleichzeitig bietet das Vertrauen auf das Nutzenversprechen einer Marke die Basis für kognitive Einstellungsmerkmale. Die Konsumenten beziehen sich auf ihre objektbezogenen Kognitionen und entscheiden sich für oder gegen den Erwerb eines Produktes. Demnach sind auch an dieser Stelle die konativen Einstellungen von den kognitiven und affektiven Einstellungskomponenten abhängig.

Mit Blick auf das Konzept „Mangelndes Vertrauen in KI“ wird aus den Ergebnissen der Datenauswertung ersichtlich, dass nicht nur das Vertrauen in die Technologie fehlt, sondern auch in die Menschen, die sie programmieren. Neben der Angst vor der Fehleranfälligkeit und der mangelhaften Kompetenz der Technologie, stehen auch Hackerangriffe und Datenmissbrauch im Fokus. Die Befragten sind sich darüber bewusst, dass Algorithmen nur so schlau wie ihre Programmierer sind, weshalb sie die Sicherheit dieser Systeme anzweifeln. Demnach sind die Probanden der Ansicht, dass sie anfällig für unbefugte menschliche Eingriffe sind, welche die Fähigkeiten von Algorithmen für persönliche Zwecke missbrauchen. Diese Erkenntnis gibt Aufschluss darüber, dass nicht Misstrauen in KI ein Problem für die Weiterentwicklung der Technologie darstellt, sondern das fehlende Vertrauen in der Gesellschaft eine hemmende Wirkung darauf hat. Dieses Konzept gibt Hinweise auf überwiegend kognitive Einstellungsmerkmale. Die Menschen haben gelernt, dass Technologie versagen kann und ihre persönlichen Daten für Markenzwecke missbraucht wurden.

Des Weiteren hat das Phänomen „KI mit Persönlichkeit“ ergeben, dass vermenschlichte Roboter sympathischer auf Menschen wirken und sich positiv auf die Einstellungen gegenüber einer Marke auswirken. Dabei steht die „Personifizierung der Technik“ im Vordergrund (vgl. Böhle/Pfadenhauer 2011). Persönliche Roboterassistenten würden „echte“ Emotionen und soziale Verhaltensmuster zum Ausdruck bringen können. An dieser Stelle ist die Entwicklung von parasozialen Beziehungen interessant. Insbesondere die jüngeren Befragten würden eine vermenschlichte Darstellung von Robotern befürworten. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass vor allem jüngere Menschen sehr aktiv in der digitalen Welt sind und sich damit zunehmend aus der „realen“ Welt zurückziehen (vgl. Primack et al. 2017).

Das bedeutet, dem Menschen als soziales Wesen in der Gemeinschaft (vgl. Rommerskirchen 2015: 52) fehlen echte menschliche Interaktionen. Diese Sehnsucht könnte durch einen vermenschlichten Roboter hinreichend gestillt werden. Der Mensch könnte sich weiterhin von anderen Menschen aus der realen Welt physisch entziehen und die fehlende menschliche Interaktion durch einen menschenähnlichen Roboter bis zu einem gewissen Ausmaß ersetzen. Dadurch könnte das Bedürfnis des Individuums nach sozialer Nähe zu Mitmenschen abgedeckt werden. Jedoch hätte dies einen erheblichen Strukturwandel in der Gesellschaft zur Folge und würde die Art von menschlichen Interaktionen tiefgreifend verändern. In diesem Zusammenhang stehen die affektiven Einstellungsmerkmale im Vordergrund, die bei der Personifizierung der Technik aktiviert werden. Zusätzlich muss betont werden, dass die Interpretation der Ergebnisse hinsichtlich „KI mit Persönlichkeit“ weitestgehend auf einer subjektiven Interpretationsarbeit beruhen und daher auf keiner fundierten, wissenschaftlichen Grundlage basieren.

 

Fazit

Ziel des Fachartikels war es mithilfe einer theoretischen Grundlage sowie einer qualitativen Untersuchung den bisherigen Forschungsstand zu erweitern. Dazu soll die folgende Forschungsfrage beantwortet werden:

Inwiefern werden die kognitiven, affektiven und konativen Einstellungen zu einer Marke beeinflusst, wenn die Konsumenten mit KI-Anwendungen in Interaktion treten?

Der bisherige Forschungsstand zeigt, dass vergangene Untersuchungen sich lediglich auf die allgemeinen Einstellungen gegenüber Algorithmen beziehen. Viele Menschen sind sich nicht darüber bewusst, wie oft sie im Alltag mit KI in Berührung kommen. Große Wissenslücken führen bei den Konsumenten zu Unsicherheiten und Misstrauen gegenüber KI. Dies gründet auf einem Mangel an Transparenz sowie unzureichenden ethischen Richtlinien für Marken im Umgang mit KI. Daher würden ein ethischer Verhaltenskodex sowie die Schaffung von mehr Transparenz das Vertrauen in KI und die Marken fördern. Des Weiteren fürchten die Konsumenten den Verlust der zwischenmenschlichen Kommunikation, wenn sie mit einer Marke interagieren. Mit Blick auf Chatbots in der Markenkommunikation wünschen sich die Probanden inerseits keine Vermenschlichung der Roboterassistenten, andererseits besteht die Nachfrage nach einer humanoiden KI mit Persönlichkeitsmerkmalen. Zusätzlich zeigt der bisherige Forschungsstand, dass die Konsumenten weniger an der KI selbst zweifeln, sondern vielmehr die Absichten der Programmierer infrage stellen. Sie befürchten, dass Marken mit dem Einsatz von KI lediglich ihre eigenen Interessen verfolgen und der Konsument dabei außen vor bleibt.

Neben mehreren Zusammenhängen zwischen der Theorie und Empirie dieses Fachartikels, sind auch Unterschiede zu erkennen. Es wurde dargelegt, dass die verschiedenen Altersgruppen, Affinität bzw. Skepsis gegenüber KI sowie die unterschiedlichen Wissensausprägungen zu diversen Meinungsbildern führen. Jedoch zeigen die Ergebnisse der qualitativen Untersuchung ein weitestgehend zusammenhängendes Meinungsbild der Befragten. Dies lässt sich möglicherweise darauf zurückführen, dass in den Interviews auf den Begriff „Künstliche Intelligenz“ verzichtet wurde und die Teilnehmer sich in Szenarien versetzen mussten, in denen sie mit KI in Berührung kommen. Insbesondere abstrakte oder ungewohnte Situationen sorgen bei allen Befragten für Vorsicht oder Unbehagen. Darüber hinaus zeigt die Ergebnisinterpretation auf, dass der Einsatz von KI die Entwicklung rationaler Markenbeziehungen bestärken könnte. Diese Annahme gründet auf der zugesprochenen Objektivität von Algorithmen. Gleichzeitig gehen mit der abnehmenden menschlichen Kommunikation zur Marke, Empathie und Sympathie verloren. Gleichermaßen ist die emotionale Beziehung zur Marke durch den KI-Einsatz betroffen. Gerade im Hinblick auf das Phänomen „KI im Recruiting“ könnten sich nach erworbenen Erkenntnissen einst positive Einstellungen zu negativen Einstellungen entwickeln. Die Menschen sehnen sich in diesem Bereich nach Zwischenmenschlichkeit. Wenn diese nicht gegeben ist, fühlen sie sich als Person nicht respektiert und sind im Umgang mit der Marke verunsichert.

Mit Blick auf das Vertrauen gegenüber künstlicher Intelligenz lässt sich ein Zusammenhang zwischen den Erkenntnissen aus Martin Hartmanns „Praxis des Vertrauens“ und den Ergebnissen der Empirie erkennen. Daraus geht hervor, dass Vertrauen und Misstrauen auf reinen Kognitionen beruht. Das mangelnde Vertrauen der Befragten ist auf vergangene Erfahrungen mit künstlicher Intelligenz zurückzuführen. Sie haben gelernt, dass die Technologie nur eingeschränkt zuverlässig ist und künstlicher Intelligenz kein grenzenloses Vertrauen entgegenbringen. Das bedeutet, Vertrauen ist keine Emotion oder das Resultat aus persönlichen Überzeugungen, sondern beruht auf einem kognitiven Lernprozess. In diesem Kontext wird auch die Aussage Diekhöners bestätigt. Wenn der Mensch kein Vertrauen in KI-bezogene Innovationen hat und bestehende Verfahren als hilfreicher erachtet, sieht das Individuum keinen Sinn darin, neue Methoden auszuprobieren.

Hinsichtlich des identifizierten Phänomens „KI mit Persönlichkeit“ hätte man in den Interviews tiefergreifend darauf eingehen können. Mehr Szenarien zu diesem Themengebiet hätten hierzu ein umfangreicheres und zuverlässigeres Ergebnis geliefert. Darüber hinaus können die hier gewonnenen Erkenntnisse aus der qualitativen Untersuchung nicht allgemeingültig betrachtet werden, da nur eine kleine Anzahl von Teilnehmern befragt wurde.

Zusammenfassend geht aus den Erkenntnissen hervor, dass die Interaktion mit KI die kognitiven, affektiven und konativen Einstellungen der Konsumenten gegenüber Marken beeinflussen kann. Allerdings trifft dies nur auf bestimmte Berührungspunkte mit einem Unternehmen zu und kann nicht bereichsübergreifend verallgemeinert werden. Während in der Markenkommunikation die Einstellungen zur Marke nahezu gar nicht beeinflusst werden, hat der KI-Einsatz im Recruiting maßgebliche Auswirkungen auf die Markeneinstellungen der Konsumenten. Demnach können die Einstellungen der Befragten nicht als gefestigt angesehen werden. Ebenso hat die Untersuchung ergeben, dass das Alter kein maßgeblicher Faktor für eine skeptischeres Verhalten gegenüber KI darstellt. Außerdem haben das Wissen oder eine Affinität für KI keine positiven Einstellungen der Befragten gegenüber der Marke begünstigt. Zudem wird deutlich, dass die affektiven Einstellungsmerkmale leichter zu beeinflussen sind, als die kognitive Komponente der Einstellungen. Dennoch haben beide Komponenten einen erheblichen Einfluss auf die konativen Einstellungen und prägen somit die Verhaltensabsichten der Menschen. Auf diesem Weg erlangt das Individuum eine Übereinstimmung zwischen seinen Verhaltensweisen und seinen Einstellungen.

Gleichzeitig haben die Erkenntnisse eine Anregung für weitere Forschungsarbeiten in diesem Themengebiet geschaffen. Mit Blick auf die Entwicklung parasozialer Beziehungen anhand der Personifizierung von künstlicher Intelligenz stellt einen interessanten Forschungsgegenstand im Bereich der Soziologie dar. Insbesondere die Interaktion zwischen Menschen und vermenschlichten Robotern könnte in Zukunft an Bedeutung gewinnen. An dieser Stelle wäre es interessant zu untersuchen, inwiefern ein Individuum Gefühle gegenüber einer intelligenten Maschine besitzt und äußern kann. Darüber hinaus könnte man erneut einen Bezug zur Rationalität sowie Emotionalität herstellen und erforschen in welchem Ausmaß die Komponenten jeweils durch die menschenähnliche Kommunikation beeinflusst werden. Kann ein Mensch tatsächlich Emotionen wie Neid, Liebe oder Antipathie für einen vermenschlichten Roboter empfinden, dessen Aussagen und Entscheidungen auf einem vorprogrammierten Algorithmus beruhen?

„Die KI ist nicht intelligent im engeren Sinne eines sinnverarbeitenden Systems. Sie ist allenfalls intelligent in dem Sinne, dass sie eine so hohe Komplexität von Rekombinationsmöglichkeiten von Daten verarbeiten kann, dass sie als Black Box immer unsichtbarer wird und deshalb eine zurechnungsfähige handlungsfähige Maschine wird. Am Ende arbeitet sie aber nur das ab, wofür sie konzipiert wurde, selbst wenn sie zu Ergebnissen kommt, die nicht unmittelbar mitkonzipiert wurden“ (Nassehi 2019: 260).  

 

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