Thomas Oster: Politische Agenda und der Glaube an die Wahrheit

Politische Agenden gelten als ein einflussreiches Instrument politischer Akteure. Insbesondere die als wechselfreudig geltenden jungen Wähler unter 30 Jahren gelten nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Europawahl als besonders beeinflussbar. Daher untersucht die vorliegende qualitative Studie den Einfluss von Informationen politischer Agendasetzungen auf das Wahlverhalten der noch nicht näher beforschten Wählergruppe unter 30 Jahren. Anhand von acht Leitfadeninterviews wurde die Bewertung der Glaubwürdigkeit als intervenierende Variable näher eruiert und in einen theoretischen Rahmen überführt. Dabei wurden zwei zentrale Phänomene ausgemacht, die das Informationsverhalten kennzeichnen. Eine prägende politische Primärsozialisation und ein politisch homogenes Kommunikationsnetzwerk begründen ein konsistentes und in sich kohärentes politisches Weltbild, das eine soziale Filterung politischer Informationen zugunsten einer ideologisch bzw. parteipolitischen Mobilisierung impliziert. Demgegenüber führt ein heterogenes politisches Umfeld zu einer von Ambivalenzen und Indifferenzen geprägten unsicheren politischen Gedankenwelt, die ein Streben nach demokratischer Selbstermächtigung evoziert. Auf Basis einer Kaskade aktiver Informationsbeschaffung wird folglich der Versuch unternommen, ein eigenes politisches Weltbild zu schaffen. Zunächst werden wahlentscheidende Themen über die Hauptnachrichtenagenda vertikaler Medien eruiert, woraufhin eine Auseinandersetzung mit salienten parteipolitischen Positionierungen über horizontale Medien erfolgt. Dies führt entweder zu einem negativen Selektionsverfahren oder einer Herauskristallisierung einer ideologischen Grundeinstellung. Aufgrund weiterhin bestehender ambivalenter Einstellungen bzw. programmatischer Indifferenzen wird auf Basis der Salienz medialer Issues aus politischen Agendasetzungen eine späte individuelle Wahlentscheidung getroffen.

 

Klimaschutz gilt als das bestimmende Erklärungsmuster für den Ausgang der Europawahl im vergangenen Jahr. Dabei wurde vor allem der Wahlerfolg der Grünen auf die Wichtigkeit dieser Sachfrage zurückgeführt. So habe der Klima-Trend insbesondere 31 Prozent der jungen Wähler unter 30 Jahren dazu veranlasst, grün zu wählen – 19 Prozent mehr als bei der Bundestagswahl zwei Jahre zuvor. Dagegen verlor im Vergleich die Union um 14 Prozentpunkte bei dieser jungen Wählergruppe, die bei der Bundestagswahl zuvor noch jeder vierte der unter 30-jährigen wählte (vgl. Forschungsgruppe Wahlen e.V. 2019: 1-3; vgl. Schwesinger 2019: o.S.). Infolgedessen wurde jene Wahlniederlage der Union auf „eine für sie ungünstige Themenagenda“ (Dörner 2019, o. S.) zurückgeführt, indem es nicht gelungen sei, „die eigenen Themen (…) stärker in den Mittelpunkt der Debatten zu stellen“ (Dörner 2019, o. S.). Dies könnte gleichzeitig darauf hindeuten, dass der Klima-Trend durch die politische Agendasetzung der Grünen induziert sein könnte. Indem sie das für sie vorteilhafte Klimathema und einen entsprechenden Interpretationsrahmen in den öffentlichen Diskurs einbrächten, würden diese salienten Informationen angesichts des politischen Weltbildes der jungen Wählergruppe als glaubwürdig erachtetet werden, sodass die wertenden Vorstellungen über das priorisierte Klima-Thema die entscheidenden Elemente des Wahlverhaltens darstellen könnten. Schon Bernays bemerkte:

Die Wahrheit ist mächtig, und sie soll sich durchsetzen. Wenn eine Gruppe von Menschen glaubt, eine Wahrheit erkannt zu haben, dann ist es nicht nur ihr Recht, sondern geradezu ihre Pflicht, diese zu verbreiten. (Bernays 2009: 20)

Demnach stellt sich die Frage: Wie muss die politische Gedankenwelt der jungen Wähler beschaffen sein, damit die als Wahrheit erkannte und salient gemachte politische Agenda von Themen und wertenden Vorstellungen auch als Wahrheit in den Augen jener Wähler begriffen wird?

Auf der einen Seite kann das soziale Feld einen klassenspezifischen Habitus begründen, der die Wahrnehmung, das Denken und Handeln dieser jungen Wähler prägt (vgl. Bourdieu 1976: 177-189; vgl. Rommerskirchen 2017: 229-237). Demnach erfährt jene politische Information eine glaubwürdige Bewertung, die vor dem Hintergrund tradierter Bindungen der sozial konstruierten politischen Realität entspricht. Auf der anderen Seite beschreibt Beck (1994) eine Individualisierung der Gesellschaft, in der dem befreiten Individuum aus den vorgegeben sozialen Lebensformen als ‚homo optionis‘ eine individuelle Entscheidungsfreiheit innewohnt, die zum Zwang zur Wahl führt (vgl. Beck 1994: 43 ff.; vgl. Rommerskirchen 2017: 238-241. Aufgrund fehlender sozialer Orientierungspunkte muss ein Individuum einer atomisierten Gesellschaft unter dieser Unsicherheit eine eigene politische Wirklichkeit konstruieren, die eine wechselhafte Wahlentscheidung auf Basis salienter politischer Ideen und Themen im öffentlichen Diskurs begründen können. Reckwitz (2019) fasst beide Betrachtungsweisen zusammen, indem er eine gesellschaftliche Struktur aufzeigt, die vor allem in einem „Nebeneinander disparater Lebenswelten“ (Reckwitz 2019: 127) einer alten traditionellen und einer neuen akademisch geprägten Mittelklasse begriffen ist. Dabei wird der junge Wähler durch eine räumliche und soziale Verwurzelung charakterisiert, indem er eine Verantwortung für das mit ihm eng verbundene soziale Umfeld empfindet. Jene sesshafte kulturelle Lebensform führt daher zu bedeutungsvollen tradierten Bindungen in kleinfamiliären Strukturen sowie einem räumlich eingegrenzten sozialen Kommunikationsnetzwerk (vgl. Reckwitz 2019: 98 f.). Junge Wähler der neuen Mittelklasse sind dagegen durch eine räumliche Mobilität charakterisiert. Ihre Lebensführung entspricht demnach einem von Singularisierung und Valorisierung geprägten kulturell entgrenzten Kosmopolitismus, indem jeder Gegenstand des täglichen Lebens einen Wert und eine Einzigartigkeit an sich aufweisen sollte. Das Streben nach Selbstverwirklichung könnte fortan die Kreation einer eigenen politischen Wirklichkeit begründen, die sich als Ausdruck einer individuellen Selbstentfaltung in Form einer einzigartigen und wertvollen Wahlentscheidung manifestiert (vgl. Reckwitz 2019: 91-95). Demnach stellt sich vor dem Hintergrund der innerhalb des sozialen Feldes konstruierten politischen Wirklichkeit und jener von Singularisierung und Valorisierung geprägten sich selbstverwirklichenden politischen Weltbildes folgende Forschungsfrage:

Inwieweit beeinflusst die Bewertung glaubwürdiger Informationen, die einer politischen Agendasetzung entspringen, das Wahlverhalten der Wahlberechtigten unter 30 Jahren?

 

Einstellungen als wertende Repräsentanten wahlrelevanter Objekte

Der Eine wählt die Grünen wegen des Klimaschutzes, ein Anderer die CDU wegen einer affektiven Bindung und wiederum ein Anderer die FDP wegen Christian Lindner. Wahlentscheidungen gründen auf politischen Einstellungen – seien sie kurzfristiger oder eher langfristiger Natur, sachbezogen, partei- oder personengebunden. Dabei stellen jene Einstellungen eine wertende Gesamtbeurteilung eines politischen Einstellungsobjekts auf Basis von rationalen, affektiven und verhaltensbezogenen Informationen dar. Als internalisierte Tendenz evozieren sie folglich eine rationale, affektive und/oder konative Reaktion auf jenes Einstellungsobjekt (vgl. Eagly/Chaiken: 1-20). Einstellungen können daher als mentale Repräsentanz eine politische Weltsicht begründen. Ihre Konsistenz und Prägekraft ist dabei durch ihre Stärke determiniert. Eine persistente Repräsentanz eines Einstellungsobjekts zeichnet sich dabei durch ein synergetisches Zusammenspiel der kognitiven, affektiven und verhaltensbezogenen Einstellungselemente aus, das eine unidimensionale Strukturierung von konsistenten Informationen impliziert und einen schnellen Abrufprozess begünstigt. Eine kontextspezifische Konstruktion wahlrelevanter Einstellungen findet dagegen bei einer bidimensionalen mentalen Abbildung eines Einstellungsobjekts statt, indem konfligierende rationale, affektive und/oder konative Informationen eine ambivalente Einstellungsbildung evozieren, die durch Salienzmachung bestimmter Informationen beeinflusst werden kann (Maio et al. 2019: 51 f.; Nayakankuppam et al. 2018: 63 ff).

Inwieweit Informationen einer politischen Agendasetzung eine wahlspezifische Wirkung bei den beforschten Subjekten entfalten, muss daher vor dem Hintergrund der Genese jener für die Wahlentscheidung relevanten lang- und kurzfristigen politischen Einstellungen eruiert werden, die nach Miller und Shanks (1996) innerhalb eines Kausalitätstrichters geformt werden und eine zeitliche und kausale Abfolge von sechs Stufen implizieren. Die erste Stufe umfasst dabei stabile sozialstrukturelle Merkmale, die die Herausbildung langfristiger politischer Grundorientierungen in Form einer Parteiidentifikation und ideologischer Prädispositionen auf der zweiten Stufe bedingen und dadurch soziopolitische Konfliktlinien innerhalb der Gesellschaft begründen (vgl. Miller/Shanks 1996: 191 f). So entsteht auf Basis von symbolischen Auf- und Abwertungen kultureller Lebensformen und der damit verbundenen Unterschiede hinsichtlich des sozialen Status und Prestiges eine durch die kulturelle Hegemonialstellung der neuen Mittelklasse induzierte gesellschaftliche Konfliktlinie zwischen liberalen Kosmopolitismus, der die „Ideale der Autonomie, Mobilität und Entgrenzung“ (Reckwitz 2019: 101 f.) vertritt und dem politischen Kommunitarismus, der für „Vorstellungen von Ordnung, Sesshaftigkeit und Disziplin“ (Reckwitz 2019: 101 f.) steht (vgl. Reckwitz 2019: 88 ff.). Die Stärke und Konsistenz jener sozialstrukturellen Determinanten und Prädispositionen bestimmen somit den Grad ihres langfristigen Einflusses auf die Wahlentscheidung, die folglich die Wahrnehmung wahlrelevanter Einstellungsobjekte auf den nachfolgenden Stufen im Wahlkontext politisch konsistent färben (vgl. Miller/Shanks 1996: 191 f).

Kurzfristige Einflüsse auf die Wahlentscheidung können demnach vor dem Hintergrund der im Wahlkontext salienten Issues auf der dritten Stufe ausgemacht werden, die sich auf die aktuelle Zustandswahrnehmung konsensueller politischer Objekte oder auf richtungsdivergente sachfragenbezogene Konflikte beziehen und – moderiert durch die langfristigen ideologischen Prädispositionen – eine Präferenzbildung evozieren. Auf der vierten Stufe wird folglich auf Basis jener aktuellen politikbezogenen Präferenz und Wahrnehmung der aktuellen Lage eine Leistungsbewertung der Regierungsparteien aus der Retroperspektive vollzogen, die durch die langfristige affektive Parteibindung bedingt ist. Die Bewertung der persönlichen Eigenschaften der Spitzenkandidaten folgt auf Stufe fünf, sodass kurz vor der Wahl eine prospektive Bewertung der Parteien bzw. Kandidaten im Hinblick auf zu erwartende sachfragenbezogene Resultate erfolgt, wenn diese in Regierungsverantwortung stünden (vgl. Miller/Shanks 1996: 192 f.).

 

Politische Informationen: Mobilisierung oder Persuasion

Politische Informationen vermitteln Bedeutungsgehalte über die politische Realität, auf Basis dessen Wähler politische Vorstellungen entwickeln, die eine Urteilsbildung über diese wahlrelevanten Einstellungsobjekte ermöglichen können. Jene Bedeutungsgehalte werden über gesellschaftliche Informationsflüsse bereitgestellt, wobei eine dynamische Wechselbeziehung mit der Informiertheit der Wähler besteht, indem der mentale Vorrat an politischen Ideen ein Produkt der aus der sozialen Umwelt zugeflossenen Informationen darstellt, jedoch gleichzeitig auf Basis der Konsistenz und Stärke dieser in der politischen Gedankenwelt gespeicherten politischen Informa-tionen eine intervenierende Variable hinsichtlich der Beeinflussung durch neue Informationen darstellt (vgl. Schmitt Beck 2000: 30 f.).

Das RAS-Modell nach Zaller (1992) stellt dabei den Verarbeitungsprozess politischer Informationen vor dem Hintergrund eines Mehrebenenmodells dar, der auf einer Individualebene durch die politische Involvierung und die politischen Prädispositionen sowie auf der Aggregatsebene durch die Intensität politischer Informationsflüsse sowie deren richtungspolitische Verteilung moderiert wird. Jene Variablen moderieren demzufolge den Prozess, in dem politische Informationen drei Stufen der Rezeption, der Akzeptanz sowie des Einbeziehens in die Entscheidungsgrundlage durchlaufen müssen, um einen Einfluss entfalten zu können. Die Wahlentscheidung wird dabei als Konstruktion einer summarischen Meinungsstellungnahme verstanden, die eine politische Gedankenwelt von Erwägungen zur Grundlage hat und als kognitive Repräsentanz wahlrelevanter politischer Objekte mit kognitiven und affektiven Bewertungselementen verbunden sind. Demzufolge erfolgt eine Stichprobenziehung aus der Gesamtmenge aller internalisierten Erwägungen, die mit den zu bewertenden wahlrelevanten Objekten verbunden sind. Jene Stichprobenziehung ist dabei von der kontextspezifischen Entscheidungssituation geprägt, die vor dem Hintergrund der Verfügbarkeitsheuristik eine Salienz und Verfügbarkeit bestimmter Erwägungen evoziert, um somit als ‚top of the head‘-Erwägungen in die situative Nettobewertung einzufließen. Dabei besteht auf Basis aller mit dem politischen Objekt verbundenen Erwägungen und der mit ihr verknüpften Bewertungsgesichtspunkten eine zentrale Tendenz summarischer Meinungsstellungnahmen, die aber zugleich eine gewisse Streuung von Erwägungen impliziert und somit aufgrund der kontextspezifischen Salienz und Verfügbarkeit eine Varianz summarischer Meinungsstellungnahmen begründet. Gesellschaftliche Informationsflüsse können so über intensive, richtungspolitisch konsistente persuasive Botschaften entweder die zentrale Tendenz summarischer Meinungsstellungnahmen langfristig verschieben oder anhand des Primings oder Framings bestimmter politischer Sachverhalte die Stichprobenziehung temporär beeinflussen. Dabei begründen politische Prädispositionen eine Resistenz gegenüber inkonsistenten Informationen, die durch die politische Involviertheit in Form einer intensiven kognitiven Auseinandersetzung begünstigt wird (vgl. Zaller 1992: 40 ff; Zaller/Feldman 1992: 609 f.).

Diesem Verarbeitungsprozess der kognitiv geprägten mentalen Repräsentanz politischer Objekte stellen Lodge und Taber (2013) ein Modell des Primats des Affekts gegenüber. Den Ausgangspunkt stellt eine begrenzte kognitive Kapazität des Arbeitsgedächtnisses dar, mithilfe dessen eine bewusste kognitive Auseinandersetzung mit der Information stattfinden kann. Daher entwerfen sie ein Dualprozessmodell, indem neben dem bewussten Denken innerhalb des Arbeitsgedächtnisses ein assoziativ organisiertes Langzeitgedächtnis etabliert wird, das einen impliziten und hochselektiven Abruf von mit einem politischen Gegenstand assoziativ verbundenen Gedächtnisobjekten induziert, die affektive Objekte in Form von Einstellungen und Gefühle sowie Überzeugungen als konzeptionelle Objekte darstellen, wobei jegliche Gedächtnisobjekte Affekte unterschiedlicher Stärke und Richtung implizieren. Somit aktiviert ein politischer Gegenstand als Stimulusobjekt unmittelbar und automatisch bestehende affektiv geladene Einstellungen sowie vor dem Hintergrund des Primingkontextes mit jenem politischen Objekt semantisch unverbundenen Affekte, sodass eine affektive Aufladung des politischen Gegenstandes stattfindet. Danach werden kognitive Erwägungen in Form von Argumenten und Fakten aktiviert, die ein semantisches Verständnis bereitstellen. Jedoch wird dieser Abrufungsprozess von kognitiven Erwägungen durch die zuvor aktivierten Affekte verzerrt, sodass sie den nachfolgenden bewussten Verarbeitungsprozess der Deliberation und Bewertungskonstruktion richtungsweisend beeinflussen. Zudem können jene affektiv aufgeladenen Einstellungen und zufällige Gefühlsregungen über einen direkten Affekttransfer einen unmittelbaren Einfluss auf die Bewertungskonstruktion des politischen Gegenstandes evozieren. Anschließend kann eine Rationalisierung der durch affekt-getriebene und implizite Verarbeitungsprozesse konstruierten Bewertung eines politischen Gegenstands mithilfe einer erneuten bewussten Deliberation erfolgen. Doch jede bewusste Deliberation führt folglich zu einem erneuten unterbewussten Verarbeitungsprozess, sodass frühere richtungsgebende affektive Reaktionen auf den politischen Gegenstand nicht verändert werden können (vgl. Lodge/Taber 2013: 28 ff.).

Gemeinsam ist den beiden Modellen, dass in Abhängigkeit der Stärke und Konsistenz von bestehenden politischen Prädispositionen eine Konstruktion der Wahlentscheidung stattfindet. Bei ausgeprägten Prädispositionen besteht eine Resistenz gegenüber inkongruenten Informationen, die in einer Verstärkung bzw. Polarisierung politischer Einstellungen mündet (vgl. Lodge/Taber 2013: 152 f.; vgl. Zaller 1992: 42 ff.). Dagegen müssen Einstellungen zu wahlrelevanten politischen Objekten kontextspezifisch konstruiert werden, wenn inkonsistente oder labile Erwägungen bzw. Einstellungskomponenten vorliegen. Dabei kann die Genese kognitiver Einstellungskomponenten anhand der Dualprozessmodelle, dem Elaboration Likelihood Modell und dem Heuristic-systematic Modell zusammenfassend dargestellt werden. Einstellungsrelevante Informationen erfahren in Abhängigkeit von der Motivation und Fähigkeit – der politischen Involviertheit – entweder eine intensive kognitive Auseinandersetzung, die eine eher starke, persistente Einstellung hervorbringt, oder eine oberflächliche Verarbeitung anhand von Hinweisreizen und heuristischen Entscheidungsregeln, die eine Genese von eher instabilen, schwachen Einstellungen determiniert (vgl. Maio et al. 2019: 123-129). Die Entwicklung einer affektiven Einstellungskomponente kann vor dem Hintergrund einer evaluativen Konditionierung erklärt werden, indem durch wiederholte Darbietung eines Einstellungsobjekts dieses mit einem affektiven richtungsweisenden Stimulus verbunden ist, der folglich eine internalisierte affektive Reaktion evoziert und eine neue affektive Einstellungskomponente begründet (vgl. De Houver et al. 2001: 853 ff).

 

Mediale Konstruktion politischer Wirklichkeit

Die Verarbeitung politischer Informationen muss vor dem Hintergrund ihrer Kanalisierung gesehen werden, indem über die mediale Selektierung von Themen und Informationen eine politische Wirklichkeit konstruiert wird. Die Form und das Ausmaß jener medialen Einflüsse gründet auf dem Bedürfnis nach politischer Orientierung, das als Kombination der politischen Unsicherheit bezüglich der politischen Berichterstattung, die durch die Konsistenz und Stärke wahlrelevanter Einstellungen in der politischen Gedankenwelt bedingt ist, und der politischen Relevanz im Sinne eines Interesses an den im Wahlkampf medial diskutierten Themen definiert ist. Daraus resultieren vier Typen der Medienrezeption. Diejenigen Wähler mit einem hohen Bedürfnis nach Orientierung (hohe Unsicherheit/hohe Relevanz) zeichnet eine aktive Suche nach medialen Informationen aus, indem sie auf Basis dieser Informationen vor dem Hintergrund der hohen von Inkonsistenzen geprägten politischen Unsicherheit danach streben, korrekte Schlussfolgerungen aus der intensiven kognitiven Auseinandersetzung mit den politischen Sachverhalten zu ziehen. Daher nutzen sie horizontale traditionelle Medien, die jenen Wählern tiefergehende Informationen über eine wahlrelevante Themenagenda liefern, sodass der Rezipient durch die Salienz dieser medial selektierten und gewichteten Themen (1st Level Agenda Setting-Effekt) in der eigenen Prioritätensetzung politischer Sachverhalte so beeinflusst wird, dass daraufhin themenbezogene Erwägungen bzw. Einstellungen wahlentscheidend aktualisiert werden. Wähler mit einem moderat-aktiven Bedürfnis nach Orientierung (geringe Unsicherheit/hohe Relevanz) streben dagegen aufgrund einer stabilen Parteiidentifikation und der diesen zugrundeliegenden konsistenten Prädispositionen nach parteipolitisch konsistenten Informationen, sodass durch die Nutzung jener richtungspolitisch ausgerichteten horizontalen Medien diese Rezipienten vor allem dem Effekt des 2nd Level Agenda Settings unterliegen, indem nicht nur eine Selektion bestimmter Themen erfolgt, sondern auch dazugehörige wertende Vorstellungen über diese politischen Objekte salient gemacht werden, sodass jene Attribute schließlich in die objektbezogene Bewertungskonstruktion des Rezipienten eingehen. Die Wähler mit einem niedrigen Bedürfnis nach Orientierung (geringe Relevanz/hohe Unsicherheit bzw. geringe Unsicherheit) werden dagegen aufgrund ihrer passiven und unregelmäßigen Mediennutzung nur in begrenztem Maße von Agenda Setting-Effekten beeinflusst, sodass auf dieser Basis leicht verfügbarer Information aus jener sporadischen Mediennutzung eine Verfügbarkeitsverzerrung besteht (vgl. McCombs et al. 2014: 782 ff.).

Die Agenda Setting-Effekte bedeuten nicht bloß eine Übernahme der Hauptnachrichtenagenda vertikaler Medien bzw. der mit diesen verbundenen medial salient gemachten Attributen horizontaler Medien. Es erfolgt vielmehr über einen sozialen Vorgang die Konstruktion persönlicher Agenden-Gemeinschaften, die einen personalisierten Informationskosmos darstellen, in dem auf Basis vorhandener politischer Prädispositionen und Erfahrungen institutionelle vertikale Agenden mit politisch gefärbten Agenden der Referenzgemeinschaft verschmelzen, sodass ein persönlich zufriedenstellendes Bild der Wirklichkeit entsteht (vgl. McCombs et al. 2014: 782 ff.).

 

Das soziale Feld als Bedeutungsgenerator

Der Grad der Selektivität des Informationskosmos ist dabei durch soziale Referenzgruppen bedingt, die ein auf die unmittelbare Lebenswelt bezogenes Kommunikationsnetzwerk (vgl. Schmitt-Beck 1994: 178) darstellen. Dabei erfahren massenmediale Informationen erst durch die argumentative Auseinandersetzung innerhalb des Diskutantenzirkels eine Bedeutung, indem sie gruppenspezifische Interpretationsrahmen bereitstellen und folglich eine Bewertung über die Akzeptanz jener massenmedialen Inhalte evozieren (vgl. Merten 1994: 317). Insofern ist der Grad medialer Einflussnahme durch die Homogenität des sozialen Netzwerks bedingt. Die Einbettung in einem politisch homogenen sozialen Netzwerk bewirkt eine Verstärkung jener medialen Inhalte, die dem Netzwerkkonsens als sozialen Orientierungspunkt entsprechen. Zeitgleich besteht eine Resistenz gegenüber mit den geteilten Gruppennormen inkonsistenten Informationen (vgl. Katz/Lazarsfeld 1955: 44 f.). Ein mittelgroßer medialer Einfluss kann innerhalb eines politisch heterogenen sozialen Netzwerks bestehen, die vielfältige politische Standpunkte implizieren, die keinen eindeutigen Netzwerkkonsens als sozialen Bezugspunkt zulassen. Daraus folgt, dass Wähler bei rezipierten medialen Informationen geringere Diskrepanzen innerhalb des politischen Diskutantenzirkels erfahren, sodass eine Akzeptanz jeglicher richtungspolitischer Informationen erfolgen kann, die von einem Gesprächspartner des heterogenen sozialen Netzwerks bestätigt werden kann (Huckfeldt/Sprague 1995: 18-20, 45-55; Schmitt-Beck 2000: 98).

 

Vorstellung der empirischen Erhebung

Der theoretische Forschungsstand lässt bisweilen lediglich allgemein gültige Annahmen über die Beeinflussbarkeit von Wählern durch Informationen politischer Agendasetzungen zu. Um die Spezifika der beforschten Subjekte näher zu ergründen, wurde eine qualitative Forschungsmethode in Form von acht Leitfadeninterviews gewählt, sodass typische Fälle und den diesen kennzeichnenden Regeln eruiert werden können (vgl. Reichertz 2015: 279-281). Das Sampling erfolgte anhand eines Stichprobenplans, der die Interviewpartner anhand der Kriterien der politischen Involviertheit als Ausdruck einer kognitiven Auseinandersetzung mit politischen Sachverhalten und des Urbanisierungsgrades des Wohnortes, der auf typische sozialstrukturelle Merkmale und den Homogenisierungsgrad des Kommunikationsnetzwerkes hindeutet, selektierte (vgl. Merkens 2015: 291). Das den Interviewtexten unterstellte implizite Wissen wurde anhand des Codierparadigmas im Rahmen der Grounded Theory expliziert, indem zentrale Phänomene und das diesen zugrundeliegende Beziehungsgeflecht an Hauptkategorien erforscht wurden (vgl. Strauss/Corbin 1996: 94 ff; vgl. Soeffner 2004: 163 ff.).

 

Darstellung der qualitativen Ergebnisse

Die empirischen Ergebnisse konnten in Bezug auf die Beeinflussbarkeit der beforschten Subjekte durch kurzfristige Agenden politischer Akteure zwei grundlegende Phänomene eruieren. Das erste Phänomen kennzeichnet den Typen des informationsselektierenden Parteiwählers, das eine Filterung politischer Informationen aufgrund einer prägenden Primärsozialisation und politisch homogener Kommunikationsnetzwerke darstellt. Das zweite Phänomen des informationsbedürftigen Parteiwechslers stellt dagegen die demokratische Selbstermächtigung mit dem Ziel einer individualisierten Wahlentscheidung aufgrund heterogener Umweltbeziehungen und der Emanzipation aus tradierten Bindungen dar. Demnach determiniert der Homogenisierungsgrad des politischen Kommunikationsnetzwerkes die Konsistenz und Stärke politischer Prädispositionen, der im Falle des informationsselektierenden Wählers eine stabile politische Grundorientierung und Parteiidentifikation evoziert. Dagegen kennzeichnet die informationsbedürftigen Parteiwechsler labile bzw. inkonsistente Prädispositionen mit keiner klaren politischen Grundorientierung. Daraus resultiert ein Bedürfnis nach Orientierung auf Seiten des informationsselektierenden Parteiwählers, das davon geprägt ist, über parteipolitisch gefärbte Medien innerhalb eines selektiven Informationskosmos politische Informationen zu rezipieren. Das Bedürfnis nach politischer Orientierung der informationsbedürftigen Parteiwechsler ist dahingehend durch einen richtungspolitisch offenen Informationskosmos charakterisiert, der vor allem in der massenmedialen Informationsvielfalt traditioneller Nachrichtenportale begriffen ist, aber auch parteipolitische Kanäle beinhaltet.

Aus der selektiven Informationsverarbeitung der informationsselektierenden Parteiwähler resultiert demnach über einen parteipolitisch gefärbten Informationsmix die Rezeption einstellungskongruenter Informationen. Des Weiteren ist der Netzwerkkonsens des politisch homogenen Diskutantenzirkels als sozialer Orientierungspunkt die zentrale Determinante bei der Filterung wahlentscheidender Themen und Informationen. Die Suche nach politischen Informationen der Stammpartei im Wahlkontext wird darüber hinaus von geringer involvierten Wählern zum Zwecke der Vergewisserung bezüglich der Konsistenz zwischen der Parteiprogrammatik und den eigenen Prädispositionen betrieben. Die Wahrnehmung widerstrebender Argumente und Meinungen außerhalb des selektiven Informationskosmos, vor allem über vertikale Medien, führt schließlich zu einer motivierten Informationsverarbeitung, indem hohe Resistenzen gegenüber inkongruenten Informationen bestehen, die zu einer intensiven Überprüfung jener gegenteiligen Argumente führen, die in einer einstellungskongruenten Bekräftigung der politischen Grundorientierung münden. Dies charakterisiert die Immunität gegenüber kurzfristigen persuasiven Einflüssen politischer Agenden, indem diese vielmehr zur Aktivierung und Verstärkung bestehender konsistenter Prädispositionen beitragen und eine Mobilisierung zugunsten der Stammpartei induzieren.

Dagegen ist bei den informationsbedürftigen Parteiwechslern eine Kaskade der aktiven Informationsbeschaffung zu konstatieren, indem zunächst eine intensive Verfolgung politischer Berichterstattung über Nachrichtenportale traditioneller Massenmedien erfolgt, die auf Basis der Medienagenda zur Eruierung wahlentscheidender Themen führt. Daraufhin erfolgt die Suche nach parteipolitischen Positionierungen, die entweder zur Herauskristallisierung einer ideologischen Grundorientierung zugunsten eines Parteienlagers und der Wahrnehmung diesbezüglicher programmatischer Indifferenzen führt oder über ein negatives Selektionsverfahren ein Gefühl der Überforderung aufgrund starker Ambivalenzen evoziert. Daraus resultiert eine späte Wahlentscheidung auf Basis der Salienz und Verfügbarkeit wahlrelevanter Issues, die eine Sensibilität für kurzfristige politische Agenden begründen, indem diese jene starken Indifferenzen und Ambivalenzen richtungsweisend auflösen.

Des Weiteren sind zwei Zwischentypen zu konstatieren. Der informationsselektierende Zauderer innerhalb desselben Parteienlagers weist im Wesentlichen zentrale Merkmale des informationsselektierenden Parteiwählers auf. Allerdings unterschiedet sich dieser Typ in der affektiven Bindung zu einer Stammpartei, indem er zwar eine stabile ideologische Grundorientierung aufweist, die allerdings die Präferenz für mehrere Parteien desselben Lagers impliziert. Dahingehende Indifferenzen werden daher durch die Salienz von wahlrelevanten Issues, die den politischen Agendasetzungen der präferierten Parteien entspringen, über horizontal ideologisch gefärbte Medien wahrgenommen und zugunsten einer Partei wahlentscheidend aufgelöst. Der hadernde Parteiwähler stellt dagegen einen Transformationstypus dar, indem zentrale Charakteristika zugunsten des informationsbedürftigen Parteiwechslers im Wandel begriffen sind, ihn allerdings die Konsistenz mit dem bislang prägenden sozialen Kommunikationsnetzwerk als sozialen Orientierung davon abhält, eine selbstermächtigende Individualisierung des Wahlverhaltens in die Tat umzusetzen.

 

Kritische Reflexion der empirischen Erhebung

Im Forschungsprozess der empirischen Erhebung wurde offenkundig, dass der in der Forschungsliteratur nicht näher betrachtete Individualisierungsprozess der Wahlentscheidung als Ausfluss demokratischer Selbstermächtigung weiter beforscht werden sollte, da es sich um ein zentrales Phänomen dieser Wählergruppe handelt. Der Wechsel zwischen dem Ort der Primärsozialisation in ein urbaneres Umfeld kann den Auslöser des Prozesses darstellen, indem heterogene Umweltbeziehungen mit widerstrebenden Meinungen bestehen, die alle Interviewpartner dieses Typs gemein haben. Jedoch sollte dieser Erklärungsansatz um eine vertiefende qualitative Untersuchung des Individualisierungsprozesses erweitert werden. Ebenso sollte der prägende Prozess der Primärsozialisation als Begründung einer langfristigen Parteiidentifikation einer tiefergehenden Ergründung unterzogen werden. Denn jenes Primärumfeld kann selbst bei heterogenen urbanen Umwelteinflüssen zu einer Aufrechterhaltung eines politisch homogenen Diskutantennetzwerks und der damit verbundenen affektiven Parteibindung beitragen.

Hinsichtlich des Samplings ist auffallend, dass sich die beforschten Subjekte in dieser empirischen Erhebung in der politischen Involvierung nicht wesentlich voneinander unterschieden haben. Trotz vorheriger Selbsteinschätzung bleibt zu konstatieren, dass im hohen Bildungsgrad der ausgewählten Interviewpartner und ihrer kognitiven Ressourcen der Grund dieser relativ hohen politischen Involvierung zu finden ist. Eine weitere limitierende Aussage kann der räumlichen Differenzierung des Samplings unterstellt werden, indem jene Interviewpartner des als ländlich definierten Raums eine äußerst gute soziale und infrastrukturelle Anbindung an die angrenzenden Metropolen aufwiesen, sodass sich das soziale Umfeld heterogener gestaltete als innerhalb ländlicher Räume, die keine derartige geografische Lage inmitten einer Metropolregion aufweisen. Darüber hinaus kann diese empirische Erhebung nur den Anfang einer tiefergehenden Ergründung der wahlentscheidenden Beeinflussbarkeit der beforschten Subjekte durch politische Agendasetzungen darstellen. Denn auf Basis der begrenzten Fallzahl dieser empirischen Erhebung bieten sich weitere vertiefende Interviews an, um die spezifischen Charakteristika facettenreicher zu eruieren, und anhand quantitativer Erhebungen zu falsifizieren. Dabei wird vorgeschlagen, auf Basis eines Paneldesigns im spezifischen Wahlkontext regelmäßig Vorwahlbefragungen sowie eine Nachwahlbefragung durchzuführen, um schließlich dem verzerrenden Effekt dieser empirischen Erhebung entgegen zu wirken, der in Erinnerungsfragen zu wahlspezifischen Einflüssen begründet ist, die mehrere Monate zurücklagen.

 

Fazit: Ein theoretisches Konstrukt zur Beeinflussbarkeit der Wählergruppe U30 durch politische Agenden

 Gegenstand dieser Arbeit war die Ergründung der Fragestellung, inwieweit die Wahlberechtigten unter 30 Jahren Informationen einer politischen Agenda von Themen und wertenden politischen Vorstellungen für glaubwürdig erachten und daraus wahlrelevante Implikationen ableiten. Eine zusammenhängende kritische Betrachtung der dargelegten Forschungsliteratur sowie der empirischen Erkenntnisse ergibt ein Konstrukt, das in Bezug zur Forschungsfrage von einer Bestätigung zentraler theoretischer Annahmen geprägt ist, jedoch um entscheidende Spezifika der beforschten Subjekte konkretisiert wurde.

 

„Sage mir, mit wem Du umgehst, so sage ich Dir, wer Du bist“ (Goethe 2019: 221) – die Prägekraft des sozialen Feldes

Der Einfluss politischer Agendasetzungen der für einen politischen Akteur vorteilhaften Issues und Attribute auf das Wahlverhalten jener jungen Wähler muss zunächst vor dem Hintergrund der sozialstrukturellen Merkmale sowie des sozialen Umfeldes gesehen werden. Dabei hat die empirische Untersuchung zutage befördert, dass vor allem eine starke politisch konsistente Primärsozialisation Ausgangspunkt einer stabilen affektiven Parteibindung ist, die fortan – trotz möglicher heterogener Umwelteinflüsse – die Aufrechterhaltung eines politisch homogenen sozialen Netzwerkes als sozialen Orientierungspunkt begründet. Dies führt zu einer Homogenität der politischen Gedankenwelt, indem eine Vielzahl an politisch konsistenten affektiven und kognitiven Einstellungskomponenten zu politischen Objekten bestehen, die in eben jener langfristigen Parteiidentifikation münden sowie eine stabile ideologische Grundhaltung implizieren. Somit führt ein sozial induzierter Vorgang zu einer Konstruktion eines politisch kongruenten Weltbildes, das aufgrund seiner kohärenten richtungspolitischen Deutungsmuster in sich geschlossen ist. Aufgrund dieser politischen Sicherheit in Bezug auf die politische Realität erfolgt eine Filterung politischer Informationen, indem ein personalisierter Informationskosmos geschaffen wird, der dem Bild jener sozial konstruierten politischen Wirklichkeit entspricht.

Das Bedürfnis nach politischer Orientierung ist dabei vor allem von einer hohen politischen Relevanz in Bezug auf politisch gefärbte Themen und konsistent wertende Vorstellungen geprägt. Daher kann konstatiert werden, dass jenen beforschten Subjekten eine hohe politische Involvierung in Bezug auf politisch kongruenten Informationen horizontaler Medien unterstellt werden kann. Eine theoretisch aufgezeigte von politischem Desinteresse geprägten passiven Mediennutzung innerhalb jenes personalisierten Informationskosmos, die eine Wahlentscheidung auf Basis der Verfügbarkeit zufällig rezipierter politisch gefärbter Informationen induziert, kann hinsichtlich der beforschten Subjekte nicht bestätigt werden. Infolgedessen erfahren Informationen, die dem Agenda-Setting des politischen Akteurs entspringen, dann eine Aufmerksamkeit, wenn sie der sozial konstruierten politischen Wirklichkeit mit ihren kohärenten Deutungsmustern entsprechen. Daher dominiert die Nutzung horizontaler politisch gefärbter Medien, die zu einem starken medialen Einfluss führen, indem die mit dem Netzwerkskonsens als sozialen Orientierungspunkt konsistenten salienten Issues (1st Level Agenda-Setting) und Attributen (2nd Level Agenda-Setting) der politischen Agenda der Stammpartei zur Bewertungskonstruktion wahlrelevanter politischer Objekte herangezogen werden und folglich in einer Wahlentscheidung zugunsten der Stammpartei münden. Dabei erfolgt eine hohe kognitive Auseinandersetzung mit jenen medial präsenten parteipolitisch gefärbten Themen und Deutungsmustern, die zur Genese neuer starker Überzeugungen oder zur Verstärkung bestehender Überzeugungen führt. Des Weiteren kann eine positiv affektive Reaktion auf diese parteipolitischen Inhalte erfolgen, indem sie aufgrund bestehender Einstellungen zur affektiven Aufladung wahlrelevanter Objekte führt oder in Form einer evaluativen Konditionierung neue affektive Einstellungskomponenten zu politischen Objekten hervorbringt. Entscheidend ist, dass der politische Akteur über eine Agendasetzung themenspezifischer wertender Vorstellungen wahlrelevante starke kognitive und affektive Einstellungskomponenten aktualisieren bzw. deren Genese innerhalb der politisch kongruenten Gedankenwelt begünstigen kann. Folglich führt die synergetische Beziehung von affektiven und kognitiven Einstellungskomponenten zu einer Konstruktion der Wahlentscheidung, die auf Basis des Primings auf politisch konsistente wahlrelevante Issues und Framings in Form richtungspolitischer Interpretationsrahmen zu einer Mobilisierung für die Stammpartei führt, da jene Informationen aufgrund der Übereinstimmung mit der sozial konstruierten politischen Wirklichkeit als äußerst glaubwürdig bewertet werden.

Diese informationsselektierenden Parteiwähler nehmen dabei über ihren selektiven Informationskosmos – entgegen der theoretischen Annahmen, dass eine selektive Wahrnehmung kongruenter Information besteht – durchaus widerstrebende Argumente, vor allem über vertikale traditionelle Medien, wahr. Allerdings führen jene inkonsistenten Informationen zu einem erhöhten kognitiven Aufwand, diese auf Basis einer weitergehenden Informierung über politisch gefärbte Medien zu entkräften, um schließlich eine im Sinne des Netzwerkkonsenses kongruente Einstellung zu jenem medial präsenten politischen Objekt zu bekräftigen. Des Weiteren besteht bei dem informationsselektierenden Parteiwähler, der sich vor allem im Wahlkontext durch eine aktive politische Involvierung auszeichnet, das Bedürfnis nach einer Vergewisserung bezüglich der Konsistenz zwischen der Parteiprogrammatik und den eigenen politischen Prädispositionen, weswegen eine aktive Suche innerhalb parteipolitisch gefärbter Medien stattfindet. Der Zauderer innerhalb desselben politischen Lagers gleicht jenem informationsselektierenden Parteiwähler in zentralen Charakteristika. Doch seine politische Gedankenwelt ist von objektbezogenen Einstellungskomponenten gekennzeichnet, die zwar eine klare ideologische Grundorientierung aufzeigen, aber aufgrund einer fehlenden affektiven Parteibindung im Zuge einer prägenden Primärsozialisation die Wahrnehmung programmatischer Indifferenzen zwischen Parteien desselben politischen Lagers evozieren. Daher wird jene Konstruktion der Wahlentscheidung aufgrund der Salienz von Issues der kurzfristigen politischen Agenden der präferierten Parteien desselben Lagers getroffen, zu denen jener Wähler die stärksten issue-bezogenen Einstellungskomponenten aufweist.

 

„Wer geboren werden will, muss eine Welt zerstören“ (Hesse 1974: 107) – die Wahlentscheidung als Akt demokratischer Selbstermächtigung

Dagegen muss bei dem Typus des informationsbedürftigen Parteiwechslers die Beeinflussbarkeit durch Informationen politischer Agendasetzung vor dem Hintergrund sozialstruktureller Merkmale und widerstrebender Meinungen innerhalb seines heterogenen politischen Netzwerks betrachtet werden. Dabei konkretisieren die empirischen Forschungsergebnisse jene theoretische Annahme, indem im politischen Leben der beforschten Subjekte ein Umbruch stattfinden kann, der von der Heterogenisierung des sozialen Umfeldes geprägt ist. Ein derartiger Umbruch manifestiert sich durch verstärkte Einflüsse von kosmopolitischen Werten im urbanen Umfeld, die in Widerspruch zu eben jenen kommunitaristischen Werten der homogenen Primärsozialisation im eher ländlichen Raum stehen. Dieser Konflikt ist daher durch sozialstrukturelle Merkmale geprägt, indem der informationsbedürftige Wähler der neuen Mittelklasse zuzuordnen ist, jedoch sein bislang prägendes Primärumfeld der alten Mittelklasse nahe steht. Aufgrund dessen besteht die politische Gedankenwelt aus inkonsistenten politischen Einstellungskomponenten, die ein ambivalentes und von Unsicherheit geprägtes politisches Weltbild begründen. Aufgrund des fehlenden sozialen Orientierungspunkts in Form eines Netzwerkkonsenses erwächst das Bedürfnis nach politischer Orientierung in Gestalt einer demokratischen Selbstermächtigung.

Daher erfolgt aufgrund der widerstrebenden sozialen Umwelteinflüsse eine Emanzipation aus jenen tradierten sozialen Bindungen, wie das bekannte Zitat Hermann Hesses metaphorisch treffend beschreibt: “Der Vogel kämpft sich aus dem Ei. Das Ei ist die Welt. Wer geboren werden will, muss eine Welt zerstören” (Hesse 1974: 107). Nicht das soziale Umfeld soll über die politische Wirklichkeit bestimmen, in dem er lebt, sondern er selber will seine eigene politische Realität erschaffen. Daraus folgt eine hohe politische Involvierung, indem er die Individualisierung der Wahlentscheidung über eine korrekte Schlussfolgerung aus politischen Informationen erreichen will. Dies impliziert einen zunächst offenen Informationsprozess, der durch eine Kaskade aktiver Informationssuche gekennzeichnet ist und somit die theoretischen Annahmen grundlegend erweitert. Der informationsbedürftige Parteiwechsler informiert sich zunächst anhand der Hauptnachrichtenagenda der vertikalen traditionellen Medien vertiefend über wahlrelevante Issues, indem eine hohe kognitive Auseinandersetzung mit jenen selektierten politischen Sachverhalten erfolgt. Im Zuge dessen wird ein 1st Level Agenda-Setting Effekt offenkundig, indem jenes beforschte Subjekt auf wahlentscheidende politische Themen medial geprimed wird. Im Folgenden erfährt das theoretische Konstrukt eine grundlegende Erweiterung. Denn eine Wahlentscheidung wird nicht nur auf Basis salienter Informationen der vertikalen Medien getroffen, vielmehr erfolgt eine aktive Suche nach parteipolitischen Positionierungen über politisch gefärbte horizontale Medien. Dabei nehmen sie die Salienz jener wertenden Vorstellungen der politischen Agendasetzungen der richtungspolitisch divergenten Akteure zu den als wahlrelevant eruierten Themen wahr. Insbesondere die affektive Aufladung politisch wahlrelevanter Objekte wird offenkundig, die auf kosmopolitischen Einstellungskomponenten gründen. Gleichzeitig besteht aber auch eine hohe kognitive Auseinandersetzung mit den issue-bezogenen divergierenden Argumenten, die in der Bildung starker Überzeugungen münden. Daraus folgt entweder ein negatives Selektionsverfahren, das aufgrund des ambivalenten Weltbildes zur Überforderung führt oder eine Herauskristallisierung einer ideologischen Grundorientierung wird evoziert. Letzteres begründet eine Konstruktion einer ideologisch konsistenten politischen Realität, die fortan als Orientierungspunkt für die Bewertung glaubwürdiger Informationen dient und somit die Schaffung eines selektiven Informationskosmos erzeugt. Dabei wird allerdings auch ersichtlich, dass der individuell erscheinende Konstruktionsprozess maßgeblich durch sozialstrukturelle Merkmale und ein prägendes kosmopolitisches Umfeld bestimmt ist. Dennoch begründen diese Einflüsse lediglich die Wahl eines Parteienlagers, die der sozial konstruierten politischen Wirklichkeit entsprechen. Daher entscheidet letzten Endes bei den informationsbedürftigen Parteiwechslern die Salienz wahlrelevanter Issues und Attribute kurz vor der Wahl, welche issue-bezogenen Einstellungskomponenten zur Konstruktion der Wahlentscheidung herangezogen werden. Dabei werden die informationsbedürftigen Parteiwechsler mit einer ideologischen Grundorientierung eher saliente Issues wahrnehmen, die jenem im Verlaufe des Wahlkampfes konstruierten ideologischen Weltbild entsprechen. Daher erwächst bei diesen Wählern die Möglichkeit, über die stärkere Aufmerksamkeit für horizontale Medien durch eine politische Agendasetzung parteipolitischer Issues und wertender Vorstellungen jene Indifferenzen zwischen den Parteien desselben Lagers richtungsweisend aufzulösen. Die Ambivalenzen der informationsbedürftigen Wähler, die ein negatives Selektionsverfahren durchgeführt haben, werden dagegen eher durch die Hauptnachrichtenagenda der vertikalen Medien kurz vor der Wahl aufgelöst, die die issue-bezogenen Einstellungskomponenten aktualisieren. Der Transformationstypus des hadernden Parteiwählers deckte im Forschungsprozess insbesondere jene in der Forschungsliteratur nicht näher erläuterten Individualisierungstendenzen der beforschten Subjekte auf, indem dieser im Wandel begriffen ist, jedoch aufgrund des bisher prägenden Primärumfelds die demokratische Selbstermächtigung bei der betrachteten Wahl nicht vollendet. Aufgrund der Forschungslücke hinsichtlich dieses zentralen Phänomens des Wahlverhaltens der beforschten Subjekte sollte im weiteren Forschungsprozess eine differenziertere Betrachtung erfolgen, da in dieser Arbeit aufgrund jenes Literaturstudiums lediglich erste empirische Ansätze eruiert werden konnten.

 

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