Lisa Hartmann: Kommunikation & Gemeinschaft im öffentlichen Raum

Städte werden weltweit immer größer und mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt bereits in ihnen. Das verändert auch die Gesellschaft und ihr Zusammenleben in den Städten. Viele stadtsoziologische Forschungsansätze beschäftigen sich mit diesem Phänomen. Der vorliegende Fachartikel setzt den Schwerpunkt auf die Bedeutung der Kommunikation im öffentlichen Raum für die Gesellschaft und wie stadtsoziologische Ansätze in der Realität im öffentlichen Raum der Stadt Köln umgesetzt werden.

Dabei werden verschiedene stadtsoziologische Theorie von Simmel, Jacobs und Sennett verknüpft mit den konkurrierenden Gesellschaftstheorien des Individualismus und Kommunitarismus. Sie geben einen Rahmen vor, indem sich die Ergebnisse der anschließenden Empirie bewegen. Dabei wurde in vier Experteninterviews vor allem die stadtplanerische Komponente und ihr Einfluss sowie ihre Wahrnehmung über die Gemeinschaftsbildung im öffentlichen Raum in Köln untersucht.

Das Ergebnis dieses Abgleichs bestätigt, dass die theoretische Basis des Themas eine hohe Relevanz besitzt und einen normativen Rahmen dafür gibt, wie das gesellschaftliche Leben im öffentlichen Raum zu gestalten ist. Zudem schreibt sie dem öffentlichen Raum eine Relevanz für die Gemeinschaftsbildung zu, die in einer modernen Großstadt nicht zu vernachlässigen ist. Allerdings zeigt die qualitative Auswertung der Interviews Abweichungen von der erarbeiteten Theorie. Das theoretische Wissen wird in der Praxis der Stadtplaner nicht umgesetzt. 

Städte wachsen und sind Spiegel unserer Gesellschaft

Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt laut einem Bericht der Vereinten Nationen in Städten. Die Attraktivität der Städte wird sich laut den Vereinten Nationen auch noch steigern: Sie erwarten, dass im Jahr 2050 75% der Weltbevölkerung in Städten leben werden (vgl. UN-HABITAT 2008: 12). Städte werden charakterisiert durch einen abgegrenzten Raum, der eine hohe Bebauungsdichte aufweist sowie viele Bewohner, die eine heterogene Bevölkerung bilden (vgl. Lampen/Schmidt 2014: o.S.). „Städte [bilden] Knotenpunkte in einer vernetzten räumlichen, zeitlichen, technologischen, politischen und wirtschaftlichen Landschaft“ (Löw et al. 2008: 12). Städte sind keine statischen Objekte, sondern sind im ständigen Wandel.

Doch was sind die Folgen dieses weltweiten Verstädterungstrends? Welche Konsequenzen hat er für das Zusammenleben der Menschen? Diese Größendimensionen und ihre Dynamiken bilden ein sich immer neudefinierendes Forschungsfeld. Die Ansammlung an Menschen und Kulturen auf kleinstem Stadtraum berechtigt vor allem die wissenschaftliche Forschung nach ihrer soziologischen Bedeutung. „Städte […] sind strategische Orte der Gesellschaft“ (Löw et al. 2008: S. 12), eine Aussage über die Gesellschaft und ihre Entwicklung lässt sich ohne einen Blick auf das städtische Zusammenleben kaum mehr durchsetzen (vgl. Eckhardt 2017: 1). Städte sind zum Spiegel der Gesellschaft geworden, sie „verkörpern menschliche Kultur und Gesellschaft“ (Rüthers 2015: 22).

Sieht man sich das Verhältnis der Stadt und seiner Bewohner an, ist eine weitere berechtigte Frage, wer den städtischen Lebensraum plant, der das Zusammenleben der Gesellschaft möglich macht und ob er einen Einfluss auf das gemeinschaftliche Leben hat. Städtisches Leben unterscheidet sich auf der ganzen Welt, deswegen müssen auch verschiedene Perspektiven und Einflüsse betrachtet werden. Die jeweiligen Historien, Entwicklungen, Stadtplanungstrends unterscheiden sich in ihrer Umsetzung und ihren gesellschaftlichen Zwecken. Stadtplanerische Konzepte sind eng mit dem soziologischen Denken verknüpft. In welcher Beziehung stehen sie also zueinander? In der Stadt wird dieser Kontext im öffentlichen Raum sichtbar und erforschbar – auf den Straßen, Plätzen und Haltestellen. Der öffentliche Raum ist das alltägliche Interaktionsfeld der Gesellschaft. Eine Annäherung an dieses abstrakte Beziehungsverhältnis mit dem Fokus auf den öffentlichen Raum und seine gesellschaftliche Bedeutung liefert dieser Fachartikel, indem er den aktuellen Kontext an einem Betrachtungsausschnitt der Stadt Köln erörtert.

 

Historischer Abriss der Stadtsoziologie sowie der Stadtplanung

Der Oberbegriff der Wissenschaft, zu der auch die Stadtsoziologie gehört, die sich mit dem Phänomen Stadt beschäftigt und all ihre Facetten und Forschungsrichtungen umfasst, nennt sich Urbanistik oder auch Stadtforschung. Stadtsoziologie untersucht das Wachstum der Städte, nach welchen Prämissen eine Stadt sich entwickelt, fokussiert sich aber auch auf die Konsequenzen für die Stadtgesellschaft und auf die Frage, inwiefern Urbanisierung das soziale Leben verändert (vgl. Häußermann 2007, S. 622). Den Grundstein der Stadtsoziologie bildet das Essay Die Großstädte und das Geistesleben von Georg Simmel aus dem Jahr 1903. Er beschreibt das Subjekt Stadt und thematisiert die Hochzeit der Verstädterung am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts. Im weiteren Verlauf wird in der Stadtsoziologie die urbane Lebensweise generalisiert. 

Ab den 60er Jahren wird die Stadtsoziologie als kritisches Gegenstück oder auch legitimierendes Hilfsmittel in der Stadtplanung eingesetzt. Stadtplanung kümmert sich hauptsächlich um „die öffentliche [so] wie die private Bautätigkeit und die Infrastrukturentwicklung […] unter Abwägung aller öffentlichen und privaten Interessen“ (Schubert 2015: 121). Sie ist für die Planung und Nutzung des öffentlichen Raumes zuständig und sollte diese nach bestmöglichsten Gewissen den Interessen gegenüber durchführen. Stadtplanung bietet für Stadtsoziologen eine kontroverse Angriffsfläche, weil ihre Idealstadtplanung oft mit einer implizierten Gesellschaftsvorstellung zusammenhängt (vgl. Schubert 2015: 126). Ein weiteres hinzukommendes Kriterium war der damals einsetzende Paradigmenwechsel, der die traditionelle Theorie des „absoluten Raumes“ in Frage stellt und ein „soziales“ Raumverständnis verlangt (vgl. Jürgens 2015: 67). Die Aufgabe der Stadtforschung sollte zunehmend soziale Fragen beantworten, anstatt den Raum Stadt nur als abstrahiertes Feld wahrzunehmen. Die Stadtforscherin Martina Löw bemängelt auch das „Erkenntnisinteresse auf die Stadt als spezifischen Gegenstand“ (Löw 2008: 16). Konzeptionelle und offen-explorative Ansätze „zum Verstehen der Stadt als solcher“ (Eckhardt 2017: 3f.) sind gefragt, um mit den wachsenden Herausforderungen der Gesellschaft umzugehen.

Legt man den Fokus auf Köln, gibt es wenige Studien, die in dieser geforderten Art und Weise forschen und sich nicht nur mit einem Einzelaspekt beschäftigen. Die Stadt Köln ist ein interessantes Forschungsobjekt, da die ehemalige große Mittelalterstadt sich nach dem zweiten Weltkrieg noch einmal neu gestalten musste und in den 60er Jahren durch funktionale Stadtplanung beeinflusst wurde. Hier treffen zwei Stadtbaustile zusammen, die mit ihren Aspekten auch zwei verschiedene Gesellschaftsmodelle unterstützen. Der Charakter und wie die Gemeinschaft innerhalb der Stadt eigentlich organisiert ist, ist dadurch beeinträchtigt und nicht mehr klar zu erkennen. Dreh- und Angelpunkt zwischen den Fronten der zwei Gesellschaftsmodelle sowie den verschiedenen städteplanerischen Ansätzen ist der öffentliche Raum. In ihm und seiner Gestaltung konstituiert sich das aktuelle Bild der Stadt und der Gesellschaft. Die Kölner Stadtpolitik sowie ihre Stadtbewohner beschäftigen sich schon seit längerem mit dem Diskursthema des öffentlichen Raumes. Dabei geht es speziell um die Frage seiner Bedeutung, damit zusammenhängender Nutzung und ob mehr Raum benötigt wird (vgl. Müllenberg 2017: o.S.). Um festzustellen, welche Urbanisierungseffekte in Köln gewollt und auch im öffentlichen Raum gelebt werden, muss man mehrere Faktoren betrachten: die der Stadtsoziologie, der spezifischen stadtplanerischen Historie, sowie die aktuelle Einstellung ihrer Bürger, die engagiert sind ihre Stadt mitzugestalten.

Innerhalb der Stadtsoziologie gibt es eine nicht endende Diskussion über die Urbanisierung und ihre Folgen für die Gemeinschaft und auch verschiedene Antworten dazu. Zum einen wird die Meinung vertreten, dass es keine Möglichkeiten in dem dicht bevölkerten Großstadtraum für eine Gemeinschaftsbildung gibt. Die zweite Theorie schwächt die erste These und behauptet, dass Gemeinschaften innerhalb der kleinen Stadtviertel in Großstädten existieren. Die dritte Meinung vertritt eine neu benötigte Definition von gemeinschaftlichen Leben, weil die Urbanisierung Arten von gemeinschaftlichem Leben hervorruft, die nicht räumlich auf die Nachbarschaft begrenzt sein müssen (vgl. Häußermann 2007: 599).

Wie hängt die Stadt Köln mit ihrer Gesellschaft zusammen?

Ausgehend von der Annahme, dass der öffentliche Raum einen exemplarischen Spiegel der gelebten Gemeinschaft verkörpert, kann man innerhalb einer stadtsoziologischen Forschungsfrage auch den öffentlichen Raum zur Diskussion stellen. Denn die Frage, ob der reale öffentliche Raum noch gebraucht wird und welche Bedeutung er für die Gemeinschaft hat, wurde in der bisherigen Forschung noch nicht ausreichend berücksichtigt. Dieser Fachartikel konzentriert sich auf die folgende Forschungsfrage: Welche Rolle spielt die Kommunikation im öffentlichen Raum für die Gemeinschaftsbildung in der Stadt?

Die offen-explorative Diskussion dieser Arbeit soll mithilfe qualitativer Forschung abhandeln, was eigentlich die Bedeutung des öffentlichen Raumes ist. Wie wichtig ist in Köln der öffentliche Raum, um Gemeinschaft möglich zu machen?

Dieser Artikel soll der Diskussion um den öffentlichen Raum beitragen und kann der Kölner Stadtplanung helfen, die Bedeutung seines öffentlichen Raumes besser zu verstehen und Kommunikation in diesem besser zu fördern. Zusätzlich wird eine Ergänzung und Verknüpfung für das soziologische Verständnis geschaffen: wie der städteplanerische Kontext und die öffentliche Kommunikation auf das Leben ihrer Gemeinschaft Einfluss nimmt am Beispiel des Raumes Köln.

Die Stadtsoziologie und die Gesellschaftsformen der Moderne

Um den öffentlichen Raum mit seiner Bedeutung für die Gemeinschaft und ihre Kommunikation zu verstehen, ist ein kurzer chronologischer Überblick über die Anfänge, Entwicklungen, wichtigsten Veränderungen und Theorien der Stadtsoziologie nötig. Dabei sind drei Umbrüche des generellen Stadtverständnisses wichtig: Zuerst die Veränderung der klassischen europäischen Stadt zur Großstadt um 1900. Die zweite Wende erfolgt in den 60er Jahren mit dem Versuch, das immense, neu aufkommende Verkehrsangebot zu bewältigen mithilfe der strikt funktionalen Stadtplanung. Zuletzt beschreibt der dritte Umbruch den jüngsten Versuch Großstädte zu Smart Cities zu technologisieren.

Diese drei Umbrüche werden auch in der Stadtsoziologie und der Stadtplanung thematisiert. Es gibt keinen Fortschritt ohne kritische Beobachtung und Gegenstimmen. Deswegen entstanden die „bis heute wichtigsten Theorieansätze in der Stadtsoziologie […] aus der Hochzeit der Urbanisierung, also den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts“ (Häußermann 2007: 618) und werden zur Erörterung der Forschungsfrage thematisiert. Um das Konzept Stadt und ihren Zusammenhang mit der Gesellschaft in ihrer Komplexität zu verstehen, ist es wichtig die drei Entwicklungen der Moderne und ihren Einfluss auf den gesellschaftlichen Wandel zu verstehen. Laut Martina Löw basiert auch „jeder Versuch, die moderne Gesellschaft zu verstehen, [auf den Anfängen des] Prozess[es] der Urbanisierung“ (Löw et al. 2008: 14). Die Stadtsoziologie sowie die -planung entstanden erst mit der Aufklärung und der Industrialisierung (vgl. Harth 2012: 337).

Parallel mit den in der Industrialisierung entstehenden Großstädten um die Jahrhundertwende 1900 begründete Georg Simmel mit seinem Essay über Berlin das Fachgebiet der Stadtsoziologie. Er ist der relevanteste Vertreter um 1900 und repräsentiert mit seinem Essay Die Großstädte und das Geistesleben die kritische Denkweise dieser Zeit (vgl. Simmel 2006: o.S.). Relevant für den zweiten Umbruch der Großstadtentwicklung der sechziger Jahre ist die prominente amerikanische Vorreiterin Jane Jacobs gewählt. Jedoch wendet sich Jacobs gezielt gegen die damals vorherrschende funktionale amerikanische Stadtplanung (vgl. Jacobs 1961: 3). Als letzter, für die heutige Zeit und Denkweise exemplarischer Soziologe wird der Amerikaner Richard Sennett gewählt, der die aktuellen Entwicklungen von Smart Cities kritisch begutachtet.

Die Moderne entzaubert die Welt

Die „Entzauberung der realen Welt“ (Weber 2008: 396) nennt Max Weber seine Zusammenfassung des gesellschaftlichen Wandels, der im späten 19. Jahrhundert einsetzte und die Großstädte mit sich brachte. Sichtlich kritisch stand er der Entwicklung gegenüber und kritisierte die „zunehmende Rationalisierung, Berechenbarkeit und Planbarkeit“, die der Wandel mit sich brachte. Georg Simmel betrachtete die Folgen der Industrialisierung soziologisch und beschreibt einen Großstadtmenschen, der Eigenarten wie Blasiertheit, eine reservierte Haltung, oder einen rechnenden rationalen Geist (vgl. Simmel 2006: 15) annimmt, um dem aufreibenden städtischen Raum gerecht zu werden. Das moderne Leben, das Simmel in seinem Essay beschreibt, ist ein anstrengender Kampf des Individuums, wie es in einer Gesellschaft leben soll, die es eigentlich kreiert hat und gleichzeitig seine Freiheitsansprüche nicht zu verlieren (vgl. Simmel 2006: 7). Der öffentliche Raum ist die Bedingung für zwischenmenschliche Interaktionen. Allerdings bleiben die Interaktion und die Kommunikation zwischen den Menschen in der Großstadt unpersönlich, distanziert, gleichgültig und funktional, denn nur so kann die Individualität des Großstadtmenschen bewahrt werden.

Die Bedeutung dieser Entwicklung, lässt sich zuerst in der Stadtplanung, die mit der Industrialisierung und den wachsenden Großstädten überhaupt erst relevant wurde, veranschaulichen. Wie sich eine Stadt entwickelt, hat spätestens nach dem Mittelalter nicht nur eine zufällige Komponente. Verschiedene Parameter, wie die Arbeitsplatzentwicklung, Investoren, Eigentümerentscheidungen und Bevölkerungswachstum bestimmen die öffentliche Planung. Sie sind auch der Ausgangspunkt für allgemeingültige Flächennutzungs- und Bebauungspläne der Stadtplanung. Die Europäische Stadt (vgl. Siebel 2004: o. S.; Rüthers 2015: 15) unterscheidet sich auch in ihrer Gestaltung und Stadtplanung vom Land. Sie legt Wert auf architektonische Gestaltung und besitzt einen zentralen Marktplatz, wie es schon in der antiken Polis üblich war, im Gegensatz zu der funktionalen Stadtplanung. In den 60er Jahren wurde der funktionale Städtebau als Lösungsvorschlag in vielen Städten radikal durchgesetzt. Allerdings kritisierte unter anderem Le Corbusier schon damals, dass primär der Verkehr hervorgehoben und somit autogerechte Städte konzipiert worden sind und sich die anderen Bereiche eher zufällig oder durch private Institutionen funktional definierten (vgl. Schäfers 2006: 194). Diese Verkehrsausprägung zog teilweise richtige Schneisen durch Städte, durch sie entstanden neue Grenzen, da eine mehrspurige Fahrbahn nicht mehr so leicht zu überqueren ist. Außenquartiere oder sogenannte Slums sind nun nicht mehr von einer Stadtmauer abgetrennt, sondern durch eine Autobahn.

Diese Entwicklung wird in der heutigen Stadtplanung wieder versucht zurückzubauen und der Funktionalismus wird als negative Entwicklung für die einst organischen Städte und ihre Gemeinschaften betrachtet. Das ist unter anderem darin begründet, dass der funktionale Städtebau dem öffentlichen Raum fast keine Beachtung geschenkt und ihn in der Planung nicht berücksichtigt hat. Das mag für sehr individualistisch-ausgeprägte Gesellschaften, wie der amerikanischen, akzeptierbar sein, aber für Menschen, die von einer eher kollektivistischen Gesellschaft abhängig sind, fehlt der Raum sich miteinander auszutauschen (vgl. Rüthers 2015: 48). Wie vor allem Jacobs und Sennett herausstellen, ist der öffentliche Raum Dreh- und Angelpunkt für den Austausch einer kollektivistischen Gesellschaft. Jacobs betont in ihrem Buch The Death and Life of Great American Cities die Vorteile einer organisch, historisch gewachsenen Stadt und gibt ihnen wieder die Beachtung, die sie verloren hatte. Für Jacobs leben die idealen öffentlichen Plätze von einer belebten Dichte (Dichte an Bevölkerung) und einem Facettenreichtum (vgl. Jacobs 1961: 50). Nur so wird der Mensch in Jacobs Gesellschaft stimuliert, er braucht das räumliche, dichte Chaos, um Neues zu finden, inspiriert zu werden und lebendig in seiner Gemeinschaft zu leben. Die Bewohner, die in der Stadt leben, ihre Strukturen nutzen und mithilfe sozialer Kontrolle in einer sicheren Gemeinschaft leben (vgl. Jacobs 1961: 56), rücken wieder in den Fokus für Jacobs.

Vergleichbar dazu ist auch Sennetts Prinzip der Ambigious Edges im öffentlichen Raum. Er beschreibt damit ein Design innerhalb seines Open City Konzeptes, das sich mit Grenzen beschäftigt. „More borders, less boundaries“ (Sennett 2017: min 47:29-47:31) fordert er in seinem Vortrag an der Harvard School of Design. Dabei meint er mit Boundaries Grenzen, die unüberwindbar sind und ein deutliches Ende markieren. Borders allerdings sind für Sennett ähnlich wie eine Membranwand zu verstehen: sie sind durchlässige Abgrenzungen und lassen Interaktionen zu. Verschiedene Gruppen und Fremde können an Borders kommunizieren und somit Teil einer aktiven Stadtgesellschaft werden. Damit ist die lebendige Vielfalt der Open City garantiert und ihr Miteinander in der Gesellschaft erklärt (vgl. Sennett o.J.: 8 f.). Zudem eigenen sich Sennetts Großstadtmenschen die städtische Lebensform, die Urbanität, an. Sie ist für Sennett „die Fähigkeit zum öffentlichen Verhalten, das ja auch ein spezifisch kultiviertes und zivilisiertes Verhalten ist“ (Schäfers 2006: 162).

Zusammenfassend bedeuten diese soziologischen Standpunkte, dass „die Stadt […] nicht allein Akteurin [ist], sondern die Menschen […] es [sind]“ (Rüthers 2015: 49). Die Stadtplanung muss sich mittlerweile zunehmend mit der Demokratisierung der Planung auseinandersetzen (vgl. Schubert 2015: 142). Was die Stadtentwicklung aus ihren Stationen und hauptsächlich aus der funktionalen Stadtplanung gelernt hat, ist laut der Theorie, dass „die erlebte Stadt und nicht die reale Stadt die Lebensqualität und das Handeln des Menschen bestimmt“ (Flade 2015: 6).

Der öffentliche Raum ist schwer zu definieren in der Theorie. Deswegen orientiert sich dieser Fachartikel eher an den Definitionen der erörterten Stadtsoziologen, die den öffentlichen Raum mit einer gesellschaftlichen Relevanz verknüpfen. Die bisher behandelten Theorien der Stadtsoziologen definieren den öffentlichen Raum als Lebensraum für die Stadtgesellschaft. Sehr deutlich wird bei Jacobs (und auch Sennett), dass sie keine Industrialisierungsfolgen in Form von Kulturkapitalismus (vgl. Rifkin 2007: 185) sieht. Dieser hätte jegliches emotionale Vertrauen in ihren belebten Straßen vernichtet, da die Kommerzialisierung die Oberhand übernommen und sich nicht mehr auf emotionale Faktoren gestützt hätte. So wie Simmel die Folgen der Industrialisierung befürchtete, welche die Städte zu Geld regierten Städten macht (vgl. Simmel 2006: 11 f.) ist es laut Jacobs 60 Jahre später nicht eingetreten.

Kritische Reflexion der Gesellschaftstheorien

Es gibt zwei verschiedene Ausprägungen des gemeinschaftlichen Zusammenlebens in der Großstadt zu berücksichtigen. Die drei erörterten Stadtsoziologen definieren ihrem Großstadtindividuum eine Rolle innerhalb der Großstadtgesellschaft. Diese Rolle bestimmt ihr soziales Handeln, wie ein Habitus in der Gemeinschaft. Um die Forschungsfrage beantworten zu können, ist primär die Motivation des sozialen Handelns innerhalb des Habitus oder der Rolle interessant. Die Natur des sozialen Handelns, die individueller oder kollektiver Ausrichtung sein kann, gibt Aufschluss auf die vorherrschende Gesellschaftsform der Großstadt. Sie zeigt, ob die Kommunikation, die soziale Handlung auch wirklich die Motivation der Gemeinschaftsbildung hat in einer Großstadt. Zusammengefasst kann man sagen, dass die zwei Formen des Zusammenlebens auch definieren, welche Form von Stadtleben vorrangig ist. Und andersherum hat die Form der Stadt auch Auswirkungen auf die Idee des Zusammenlebens.

Mit der Industrialisierung wurden liberale Gesellschaftstheorien populär, die ein gutes individuelles Leben innerhalb der Gesellschaft möglich machen, wenn, wie zum Beispiel ausführlich in Habermas’ Diskurstheorie ausgeführt, die Rechte und Normen in einer Gesellschaft immer oberste Priorität haben (vgl. Rommerskirchen 2017: 301 f.). Das heißt, dass in der gesellschaftlichen Ordnung das Recht vor dem guten Leben steht. Die Kommunikation innerhalb des Diskurses definiert den institutionellen Rahmen für die Gesellschaft (Joas/ Knöbl 2017: 309).

Die Idee der kommunitaristischen Gemeinschaft kommt in den 1980er Jahren als Gegenbewegung zur Theorie der bestehenden modernen, individuellen Gesellschaft auf. Sie übt vor allem Kritik an der liberalistischen Theorie und besteht aus einer Sammlung von Ideen, die den Wert der kollektiven Gemeinschaft wieder in den Fokus des Gesellschaftsverständnisses rückt. Die gesellschaftliche Ordnung, die einer ihrer Vertreter, Charles Taylor, ganz in der Tradition von Aristoteles beschreibt, ist eine „Ordnung der wechselseitigen Bereicherung“ (Taylor 2012: 315). Er rechtfertigt somit, dass das Glück des Einzelnen nur im Glück aller besteht. An erster Stelle steht immer das allgemeine Wohl. Im Diskurs werden bei Taylor die Grundlagen für die Idee der Gemeinschaft entwickelt, die Idee nach dem gemeinschaftlichen Glück (Rommerskirchen 2015: 241 ff.). Danach muss gelebt werden. Die Gemeinschaft bildet sich von innen heraus und nicht durch äußere Einflüsse. Im Gegensatz dazu steht die liberale Haltung von Habermas, der stets für die Priorität des Rechten (der Normen) vor dem Guten plädiert. Dieses Primat des Rechts, das von außen oder oben herab auf die Gesellschaft einwirkt, widerspricht der kommunitaristischen Idee zutiefst.

Die beiden konträren Gesellschaftsformen spalten die Auffassung der Soziologen sowie Stadtsoziologen. Es ist schwierig dem sozialen Handeln des Menschen eine eindeutige Motivation zuzuschreiben und welche Gesellschaftsform das Individuum damit verwirklichen will. Die soziologische Wissenschaft versucht „die Rahmenbedingungen für eine gute Gesellschaft zu bestimmen und eine Gesellschaftsordnung zu beschreiben, die zwischen maximaler Freiheit und allgemeiner Gleichheit eine optimale Verfassung anbietet“ (Rommerskrichen 2017: 81). Dabei gibt es keine richtige Antwort in der Theorie, nur zwei unterschiedliche Gegenpositionen. Die vorgestellten Antagonisten markieren nur das Spielfeld, in dem sich die Praxis bewegen kann. Im anschließenden zweiten Schritt wird ein Abgleich mit der Realität der qualitativen Forschung vorgenommen, ob es dem zusammengefassten Theoriestand entspricht oder nicht. Es wird festgestellt, ob es eine Favorisierung im Abgleich mit der Wahrnehmung und Realität in der Stadt Köln gibt, die das Forschungsfeld der qualitativen Datenerhebung darstellt.

Qualitativer Forschungsansatz

Der Fokus dieser Arbeit ist eine qualitative Untersuchung mittels Experteninterviews. Es wurden Leitfadeninterviews mit vier Experten durchgeführt, die Bewohner, Bürgeraktivisten, Architekten und Stadtplaner aus Köln sind. Bei dieser qualitativen Methode kann man den Einfluss theoretischer Vorannahmen möglichst geringhalten und es werden neue Einblicke in die subjektive Denk- und Wahrnehmungsweise der Interviewpartner ermöglicht (vgl Flick et al. 2013: 23 ff.). Die Datenauswertung orientiert sich an der Grounded Theory von Glaser und Strauss (vgl. Strauss 2004: o.S.). Aus der Theorie werden Annahmen klar, wie: Eine Gemeinschaft braucht einen gemeinsamen Raum. Die Kommunikation im öffentlichen Raum ist essentiell, damit der Mensch in einer urbanen Gemeinschaft leben kann. Zusätzlich gibt es keine eindeutige Bedeutungszuweisung des öffentlichen Raumes. Die Bedeutung und Nutzung soll mithilfe der Interviews in Bezug auf die Stadt Köln abgeglichen und diskutiert werden, um auch zu klären, ob das ursprüngliche Konzept Stadt heute noch eine Gemeinschaft bildet, oder ob der gemeinschaftsbildende Prozess sich aus dem öffentlichen Raum entfernt hat.

In der Auswertung und Interpretation der Ergebnisse werden die folgenden drei Phänomene, die sich mit der wahrgenommenen Gesellschaft, der Bedeutungszuweisung des öffentlichen Raumes und der Idee der Stadt beschäftigen, herausgearbeitet.

Das kollektivistische Gesellschaftsbild und seine Widersprüchlichkeit

Anfang des 20.Jahrhunderts zu Simmels Zeiten, war der Glaube weit verbreitet, dass Städte das gemeinschaftliche Zusammenleben, wie es bis dahin in den Dörfern vertraut war, verhindern und zerstören würden. Simmel selbst nannte als Konsequenzen, Blasiertheit und Abgestumpftheit und war der Meinung, dass emotionale Bindungen, wie sie in einem kleineren Dorfumfeld existieren, nicht möglich sind. Diese anfängliche Skepsis lässt sich mittlerweile in der Theorie widerlegen (vgl.  Jacobs, Sennett und Taylor). Gepflegte soziale Beziehungen in der Großstadt sind stabil und können sogar zwischen verschiedenen Kulturen und Stadtvierteln bestehen, es muss nicht zwingend die umliegende Nachbarschaft sein (vgl. Häußermann 2007: 623). Die Interviewpartner sind ein gutes Beispiel dafür. An ihren Wahrnehmungen lässt sich erkennen, dass trotz der vermeintlich vorherrschenden Unpersönlichkeit einer Großstadt, die Simmel anhand des Beispiels Berlin festmachte, man sich in Köln untereinander kennt, sich aushilft und es wichtig ist, alle Menschen gleich zu behandeln. Allerdings kann das nur auf die Viertel begrenzt sein. Für Simmel wäre auch die Tatsache, seinen eigenen Nachbarn in der Stadt nicht zu kennen, nicht verwunderlich. Sein Großstädter muss Distanz und eine gewisse Reserviertheit wahren zu den sonst zu vielen und überfordernden Kontakten und Interaktionen im Großstadtleben. Die Experten zeigen aber ein gegenteiliges Bild auf, Interaktionen und Zusammenleben bekommen einen wichtigen Stellenwert in ihren Beschreibungen. In Bezug auf die Interviewantworten finden die soziale Interaktion und Kommunikation dabei im öffentlichen Raum, der für alle zugänglich ist, statt. Bei den Interviews ist also zusammenfassend eine auffällige Übereinstimmung vorhanden: alle Interviewpartner vertreten ein kollektivistisches Gesellschaftsbild. Daraus lässt sich ableiten, dass Gemeinschaft einen gemeinsamen Raum braucht: den öffentlichen.

Der Kampf um den öffentlichen Raum

Zusammenfassend lässt sich über den in den Interviews dargestellten öffentlichen Raum sagen, dass seine Definition, Nutzungs- und Bedeutungszuweisung diffuse Ausprägungen in der Realität der Interviewpartner hat. Es fällt auf, dass zugewiesene Besitzansprüche mehrere Codes in der Auswertung belegen. Die verschiedenen Ansprüche an den Raum beschreiben einen regelrechten Kampf um die Rückeroberung des öffentlichen Raumes. Denn „jeder der will kriegt quasi eine Genehmigung“ (vgl. Interview 2: Abs. 87) rügt Experte 2 die Politik, die seiner Meinung nach mehr Verantwortung übernehmen sollte. Die funktionale Nutzungszuweisung wird einschlägig verwendet und auch der Trend zur Nachhaltigkeit für den öffentlichen Raum zeichnet sich in den Daten sichtbar ab. Dies entspricht auch der theoretischen Grundlage. Es wird eine fehlende Trennung zwischen öffentlichem Raum und kommerziellem Raum deutlich. Wo die Theorie klare Kritik übt und kommerziellen Raum nicht als genuinen öffentlichen Raum definiert, verschwimmt die Wahrnehmung der befragten Experten und eine klare Abgrenzung ist nicht vorhanden. Stattdessen lassen sich zwei Perspektiven der Realität der Experten ableiten: öffentlicher Raum wird in seinem Nutzen kollektivistisch beurteilt und seine Verwaltung gehört in öffentliche Hand. Und die kapitalistischere Variante, dass öffentlicher Raum dem gehört, welcher zahlt. Diese Perspektiven stehen im Konflikt. Folglich kann von einem Kampf um den öffentlichen Raum gesprochen werden. Die Bedeutungszuweisung für die Gesellschaft und ihre Bindung, die öffentlicher Raum in der Theorie hat, wird in der Realität in diesem Kampf außer Acht gelassen. Es gibt auch nur wenig Codes, welche die Relevanz von Kommunikation im öffentlichen Raum belegen. Die verwendete Bedeutungszuweisung des öffentlichen Raumes innerhalb der Interviews ist mit der eines leeren Signifikanten zu vergleichen.

Öffentlicher Raum als Bühne

Obwohl Köln viel Einfluss der funktionalen Stadtplanung in den 60er Jahren hatte, sprechen die Interviewergebnisse nicht von individualistischen Auswirkungen einer funktionalen Stadtplanung. Stattdessen werden öffentlicher Raum und die Begegnungsräume von einem Experten als funktionale Bühne beschrieben (vgl. Interview 4: Abs. 28-34). Auch wird von Experte 3 eine ähnliche Metapher verwendet: Er beschreibt die „Stadt als gebaute Umgangsform“ und zitiert damit den Städtebauprofessor Walter Ackers (Interview 3: Abs. 16). Das Individuum ist für sein Verhalten auf der Bühne selbst zuständig. Dieses Verhalten ist vergleichbar mit Sennetts beschriebenen zivilen Verhalten. Auch die Stadtplanung, die den öffentlichen Raum als Bühne stellt, kann dies nicht beeinflussen oder formen. Sie gibt lediglich den Rahmen der bespielbaren Bühne, für deren Schauspiel und Interaktion jeder selbst zuständig ist. Die Stadt nimmt die Rolle als „Konstruktion des Vertrauens“ (vgl. Ackers 2009: 7) ein, in dem die Anteilnahme am öffentlichem Leben (dem Schauspiel) freiwillig ist. Mit der Bühnenmetapher verlieren die Ausprägungen der funktionalen Stadtplanung der 60er Jahre in Köln an Bedeutung und Einfluss. Die vorhandene und beschriebene Bühne ist Beweis dafür, dass die funktionale Stadtplanung der Nachkriegszeit keine Auswirkung auf die Kommunikation (auf der Bühne) hat (vgl. Interview 2: Abs. 27). Auch mit der Interviewleitfrage über die Stadtentwicklung und -planung in Köln kam von den Experten wenig Kritik. Experte 2 sprach sogar von einer Verbesserung: „Der hat im Grunde versucht diese enge Mittelalterstadt Köln wirklich zu öffnen“ (vgl. Interview 2: Abs. 27). Somit wird die funktionale Stadtplanung in den Ergebnissen dieser qualitativen Auswertung nicht als Hindernis gesehen oder bezeichnet.

Fazit

In der Chronologie wurden die wichtigsten Umbrüche und gesellschaftlichen Wandel, die für die Stadt und ihre Entwicklung essenziell waren, beschrieben mithilfe der Stadtsoziologen (Simmel, Jacobs, Sennett), um das Konzept Stadt und ihren Zusammenhang mit der Gesellschaft in ihrer Komplexität zu verstehen. Die zwei Gesellschaftskonzepte von Jürgen Habermas und Charles Taylor gaben Aufschluss über die verschiedene Ordnung und Priorisierung innerhalb einer modernen Gesellschaft. Dabei wurde ersichtlich, dass in der Stadtsoziologie von Jacobs und Sennett ein kollektivistischer Ansatz, wie er in der kommunitaristischen Gesellschaftsordnung von Taylor beschrieben wird, vertreten und favorisiert wird. Trotzdem ist in der Realität die Zuordnung zu einer Gesellschaftstheorie nicht immer eindeutig möglich, denn in jeder Stadt sind verschiedene Formen des sozialen Zusammenlebens zu finden. Sei es Anonymität zwischen Fremden, Individualität oder auch enge Gemeinschaften innerhalb einer Nachbarschaft. Stadtplanung kann laut Sennett und Jacobs die Entstehung und Planung dieser Formen der Beziehungen beeinflussen. Die wichtigste Erkenntnis der erarbeiteten Theorie ist, dass Raum eine gesellschaftliche Bedeutung hat. Im Rahmen der Forschungsfrage ist diese Erkenntnis aus mehreren soziologischen Theorien nötig, da sie den öffentlichen Raum als Ausgangspunkt für Interaktion und Kommunikation beschreibt und ihm eine daraus resultierende Bedeutungszuweisung gibt: Gemeinschaftsbildung zu fördern und binden.

Die erwünschte Form des sozialen Zusammenlebens im Raum der Stadt Köln ist unbekannt und wenig erforscht. Köln ist eine Großstadt mit mittelalterlichem Kern und einem funktionalen Straßenraster, das in den 60er Jahren entstanden ist, um ihrem Wachstum und Verkehrsangebot gerecht zu werden. Hier treffen zwei Stadtbaustile sowie zwei Gesellschaftmodelle zusammen.

Nach der theoretischen Erarbeitung wurden in der qualitativen Forschung Leitfadeninterviews mit vier Experten durchgeführt, die Bewohner, Bürgeraktivisten, Architekten und Stadtplaner aus Köln sind. Bei der Interpretation der Daten sind drei neue Phänomene herausgearbeitet und erklärt worden, die folgendes betreffen, die Wahrnehmung der Gesellschaft, des öffentlichen Raumes und seiner Bedeutungszuweisung in der Stadt Köln. Um die Forschungsfrage in folgender Zusammenfassung beantworten zu können, wird sie an dieser Stelle noch einmal wiederholt: Welche Rolle spielt die Kommunikation im öffentlichen Raum für die Gemeinschaftsbildung in der Stadt?

Raum hat eine gesellschaftliche Bedeutung

Die drei Phänomene der Analyse beantworten nicht direkt die Forschungsfrage. Warum Kommunikation im öffentlichen Raum eine Rolle spielt, wird in der abgefragten Realität der Experten zu wenig von ihnen thematisiert und dadurch nicht klar. Stattdessen überwiegen in den Beschreibungen funktionale Bedeutungszuweisungen. Diese scheinen einfacher definierbar und dem öffentlichen Raum zuschreibbar zu sein, bezeugen aber auch eine Distanz der befragten Experten zu dem Forschungsgegenstand. Es ist vorstellbar, dass ihre Erfahrung und berufliche Expertise eine gewisse Distanz zum öffentlichen Raum verlangt, mit welchem sie direkt oder indirekt tagtäglich arbeiten. In der Interviewauswertung wurde zudem eine fehlende Trennung zwischen öffentlichem Raum und kommerziellem Raum deutlich. Die Grenzen von öffentlichem Raum und halbprivaten und privatem Raum verschwinden in der Wahrnehmungsrealität und werden von den Interviewpartnern nicht mehr klar differenziert. Auch über den Nutzen des Raumes und seiner Bedeutung gibt es unterschiedliche Auffassungen. Zusammenfassend lassen die verschiedenen Bedeutungszuweisungen auf einen Kampf der Gesellschaft um den öffentlichen Raum schließen. Dieser Kampf um den öffentlichen Raum unterstreicht aber auch seine Wichtigkeit für die Gesellschaft. Eine Gemeinschaft streitet sich im Diskurs und handelt somit immer wieder neue Bedeutungen für den öffentlichen Raum aus. Das autonome Individuum bräuchte den öffentlichen Raum nur für notwendigen und effizienten Austausch, seine Bedeutung ist für es irrelevant. Da aber in dem von den Interviewpartnern erwähnten Kampf auch von einer Rückeroberung des Raumes aus dem Kapitalismus gesprochen wird, um die Nutzung für die Allgemeinheit wieder zu stärken, wird deutlich, dass eine kollektive Gemeinschaftsbindung hier stärker vertreten wird.

Trotz der vermeintlich vorherrschenden Unpersönlichkeit einer Großstadt nach Simmels Theorie wird in den Gesprächen mit den Interviewpartnern klar, dass sie alle ein kollektivistisches Gemeinschaftsbild vertreten. Dies wird dadurch klar, dass sie sich als Teil einer homogenen Gruppe sehen, Räume verschiedenen Gruppen zuteilen, die Zugänglichkeit für alle fordern und Treffpunkte in den Mittelpunkt stellen. Es entsteht der Eindruck, dass man sich in Köln untereinander kennt und einen guten Umgangston pflegt, der Gleichberechtigung und Moral wertschätzt. Zugleich kann dieses Phänomen aber auch nur auf einzelne Viertel begrenzt sein, wie einer der Interviewpartner anmerkt. Zusammenfassend kommt es den Interviewpartnern darauf an, dass es eine gelebte Gemeinschaft gibt und diese auch einen gemeinsamen Raum braucht: den öffentlichen.

Die Ergebnisse belegen, dass der Stadtplanungsmix der Stadt Köln aus Mittelalter und funktionaler Stadtplanung, in der Wahrnehmung der Experten keine Einwirkung auf die Gemeinschaftsbildung hat. Für sie fungiert öffentlicher Raum als Bühne. Seine Gestaltung, ob funktional oder sozial gedacht, hat keine Einwirkung darauf, wie die Bühne genutzt wird. Die Stadtplanung übernimmt eine Beobachterposition mit dem Bewusstsein, dass auf dieser Bühne ein Leben existiert. Allerdings kann der Experte keine Aussagen darüber treffen wie und in welchem Ausmaß dieses Bühnenleben stattfindet. Es wird auch keine Verantwortung angenommen. Der Kontakt oder der Einfluss darauf ist nicht erwünscht, wie aus der bewusst resignativen Haltung abzuleiten ist.

Das Individuum bespielt die Bühne des öffentlichen Raumes. Allerdings ist die Bedingung für das Bühnenauftreten ein urbanes, oder ziviles Verhalten. Dieses urbane Verhalten im Sinne Sennetts beschreibt Normen und Moralverständnis und ist von der Gemeinschaft geprägt. Das zivile Verhalten ist freiwillig und seine Ausführung dem Individuum selbst überlassen. Allerdings ist es Voraussetzung, um im Rahmen des öffentlichen Raumes zu interagieren. Das Individuum in der Großstadt steht folglich in einem Spannungsfeld zwischen der Freiheit des Verhaltens und des Mitspielens in dem von der Gemeinschaft vorgegebenen Rahmen. Der öffentliche Raum wird in der Stadtplanung nur als Bühne angesehen, was das Individuum daraus für sich und die Gemeinschaft macht, liegt in seiner Verantwortung. Deswegen ist auch keine Aussage über die Kommunikation im öffentlichen Raum beziehungsweise auf der Bühne möglich, da sie nicht planbar und dem Individuum überlassen ist.

Die interpretierten Daten der empirischen Forschung geben keine eindeutige Antwort auf die Forschungsfrage dieser Arbeit. Stattdessen ist die Forschungsfrage nur mit der Theorie zu beantworten. Aus den theoretischen Überlegungen der Stadtsoziologie kann abgeleitet werden, dass Kommunikation im öffentlichen Raum eine große Rolle spielt. Kommunikation im öffentlichen Raum hat immer eine gesellschaftliche Bedeutung. Gerade durch die im öffentlichen Raum stattfindende Kommunikation und Interaktion definiert und ordnet sich die Gesellschaft. Die Ausgestaltung des modernen Zusammenlebens in seiner Individualität oder Kollektivität ist dabei je nach öffentlichen Möglichkeiten unterschiedlich. Die Tendenz geht dahin Gemeinschaften innerhalb der Großstadt in Nachbarschaften zu bilden, die es in ihrer Räumlichkeit zulassen. Dies ist aus der Theorie und in der festgestellten kollektiven Gesellschaftswahrnehmung der Experten abzuleiten. Allerdings wird diese Meinung von den befragten Experten aus der Stadtplanung nicht vertreten, teilweise noch nicht einmal wahrgenommen. Diese Experten sehen die gesellschaftliche Bedeutungskomponente auch nicht als Teil ihrer Arbeit und Verantwortung. Es wird ersichtlich, dass das in der Theorie vorgegebene Wissen und dessen normative Schlussfolgerungen nicht in der Praxis reflektiert und umgesetzt werden.

Diese Erkenntnis des Fachartikels ist kritisch zu betrachten und zu hinterfragen. Entweder ist die Theorie für eine praktische Ausführung nicht geeignet und sie muss überdacht werden, oder die Praxis ist zu eingespielt und isoliert, sodass neue Forschungserkenntnisse keine Relevanz und Beachtung finden. Die Städteplaner im Allgemeinen und die der Stadt Köln sollten lernen, mehr Wissen aus der Theorie umzusetzen. Durch das Einsetzen von Erkenntnissen aus der Fachrichtung der Stadtpsychologie könnte erzielt werden, dass Wissen um soziales Verhalten vermehrt Einzug in die Arbeit der Stadtplaner erhält.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass sich dieser Fachartikel nur mit dem Ausschnitt der Thematik befassen kann. Er trägt jedoch dazu bei, die Relevanz und Aktualität dieses Themas in den Vordergrund zu stellen, und soll zum Diskurs um den öffentlichen Raum und seine Bedeutung beitragen. Die Verknüpfung der Forschungsrichtung Soziologie mit der Praxis der Stadtplanung wurde bisher wenig erforscht, diese Arbeit trägt einen Teil dazu bei und dient als Anregung für nachfolgende sozialwissenschaftliche Forschungen über den öffentlichen Raum. Die Forscherin vermutet, dass die Thematik und die damit einhergehende Verantwortung mit den immer größer werdenden Städten wachsen werden. Deswegen besteht ein kontinuierlicher Bedarf an weiteren Forschungen, die die Stadtplanung mit ihrer soziologischen Bedeutung betrachten.

 

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