Anna-Lena Osthus: „Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt “– Eine empirische Untersuchung der Vereinigung linker und rechter Verschwörungstheoretiker/innen in Zeiten der Corona Pandemie.

Im Zuge der weltweiten Corona Pandemie ist ein starker Anstieg von Verschwörungstheorien zu beobachten. Ihren Ausdruck finden diese auf den Hygiene-Demonstrationen, bei denen linke und rechte Verschwörungstheoretiker/innen, Impfgegner, aber auch Rechtsextreme und Esoteriker/innen nebeneinander gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung demonstrieren. Die Corona Pandemie trifft auf die Gesellschaft der Spätmoderne, die im Zuge der Überdynamisierungskrise von einem Anstieg des Bewusstseins der Kontingenz, Angst und Unsicherheit geprägt ist. Durch die Pandemie werden Gefühle der Angst, Unsicherheit und des Kontrollverlusts offenkundig gesteigert. Bestehende Konflikte und Krisen werden in der Corona Pandemie sichtbar und finden ihren Ausdruck unter anderem in den Zusammenkünften auf den Hygiene-Demonstrationen.

Vor diesem Hintergrund soll im Rahmen einer qualitativen Studie untersucht werden, inwiefern Verschwörungstheorien über das Corona Virus linke und rechte Gruppierungen in Zeiten des Paradigmenwechsels vereinen. Eine zentrale Frage dabei ist, inwiefern linke und rechte Verschwörungstheoretiker/innen gemeinsame Motive teilen. Weiterführende Erkenntnisse ergeben sich aus den differenzierenden Merkmalen zwischen linken und rechten Verschwörungstheoretiker/innen. Da es sich bei der Bewegung von Verschwörungstheoretiker/innen, um ein aktuelles Thema handelt, liefern die Ergebnisse erste Erkenntnisse über die Gefahren, die mit dieser Bewegung für die Gesellschaft einhergehen. Eine genaue Einordnung, ob sich die Bewegung langfristig zu einer (rechts-)populistischen Bewegung oder sogar radikalisierten Bewegung entwickelt, kann zu diesem Zeitpunkt nicht beantwortet werden. Es zeigt sich die Gefahr, dass Verschwörungstheorien die politische Entfremdung vorantreiben und folglich die Ansprache dieser Zielgruppe für populistische Parteien oder Bewegungen erleichtert.

Die Corona Krise trifft auf eine Gesellschaft, die bereits von einem erhöhten Bewusstsein der Kontingenz und einer damit einhergehenden Verunsicherung geprägt ist (vgl. Reckwitz 2019: 248). Der seit 40 Jahren vorherrschende Liberalismus, der die Politik und folglich gesellschaftliche Ordnung prägt, ist seit 2010 in einer grundlegenden politischen Krise. Als Symptom dieser Krise lässt sich seit einigen Jahren eine Bewegung des Populismus beobachten, die sich gegen die „liberale Funktionselite“ richtet (vgl. Reckwitz 2019: 199). Diese Bewegung benötigt einen neuen Erklärungsansatz, da sie sich nicht mehr nachdem gewohnten Links-rechts-Schema einordnen lässt (vgl. Reckwitz 2019: 219). Andreas Reckwitz stellt hierfür die These auf, dass ein politisches Paradigma unterhalb der Links-rechts Unterscheidung existiert. Dieses prägt den Diskurs in der Gesellschaft für einige Jahrzehnte, bis es für die existierenden Probleme innerhalb einer Gesellschaft keine geeigneten Lösungen mehr bereitstellt. Es folgt ein politischer Paradigmenwechsel. Das nun seit 1980 vorherrschende Dynamisierungsparadigma ist seit 2010 in der Krise und führt zunehmend zu „sozioökonomischen, soziokulturellen und demokratiepraktischen Problemen“ (vgl. Reckwitz 2019: 208). Damit einhergehend ergibt sich eine Krise der Überdynamisierung, die eine Kontingente Weltsicht eröffnet und zunehmend mit Angst und Unsicherheit in der Bevölkerung einhergeht. Diese Krise ergibt sich laut Reckwitz aus einem „Mangel an kultureller Regulierung“ (vgl. Reckwitz 2019: 231). Genau an diesem Punkt setzt die Bewegung des Populismus an. Der Populismus hat die Krise des Liberalismus erkannt und propagiert ein entsprechend konträres Gegenprogramm (vgl. Reckwitz 2019: 258). Es ist zu erwarten, dass auf die Krise des Dynamisierungsparadigmas, ein Regulierungsparadigma folgen wird (vgl. Reckwitz 2019: 228). Die Frage ist, handelt es sich bei der Bewegung von linken und rechten Verschwörungstheoretikern, um eine Gruppierung, die ähnlich wie die Bewegung des Populismus aus Gefühlen der Angst, Frustration und Unsicherheit im Zuge des Paradigmenwechsels entstanden ist?

Sichtbar wird die Bewegung von linken und rechten Verschwörungstheoretikern durch die Zusammenkunft heterogener Gruppen auf den sogenannten Hygiene-Demos. Dieses neue Phänomen wurde bislang noch nicht wissenschaftlich erforscht. Es gibt keine soziologischen oder psychologischen Ansätze, die die Motive für den gemeinsamen Glauben an Verschwörungstheorien in Zeiten der Corona Pandemie in Bezug auf die politische Haltung genauer untersuchen. Expertenmeinungen, ob es sich bei der Bewegung von Verschwörungstheoretikern um eine langfristige Bewegung handelt oder eine kurzfristige Erscheinung handelt gehen auseinander. Experten wie Matthias Quent, Soziologe und Extremismus forscher, sieht die Gefahr einer weiteren Radikalisierung der Bewegung in Zeiten der Corona Pandemie (vgl. Flade et al., 2020), während Protestforscher wie Dieter Rucht davon ausgehen, dass es sich um eine eher kurzfristige Bewegung handelt, die sich allein durch ihre Unzufriedenheit vereinen (vgl. Meier, 2020). Die Beantwortung der Forschungsfrage soll am Ende der Masterarbeit einen wissenschaftlichen Erklärungsansatz für dieses Phänomen darlegen.

Grundsätzlich ist mit der Corona Pandemie ein erheblicher Anstieg der Verbreitung von Verschwörungstheorien zu beobachten. Ereignisse aus der Vergangenheit, wie der 11. September oder auch die spanische Grippe zeigen – „Krisenzeiten sind Verschwörungszeiten“  (vgl. Wippermann 2007: 160).

Die Anhänger verschiedener Verschwörungstheorien versammeln sich in Zeiten der Corona Pandemie auf Hygiene-Demos oder auf verschiedenen Social Media Plattformen, um gemeinsam gegen die Maßnahmen der Regierung zur Eindämmung der Corona Pandemie zu demonstrieren und Verschwörungstheorien weiter zu verbreiten (Vgl. Soldt, 2020). Es lässt sich ein Phänomen beobachten, bei denen sich Anhänger von Verschwörungstheorien mit konträren politischen Haltungen versammeln. Der sich demokratisch nennende Widerstand in Deutschland wächst spürbar. Die Proteste richten sich gegen die vom Staat initiierten Maßnahmen der Maskenpflicht, des angeblichen Impfzwangs und Versammlungsverbots. Die Demonstranten propagieren einen Verrat am Grundgesetz und rufen dazu auf gemeinsam gegen den autoritären und demokratiefeindlichen Staat in Deutschland zu demonstrieren (vgl. Betz, 2020). Doch was genau vereint diese unterschiedlichen politischen Lager von rechts und links, dass die Antipathie, die sie füreinander hegen, in den Hintergrund rücken lässt? Daraus ergibt sich die nachfolgende Forschungsfrage, die handlungsleitend für die Erläuterung der theoretischen Grundlagen und der nachfolgenden qualitativen Studie ist.

Problemstellung – droht ein Anstieg des Populismus?

Die Corona Pandemie führt zu radikalen Veränderungen für die gesamte Weltbevölkerung. Das Corona Virus stellt eine lebensbedrohliche Gefahr dar, die zu Angst und Unsicherheit in der Bevölkerung führt. Die Zukunft scheint ungewiss, da die Auswirkungen und Konsequenzen noch nicht umfassend erforscht sind. Täglich informieren die Medien über neue Erkenntnisse oder Entwicklungen im Zusammenhang mit der Corona Pandemie und die Corona-Maßnahmen, die mit persönlichen Einschränkungen der Bevölkerung einhergehen. Die Suche nach einem Schuldigen gestaltet sich im Zuge eines unsichtbaren Virus schwierig. Fragen bleiben offen, auf die es keine geeigneten Antworten gibt (vgl. Bpb, 2020). Ein fehlendes Sortierschema führt dazu, dass die Krise für einige Menschen und die damit einhergehenden Gefühle von Unsicherheit und Ungewissheit nur schwer verarbeitet werden können. Im Zuge der Überdynamisierungskrise, wie sie nach Andreas Reckwitz seit 2010 deutlich wird, ist die Gesellschaft bereits vor der Corona Pandemie mit sozioökonomischen, soziokulturellen und demokratiepraktischen Problemen vorbelastet. Die Pandemie trifft folglich auf eine Gesellschaft, die bereits von Unsicherheit und Orientierungslosigkeit geprägt ist. Dort setzen Erklärungsmuster von Verschwörungstheorien an. Verschwörungstheoretiker/innen in Zeiten der Corona Pandemie präsentieren einen Schuldigen (vgl. Assheuer 2020: 2). Sie finden sich auf den Hygiene-Demonstrationen mit Impfgegnern, Esoterikern, aber auch Rechtsextremen und Linksextremen zusammen. Diese heterogene Gruppierung wird in den Medien als ein neues Phänomen beschrieben (vgl. deutschlandfunk, 2020).

Im Verlauf der Arbeit soll dieses Phänomen näher untersucht werden unter Berücksichtigung der Forschungsfrage: Inwiefern und in welcher Form vereinen Verschwörungstheorien über das Corona Virus Linke- und Rechte Gruppierungen in der Zeit des Paradigmenwechsels?

Begriffsbestimmung Verschwörungstheorien

Die Ausführungen zeigen, dass eine genaue Definition des Begriffs der Verschwörungstheorie schwierig ist. Eine Problematik für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Verschwörungstheorien ergibt sich aus dem Stigma und folglich einer negativen Konnotation des Begriffs der Verschwörungstheorie. Das negative Stigma des Begriffs der Verschwörungstheorie kann jedoch in einer relationalen Betrachtungsweise zwischen heterodoxen Verschwörungstheorien und orthodoxen Verschwörungstheorien in der Gesellschaft relativiert werden. Für eine genaue Einordnung, ob es sich um eine Verschwörungstheorie handelt oder nicht, ist eine inhaltliche Betrachtung des Grundmusters von Verschwörungstheorien unumgänglich (vgl. Anton et al. 2014: 14).

Unter Annahme der vorherigen Ausführungen wird der Begriff der Verschwörungstheorie für den weiteren Verlauf unter den nachfolgenden Annahmen verwendet: Der Begriff der „Verschwörungstheorie“ ist ein gesellschaftliches Konstrukt, dass innerhalb des gesellschaftlichen Diskurses bestimmt wurde, um auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe zu verweisen, die heterodoxe Ansichten teilt und davon überzeugt ist, dass Ereignisse auf einen geheimen Plan einer Gruppierung zurückzuführen sind, die sich verschworen hat, um ihre Macht auszuweiten oder zu festigen (vgl. In Anlehnung an Butter 2018: 30ff.).

Verschwörungstheorien – Orientierungshelfer in einer zunehmend komplexen Gesellschaft?

Die Motive für den Glauben an Verschwörungstheorien ergeben sich aus den Forschungsfeldern der Sozialpsychologie, Soziologie und Politik. Es zeigt sich „Krisenzeiten sind Verschwörungszeiten“ (vgl. Wippermann 2007: 160). Das Erleben eines Kontrollverlustes in Krisenzeiten geht einher mit Unsicherheit und erhöht die Wahrscheinlichkeit für den Glauben an Verschwörungstheorien, die ein komplexitätsreduzierendes Sortierschema darbieten, um negative Gefühle und Erfahrungen einfacher zu bewältigen (vgl. Assheuer 2020: 2). Das Bewusstsein der Kontingenz kann im Zuge des Glaubens an Verschwörungstheorien verdrängt werden kann (vgl. Baumann 1992: 45). Darüber können Verschwörungstheorien ein Ausdruck der Individualität sein. Der Glaube an Verschwörungstheorien bietet ein Differenzierungsmerkmal, dass die Individualität und das Besondere der Person anzeigt (vgl. Lutter 2001: 39). Es zeigt sich, dass die politische Entfremdung mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für den Glauben an Verschwörungstheorien einhergeht (vgl. Korzeniowski 2001: 157). Gefühle der Ohnmacht und des Kontrollverlustes, wie sie im Zuge einer fatalistischen Weltanschauung erlebt werden, führen zu konspiratorischen Denkmustern (vgl. Metzner 2000: 232).

Warum haben Verschwörungstheorien in Zeiten der Corona Pandemie Hochkonjunktur?

Bei der Corona Pandemie existieren verschiedene Verschwörungstheorien darüber, wie das Corona Virus entstanden ist, woher es kommt und worum es sich bei dem Virus handelt (vgl. Meyer & Spickschen, 2020). Ein Erklärungsansatz warum Verschwörungstheorien in Zeiten der Corona Pandemie Hochkonjunktur haben, bietet der Zusammenhang zwischen der Politischen Entscheidungsfindung und des Bewusstseins der Kontingenz. Das Erleben von Kontingenz ist ein Phänomen der Moderne und beschreibt die generelle Erfahrung von Offenheit und Unsicherheit über die Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Nach Niklas Luhmann handelt es sich bei dem Begriff der Kontingenz um … „etwas, was weder notwendig noch unmöglich ist; was also so, wie es ist (war, sein wird), sein kann, aber auch anders möglich ist “ (vgl. Luhmann 1984: 153). Das bereits bestehende Bewusstsein der Kontingenz in der modernen Wissensgesellschaft erhöht sich durch die „Politisierung der Wissenschaft“ (vgl. Geis 2012: 143 ff.) und bietet folglich einen Erklärungsansatz für die starke Verbreitung kontingenzverdrängender Verschwörungstheorien in Zeiten der Corona Pandemie (vgl. Geis 2012: 143 ff.). Den zentralen Katalysator für diese schnelle Verbreitung bieten die sozialen Medien. Die primäre Nutzung von sozialen Medien für die Informationsbeschaffung, begünstigen die Entstehung von Filter Bubbles und Echo Chambers. Filter Bubbles (dt. Filterblasen) existieren in den sozialen Netzwerken und beschreibenden Effekt, dass Nutzer/innen primär personalisierte Informationen angezeigt werden. Aufgrund dieses Effekts sehen Nutzer/innen hauptsächlich Nachrichten, die ihren Ansichten entsprechen und nicht widersprechen. Ein dahinterliegender Algorithmus entscheidet aufgrund vorhergehender Verhaltensweisen, welche Nachrichten und Informationen einer Person angezeigt werden sollen (vgl. Messingschlager & Holtz 2020: 94). Ein „verzerrtes Bild der Wirklichkeit“ (vgl. Messingschlager & Holtz 2020: 91) erzeugen auch „Echo Chambers“. Dieser Effekt beschreibt, dass die Ebene der „potenziellen Informationen“ bereits durch die Kontakte innerhalb des sozialen Netzwerks vorgefiltert und beeinflusst wird und damit die Ansichten der Nutzer/innen maßgeblich geprägt. Nutzer/innen neigen dazu sich mit Kontakten zu verbinden, die ähnliche Ansichten vertreten. Meinungen, die den eigenen Ansichten widersprechen könnten, werden Nutzer/innen folglich meistens gar nicht erst angezeigt (vgl. Flaxman et al. 2016: 298 ff.). Durch die Wirkung von Filter Bubbles und Echo Chambers in den sozialen Netzwerken, werden die Ansichten von Verschwörungstheoretiker/innen radikalisiert, da widersprüchliche Meinungen den Nutzer/innen nur noch selten bis gar nicht angezeigt werden (vgl. Messingschlager & Holtz 2020 :91).

Hat das politische Links-Rechts Schema ausgedient?

Die Ausführungen über die linke und rechte Identität zeigen, dass gerade die linke politische Orientierung in der modernen Gesellschaft schwer zu definieren ist. Die Identität des „Links Seins“ ist zunehmend dynamisch geworden und nicht mehr eindeutig an spezifische Meinungen oder Überzeugungen gebunden (vgl. Matuschek et al. 2011: 251). Die Studie zeigt, dass die ursprüngliche Kritik des Neoliberalismus zunehmend Anerkennung durch die Linke erhält und dass eine ablehnende Haltung gegenüber spezifischen Themen in unterschiedlichen Lebenslagen zu einem späteren Zeitpunkt durchaus akzeptiert werden kann (vgl. Matuschek et al. 2011: 251). Die Identität des „Rechts Seins“ ist in Deutschland stigmatisiert, weshalb die politische Rechte Orientierung häufig einhergeht mit einer politischen Verortung in der Mitte des Links-Rechts Schemata (vgl. Fuhse 2009: 209). Diese Entwicklungen und Parteien wie die Grünen, lassen das Links-Rechts Schemata zunehmend als unzureichend bewerten, um politische Bewegungen und die politische Landschaft zu erklären sowie einordnen kann (vgl. Fuhse 2009: 209). Auch politische Bewegungen wie der Populismus lassen sich nicht eindeutig nach dem Links-Rechts Schemas zuordnen (vgl. Reckwitz 2019: 218).

Verschwörungstheorien über das Corona Virus in Zeiten des Paradigmenwechsels

Im Zuge des Paradigmenwechsels, erlebt die Gesellschaft der Spätmoderne einen Anstieg von Ungewissheit. Bestehende Strukturen sind Veränderungen unterworfen und führen zu Unsicherheit und einem erhöhten Bewusstsein der Kontingenz in der Gesellschaft (vgl. Reckwitz 2019: 228). Die neue Mittelschicht, die sich im Zuge des Paradigmenwechsels bildet, steht der Angst von kulturellen Entwertungserfahrungen entgegen (vgl. Reckwitz 2019: 249). Die Corona Pandemie trifft auf eine Gesellschaft, die durch den Paradigmenwechsel bereits geprägt ist durch Krisen auf der „sozioökonomischen, soziokulturellen und demokratiepraktischen Ebene“ (vgl. Reckwitz 2019: 208). Im Zuge der Corona Pandemie wird das Bewusstsein der Kontingenz gesteigert und führt zu Angst und Unsicherheit in der Gesellschaft. Die Pandemie bringt die Probleme, die bereits im Zuge der Überdynamisierung entstanden sind an die Oberfläche. In Zeiten der Corona Pandemie stehen sich zwei Gruppierungen gegenüber. Diejenigen, „die Vertrauen haben in die Funktionseliten und denjenigen, die ihnen Misstrauen“ (vgl. Haak, 2020).

Bewegungen wie der Populismus sind ein Symptom des Paradigmenwechsels und der Unsicherheit und Angst, die damit einhergeht. Sie stellen auch ursprünglich Komplexität reduzierende Instrumente wie das Links-Rechts Schema zur Einordnung der politischen Landschaft in Frage. Populismus ist sowohl in Linker als auch Rechter Ausprägung vorhanden. Sie vereinen sich in ihrer Ablehnung gegenüber der Funktionselite (vgl. Reckwitz 2019: 199f.). Auch Verschwörungstheorien äußern eine Elitekritik. Diese gehen davon aus, dass die Elite mithilfe eines geheimen Plans Kontrolle über eine bestimmte Gruppierung erlangen oder ausüben möchte (vgl. Buter 2018: 176f.). Es zeigt sich unter anderem in Zeiten der Corona Pandemie, dass rechtspopulistische Parteien wie die AfD, Verschwörungstheorien als ein Narrativ gebrauchen, um eine neue Zielgruppe zu gewinnen. Die Corona Pandemie offenbart die bereits bestehenden Krisen, die im Zuge des Paradigmenwechsels entstanden sind, äußern sich in Form der Bewegung von Verschwörungstheoretiker/innen, die ähnlichen Mustern folgen wie populistische Bewegungen (vgl. Haak, 2020). Der Strategiewechsel der AfD im Zuge der Corona Pandemie zeigt, wie Populistische Parteien verschwörungstheoretische Narrative nutzen, um ihre politischen Forderungen durchzusetzen und eine neue Zielgruppe anzusprechen (vgl. Hammel, 2020).

Verschiedenen Gruppen, Akteure und Organisationen, wie Querdenken 711 rufen zu einer Teilnahme an den Hygiene-Demonstrationen auf, um gemeinsam gegen die Corona-Maßnahmen zu demonstrieren (vgl. Ballweg, o.J).

Teilnehmer/innen der Hygiene-Demonstrationen sehen einen Verrat am Grundgesetz und ihre individuelle Freiheit durch die Corona-Maßnahmen eingeschränkt (vgl. Betz, 2020). Es besteht das Risiko des Erstarkens (Rechts-)populistischer Parteien, weil es sich bei sozialen Systemen um operativ geschlossene Systeme handelt. In das System gelangen nur Informationen aus der Umwelt, die anschlussfähig an das soziale System kommunizieren. Die Protestbewegung kann nicht wissen, wie die Informationen aus der Umwelt von dem sozialen System, beispielsweise der Regierung verarbeitet werden (vgl. Luhmann 1997: 12). Auf den Hygiene-Demonstrationen kommen unterschiedliche heterogene Gruppierungen zusammen. Medien berichten, dass links neben rechts protestiert und sprechen von einem neuen Phänomen (vgl. Betz, 2020). Die Fragestellung über einen möglichen Zusammenhang zwischen der politischen Orientierung und Verschwörungstheorien wird in der nachfolgenden qualitativen Studie näher untersucht werden.

Eine qualitative Studie – die Datenerhebung

In Bezug auf die Forschungsfrage, inwiefern und in welcher Form vereinen Verschwörungstheorien über das Corona Virus linke und rechte Gruppierungen in Zeiten des Paradigmenwechsels, ergeben sich folglich die zu differenzierenden Merkmale der politischen Orientierung zwischen linken und rechten Verschwörungstheoretiker/innen, die für den Erkenntnisgewinn anhand der Durchführung von qualitativen Interviews rekrutiert und befragt werden sollten. Es wurden im Zuge der Untersuchung zwei linke Personen und zwei politisch rechts orientierte Interviewpartner/innen mit verschwörungstheoretischen Tendenzen befragt.

Eine Möglichkeit den Interviewablauf gezielt zu beeinflussen und zu strukturieren, ist die Methode des leitfadengestützten Interviews. Diese Methode wurde auch für die Erstellung und Durchführung der nachfolgenden Untersuchung dieser Arbeit verwendet. Der Leitfaden wird erstellt, bevor die Interviews durchgeführt werden. Dabei können beispielsweise bestimmte Leitfragen erstellt werden, an denen sich der Interviewer im Verlauf des Interviews orientieren kann (vgl. Helfferich 2014: 182 ff.). Die vorher festgelegten Fragen unterstützen den Interviewer und bieten ihm eine Orientierung für die Durchführung und anschließende Auswertung des Interviews. Im Gegensatz zu der Methode des standardisierten Interviews, ist es möglich im Zuge eines leitfadengestützten Interviews von den vorherigen Fragestellungen abzuweichen. Im Zuge des Leitfadeninterviews geht es primär darum „Erzählstimuli“ (vgl. Scheufele & Engelmann 2009: 123 f.) festzulegen in Form von Oberkategorien. Während des Interviews ist es mithilfe dieser Methode durchaus üblich, dass durch spezifische Nachfragen von nicht vorher festgelegten Fragen neue Erkenntnisse gewonnen werden. Diese ergeben sich erst im Verlauf des Interviews (vgl. Scheufele & Engelmann 2009: 123 f.).

Für die Auswertung der qualitativen Interviews gibt es verschiedene Methoden, die für die Analyse genutzt werden können. Um die Daten auszuwerten wurde im Zuge der qualitativen Studie auf die Methode der Grounded Theory zurückgegriffen, um die in den transkribierten Interviews zur Verfügung stehenden Deutungsfiguren zu codieren und nachfolgend einzelne Phrasen, die einen Sinn implizieren zu expliziten Äußerungen zu codieren (vgl. Glaser & Strauss, S.93 ff.). Anhand dieses Prozesses werden Daten erhoben, die in einer Liste von Codes zusammengefasst werden. Anhand dieser Codierliste können Kategorien abgeleitet werden, wodurch im nachfolgenden Prozess der weiteren Analyse, die Ergebnisse diskutiert werden sollen. Der interpretative Prozess der Datenauswertung wird somit intersubjektiv verständlich (Vgl. Böhm 2008: 476). Im Zuge des Axialen Codierprozess nach der Grounded Theory werden die Kategorien in ihrer Beziehung zueinander nach Ursachen, Kontextbedingungen, Strategien und Konsequenzen zugeordnet. Ursachen umfassen Faktoren, die zu der Entstehung des untersuchten Phänomens führen. Kontextbedingungen können sowohl hemmende als auch fördernde Faktoren in Bezug auf das untersuchte Phänomen sein. Strategien beschreiben den Umgang der Akteure mit dem Phänomen. Die Konsequenzen beschreiben die Handlungen, die sich durch das Phänomen ergeben (vgl. Strauss & Corbin 1996: 75 ff.). Es entsteht ein Netzwerk von Beziehungsgeflechten zwischen den Kategorien, in dessen Zentrum sich das Phänomen befindet (vgl. Strauss & Corbin 1996: 75 ff.).

Im Zuge der Untersuchung waren die nachfolgenden Fragen unter Berücksichtigung der Forschungsfrage handlungsleitend für den Codierprozess:

-Welche Gemeinsamkeiten bestehen zwischen linken und rechten Verschwörungstheoretiker/innen?

-Welche Motive zeigen linke und rechte für den Glauben an Verschwörungstheorien? / Worin bestehen die Differenzen?

-In welchem Kontext steht die politische Orientierung?

-Welche Aufgabe übernehmen die Medien für linke und rechte Verschwörungstheoretiker/innen? / Worin bestehen die Differenzen?

Ergebnisse der qualitativen Studie – Was vereint oder unterscheidet linke und rechte Verschwörungstheoretiker/innen in Zeiten der Corona Pandemie?

Die Ergebnisse, die mithilfe der Grounded Theory erhoben wurden, zeigen klar, dass linke und rechte Verschwörungstheoretiker/innen Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Bezug auf einzelne Phänomene aufweisen. Linke und rechte Verschwörungstheoretiker/innen vereinen sich im Zuge der Corona Pandemie in ihrem Streben nach Konsistenz, der Ablehnung der Regierung und der der Identifizierung mit den Hygiene-Demonstrationen. Unterschiede zwischen rechten und linken Interviewpartner/innen ergeben sich durch die Phänomene des Strebens nach Einzigartigkeit und des politischen Fatalismus der linken Interviewpartner/innen und des Strebens nach Gemeinschaft sowie der Abneigung gegenüber den Klassischen Medien für die politisch rechts orientierten Befragten. Unterschiede zwischen den Interviewpartner/innen und folglich einzelne Phänomene können anhand der   Fehlenden Anschlusskommunikation, des Systemischen Misstrauens gegenüber den Medien, der Flucht vor den Medien, und der Informationsbeschaffung durch Influencer beschrieben werden. Nachfolgend soll die Bedeutung der mithilfe der Grounded Theory gewonnen Daten für die Beantwortung der Forschungsfrage unter Annahme der theoretischen Grundlagen eingeordnet und näher erläutert werden.

In Bezug auf die Forschungsfrage zeigt sich, dass sich linke und rechte Verschwörungstheoretiker/innen in ihrem Streben nach Konsistenz, der Ablehnung der Regierung und Identifizierung mit den Hygiene-Demonstrationen vereinen. Die Befragten äußern eine starke Unzufriedenheit gegenüber der Regierung. Diese Ergebnisse stützen die Annahme des Protestforschers Dieter Rucht, der die Hygiene-Demonstrationen als einen Ausdruck diffuser Unzufriedenheit bezeichnet (vgl. Meier, 2020). Im Rahmen der Untersuchung zeigt sich, dass linke und rechte Verschwörungstheoretiker/innen von Gefühlen der Angst und Unsicherheit geleitet werden. Durch den Glauben an Verschwörungstheorien können diese Gefühle in Wut und Unzufriedenheit transformiert werden und zeigen sich in den Phänomenen des Strebens nach Konsistenz, der Ablehnung der Regierung und der Identifikation mit den Hygiene-Demonstrationen. Tiefergreifende Erkenntnisse zeigen sich in den Phänomenen, die linke und rechte Verschwörungstheoretiker/innen voneinander unterscheiden. Diese führen zu der Annahme, dass sich die Bewegung von Verschwörungstheoretiker/innen in Zeiten der Corona Pandemie nur peripher vereinen, da der Protestbewegung keine gemeinsame politische Identität zugrunde liegt. Es erfolgt eine klare Abgrenzung gegenüber der politischen Gegenseite. Die Ablehnung der Corona-Maßnahmen der Regierung und damit einhergehende Unzufriedenheit und Unsicherheit bilden den kleinsten gemeinsamen Nenner.

Ergebnisse der qualitativen Studie – Politische Motive

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass es sich bei Verschwörungstheoretiker/innen, vor allem bei den politisch links orientierten Verschwörungstheoretiker/innen, um politisch entfremdete und folglich desorientierte Personen handelt, die dadurch nicht auf dem Links-Rechts Schemata verortet werden können. In der Literatur finden sich bereits Hinweise, die verdeutlichen, dass eine politische Entfremdung mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit einhergeht, Verschwörungstheorien zu glauben (vgl. Korneziowski 2001: 157 ff.). Die Ergebnisse der Studie zeigen auf, dass politische Entfremdung eine Konsequenz darstellt, die aufgrund von konspiratorischen Denkmustern befördert wird. Die Unzufriedenheit mit der Regierung verstärkt sich durch den Glauben an Verschwörungstheorien in Zeiten der Corona Pandemie und verstärkt das Gefühl in der Regierung nicht vertreten zu sein. Hier setzt die Protestbewegung an, die jedoch nicht wissen kann, wie das soziale System die Kritik der Demonstranten auffasst. Es besteht die Gefahr, dass populistische Parteien oder Bewegungen erstarken, wie es bereits im Zuge des Strategiewechsels der AfD zu beobachten ist. Allerdings ist aufgrund der starken Ablehnung der Regierung von Verschwörungstheoretiker/innen in Zeiten der Corona Pandemie davon auszugehen, dass die AfD als Teil des deutschen Bundestags eher auf Misstrauen und Ablehnung von Seiten der Verschwörungstheoretiker/innen trifft (vgl. Hammerl, 2020). Eine Gefahr droht von Bewegungen wie „Querdenken 711“, die sich selbst als eine „überparteiliche Initiative“ (vgl. Ballweg, o.J.) bezeichnen, die weder links noch rechts ist und die sich in ihrer Unzufriedenheit gegenüber der Regierung vereint (vgl. Meier, 2020). Damit bedienen sie die Haltung und Meinungen der Verschwörungstheoretiker/innen außerhalb des Links-Rechts Schemata. Diese bieten neuen Bewegungen wie „Querdenken 711“ eine Möglichkeit die Unzufriedenheit und Frustration von Verschwörungstheoretiker/innen zu verstärken, die sich in der gemeinsamen Ablehnung der Regierung äußert.

In der ablehnenden Haltung gegenüber der Regierung zeigt sich ein weiteres Phänomen im Kontext der politischen Orientierung und des Glaubens an Verschwörungstheorien. Die Identifikation mit den Hygiene-Demonstrationen zeigt, dass sich die Demonstranten in ihrer Ablehnung der Regierung vereinen. Dafür wird die politische Orientierung in den Hintergrund gerückt. Im Vordergrund steht das gemeinsame Ziel gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung zu kritisieren und zu demonstrieren. Es wird akzeptiert, dass Demonstrationen Menschen mit ganz unterschiedlichen politischen Orientierungen und Meinungen mitlaufen. Gleichzeitig wird deutlich kommuniziert, dass dies nicht bedeutet, dass man die gleiche Meinung vertritt. Es erfolgt eine klare Abgrenzung gegenüber der politischen Gegenseite. Diese   Erkenntnisse unterstützen die Expertenmeinung von Dieter Rucht (vgl. Meier, 2020). Dieser geht davon aus, dass es sich bei den Hygiene-Demonstrationen um eine eher kurzfristige Erscheinung handelt, der keine gemeinsame langfristig bestehende Identität zugrunde liegt. Hygiene-Demonstrationen bieten die Möglichkeit für Verschwörungstheoretiker/innen gehört zu werden und stehen dadurch für Assheuer erneut in einem Zusammenhang mit der Steigerung der eigenen Selbstwirksamkeit (vgl. Assheuer 2020: 2) Bei den Hygiene-Demonstrationen handelt es sich um eine Protestbewegung, die nach Luhmann eine besondere Form sozialer Systeme darstellen. Funktionssysteme erfüllen verschiedene Funktionen für die Gesellschaft. Bei Protestbewegungen handelt es sich um Systeme, die nach außen hin operativ geschlossen sind und sich durch Kommunikation stetig selbst erneuern in einem autopoietischen Prozess. Dabei gelangen nur Informationen aus der Umwelt in das soziale System, die anschlussfähig kommunizieren (vgl. Luhmann 1991: 138). Im Rahmen der Untersuchung des Phänomens zeigen die Befragten den Wunsch gehört zu werden. Das Ziel ist es im Zuge der Anschlusskommunikation, dass soziale System der Protestbewegung aufrechtzuerhalten, indem über das soziale System der Protestbewegung kommuniziert wird. In Bezug auf die Hygiene-Demonstrationen bedeutet dies auch, dass die Protestbewegung nicht wissen kann, wie die Informationen aus der Umwelt beispielsweise innerhalb des operativ geschlossenen Sozialen System der Regierung verarbeitet werden. Es bestehet die Gefahr, dass das Thema der Ablehnung der Corona-Maßnahmen im Kontext der Protestbewegung „aus der Hand genommen wird“ (vgl. Luhmann 1991: 138) und Populistische Parteien erstarken, die einfache Lösungen für komplexe Problemlagen darbieten (vgl. Reckwitz 2019: 238).

Im Zuge der Hygiene-Demonstrationen ist ein Strategiewechsel der AfD zu beobachten, wo Parteimitglieder zunehmend eine Unterstützung der Verschwörungstheoretiker/innen von Hygiene-Demonstrationen kommunizieren. Diese versuchen folglich gezielt Anhänger der Hygiene-Demonstrationen und Verschwörungstheoretiker/innen anzusprechen, um neue Parteianhänger zu rekrutieren (vgl. Hammel, 2020). Die Bewegung des Populismus ist ein Symptom der Überdynamisierungskrise. In Zeiten des Paradigmenwechsels entstehen durch das Paradigma des apertistischen Liberalismus „sozioökonomische, soziokulturelle und demokratiepraktische“ (vgl. Reckwitz 2019: 238) Probleme. Die Bewegung des Populismus hat die Probleme der Krise des apertistischen Liberalismus erkannt hat und liefert ein politisches Gegenprogramm. Im Zentrum der Bewegung des Populismus, die sowohl in links als auch rechts ist, steht hierbei die Ablehnung der Eliten (vgl. Reckwitz 2019: 234). Nach Reckwitz lässt sich die Bewegungen des Populismus nicht eindeutig in das ursprüngliche Links-Rechts Schemata einordnen und stellt diese somit im Zuge der Spätmodernen Gesellschaft in Frage (vgl. Reckwitz 2019: 217). Die Hygiene-Demonstration vereinen ebenfalls linke und rechte Verschwörungstheoretiker/innen aufgrund ihrer Unzufriedenheit, die sich gegen die Regierung richtet. Es zeigt sich, dass die Interviewpartner/innen, die sich ursprünglich in der Mitte-Links einordnen, eine starke politische Entfremdung aufzeigen und eher politisch desorientiert wirken. Unter der Annahme, dass es sich bei den Hygiene-Demonstrationen, um eine kurzfristige Erscheinung handelt, die linke und rechte Anhänger von Verschwörungstheorien in ihrer Selbstwirksamkeit bestärken und bei denen folglich Gefühle der Angst und Unsicherheit überwunden werden können, zeigt sich die Gefahr für Inhalte populistischer Bewegungen und Parteien empfänglich zu sein, sobald sich die Hygiene-Demonstrationen als Protestbewegung auflösen.

Diese Ergebnisse stützen die Studie von Matuschek et al., die die linke politische Identität als zunehmend variabel beschreiben und nicht mehr an feste Überzeugungen gebunden zu sein scheint (vgl. Matuschek et al. 2011: 251). Im Zuge der Hygiene-Demonstrationen ist eine Einordnung der Verschwörungstheoretiker/innen auf dem Links-Rechts Schema schwierig, da die Linken Verschwörungstheoretiker/innen eine starke politische Entfremdung aufzeigen und folglich außerhalb des Links-Rechts Schema zu verorten sind.

Ergebnisse der qualitativen Studie – Sozialpsychologische Motive

Aus der Sicht der sozialpsychologischen Motive zeigen die Ergebnisse der Untersuchung, dass Anhänger von Verschwörungstheorien nach der Auflösung eines negativen Gefühlszustands streben, der durch Widersprüchliche Informationen entsteht. Diese Bedürfnisse äußern sich in dem Phänomen des Strebens nach Konsistenz. Darüber hinaus geht die Corona Pandemie mit dem Erleben von Angst und Panik einher. Bereits die Studie von Douglas und Proijen aus dem Jahr 2017 zeigt, dass Gefühle von Kontrollverlust und fehlender Sicherheit in Krisenzeiten eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für den Glauben an Verschwörungstheorien darlegen (vgl. Douglas 2017: 538ff.). Im Zuge des Paradigmenwechsels erhöht sich das Bewusstsein der Kontingenz in der Gesellschaft der Spätmoderne und führt zu Angst und Verunsicherung. Die Corona Krise steigert das Erleben von Angst und Kontrollverlust (vgl. Haak, 2020). Im Zuge der Untersuchung bilden die Gefühle von Angst und Unsicherheit die Ursache für das Streben nach Konsistenz. Politiker steigern im Zuge der Wissensgesellschaft durch den Rückgriff auf Expertenmeinungen, das Nichtwissen in der Gesellschaft und folglich das Bewusstsein der Kontingenz für die Gesellschaft im Zuge der Corona Pandemie (vgl. Geis zitiert nach Wehling 2012: 153). Widersprüchliche Informationen werden an die Gesellschaft herangetragen und steigern das Erleben von Angst und Unsicherheit (vgl. Beck 1986: 293). Im Zuge der Untersuchung zeigt sich, dass durch die Verharmlosung des Corona Virus und folglich dem Glauben an eine Verschwörungstheorie (vgl. Meyer & Spickschen, 2020), die Angst und Panik überwunden werden kann. Um den inneren Spannungszustand durch widersprüchliche Meinungen aufzulösen, werden widersprüchliche Ansichten vermieden. Dieser innere Spannungszustand wird in der Literatur als kognitive Dissonanz beschrieben. Wenn Akteure zwischen zwei Alternativen stehen und sich für eine Handlungsalternative entschieden, entsteht häufig der Zustand der Rechtfertigung, indem versucht wird die gewählte Alternative aufzuwerten (vgl. Raab et al. 2010: 42). Da Verschwörungstheoretiker/innen konstant in den Medien oder ihrem persönlichen Umfeld auf heterodoxe Ansichten stoßen, die ihren Meinungen widersprechen, befinden sich diese in einer ständigen Rechtfertigungsposition gegenüber Personen, die ihren Ansichten widersprechen. Aufgrund dessen werden, wie auch anhand des Phänomens des Strebens nach Konsistenz deutlich wird, widersprüchliche Informationen vermieden, um die Konsistenz des eigenen Weltbildes, welches Angst und Panik in Krisenzeiten unterdrückt, nicht zu gefährden und das Leben möglichst normal ohne große Einschränkungen weiterführen zu können.

Ergebnisse der qualitativen Studie – Soziologische Motive

Douglas et al. beschreiben in ihrer Studie einen Zusammenhang zwischen Verschwörungstheorien und der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. Der Grund für den Glauben an eine Verschwörungstheorie stellt das Bedürfnis eines positiven Selbstbildes der Gruppe oder einem selbst dar. Der Mensch ist ein soziales Wesen, der sich einer Gruppe zugehörig fühlen möchte. Wenn das Selbstbild der Gruppe extern bedroht wird, können Verschwörungstheorien nach Douglas et al. eine Möglichkeit für die Gemeinschaft darbieten, um das Selbstbild der Gruppe zu schützen oder aufzuwerten (vgl. Douglas et al. 2017: 540). Im Zuge der Untersuchung zeigen politisch tendenziell rechts orientierte Verschwörungstheoretiker/innen ein Bedürfnis nach Gemeinschaft. Die Ursache für den Glauben an eine Verschwörungstheorie ist allerdings nach den Erkenntnissen der vorliegenden Studie nicht zurückzuführen auf eine Bedrohung des Selbstbilds der eigenen Gruppe, sondern auf das Gefühl von Einsamkeit. Der Glaube an eine Verschwörungstheorie soll nicht Ausdruck des Anderssein darstellen, sondern im Vordergrund steht die Kommunikation nur einer von vielen zu sein mit seinen Ansichten. Innerhalb der Gemeinschaft herrschen homogene Ansichten vor, die einen verständnisvollen Austausch im sozialen Umfeld ermöglichen. Diese Ansichten innerhalb der Gruppe sind frei von Widersprüchen und knüpfen damit an das Streben nach Konsistenz und folglich Widerspruchsfreiheit von Verschwörungstheoretiker/innen an (vgl. Reckwitz 2017: 601). Über die Definition der Gemeinschaft haben Mitglieder die Möglichkeit sich nach außen hin abzugrenzen. Reckwitz bezeichnet diese als „Eigengruppe (ingroup)“ (vgl. Reckwitz 2017: 398), die sich nach außen hin gegenüber der „Fremdgruppe (outgroup)“ (vgl. Reckwitz 2017: 398) abgrenzen. Durch die Abgrenzung erhält die Gemeinschaft ihre Einzigartigkeit. Diesem auch in der Untersuchung festgestellten Phänomen können die Anhänger von Verschwörungstheorien mit einer tendenziell linken politischen Orientierung zugeordnet werden. Im Fokus steht für diese das Bedürfnis sich von anderen abzugrenzen, durch die Kommunikation ihres heterodoxen Wissens. Im Vordergrund steht die Abgrenzung und der Ausdruck der Einzigartigkeit. Ein Grund hierfür bildet der fehlende Austausch im sozialen Umfeld sein, die zu einer fehlenden Interaktion in Form von Kommunikation führt, die es nach Reckwitz braucht, um sich einer Gruppe zugehörig zu fühlen (vgl. Reckwitz 2017: 600).

Eine gesellschaftliche Ausgrenzung wird durch eine fehlende Anschlusskommunikation begünstigt. Die fehlende Anschlusskommunikation beschreibt den Prozess fortlaufender Kommunikation. Nach Luhmann führt eine fehlende Anschlusskommunikation zu der Auflösung eines sozialen Systems. Anschlusskommunikation ist motiviert durch das Bedürfnis ein Verständnis herstellen zu wollen (vgl. Luhmann 1991: 137). Auch wenn das Ziel der Anschlusskommunikation nicht die Herstellung eines gemeinsamen Konsenses ist, impliziert die Selektion der Anschlusskommunikation das inhaltliche Verstehen der Mitteilung des Senders durch den Empfänger (vgl. Berghaus 2011: 99). Im Zuge der Untersuchung zeigt sich das Phänomen der Fehlenden Anschlusskommunikation, dass dem ursprünglich links orientierten Interviewpartner zugeordnet werden kann. Im Kontext der qualitativen Studie zeigt sich, dass heterodoxe Ansichten zu einem Unverständnis im sozialen Umfeld, bspw. der Familie führen können. Das wiederholte Erleben von Unverständnis im sozialen System Familie führt zu einer fehlenden Motivation der Anschlusskommunikation. Dies führt zu der Einnahme einer passiven Kommunikationsrolle, in der kein Austausch mehr über die heterodoxen Ansichten stattfindet, sondern nur noch beobachtet wird. Die Beobachtung umfasst aber keine Kommunikation und somit nicht das entstehen sozialer Systeme (vgl. Luhmann 1997: 190). Kommunikationsbarrieren in den sozialen Netzwerken, wie das Löschen von Videos oder Zensuren fördern die fehlende Anschlusskommunikation, weil auch dort kein kommunikativer Austausch mehr stattfinden kann. Im Fokus der Theorie sozialer Systeme nach Luhmann steht nicht der Mensch, sondern die Kommunikation (vgl. Berghaus 2011: 32). Im Zuge der Untersuchung soll dennoch der Zusammenhang zwischen Kommunikation und Sozialisation aufgezeigt werden, denn durch Kommunikation wird Sozialisation vollzogen (vgl. Wurzbacher 1963: 12). Fehlende Möglichkeiten anschlussfähig zu kommunizieren führen im Umkehrschluss zu einer Desozialisation, wodurch sich das Individuum immer weiter von der Gesellschaft entfernt. Dabei gerät das Individuum nicht mehr in den Austausch mit Personen, die im Fall des Verschwörungstheoretikers orthodoxe Ansichten teilen. Die Folge ist eine Radikalisierung der heterodoxen Ansichten. Der Interviewpartner der konspiratorischen Denkmustern folgt, befindet sich in einem Teufelskreis der Desozialisation, in der er seine heterodoxen Ansichten immer wieder selbst bestätigt. Merton schreibt hierzu im Rahmen der selbsterfüllenden Prophezeiung, dass zu Anfang eine „falsche Annahme“ steht, die durch eine Verhaltensänderung, also beispielsweise der ausschließlichen Suche nach Informationen in sozialen Netzwerken, die diese „falsche Annahme“ bestätigen, diese Informationen aus Sicht der Person zu einer „richtigen Annahme“ werden (vgl. Merton 1948: 193ff.). Der Verschwörungstheoretiker befindet sich in einer selbstreferentiellen Schleife, in der er seine Ansichten immer wieder selbst bestätigt (vgl. Merton 1948: 193ff.). Dadurch wird der fehlende Austausch im sozialen Umfeld wiederum bestärkt, der wiederum die passive Kommunikationsrolle des Verschwörungstheoretikers bestärkt und folglich die weitere Desozialisation. Es besteht ein Teufelskreis, indem sich der oder die Verschwörungstheoretiker/in immer weiter radikalisiert.

Abbildung 1: eigene Darstellung

Ergebnisse der qualitativen Studie – Die Rolle der Medien

Die Medien bilden ein zentrales Instrument von Verschwörungstheoretiker/innen. Studien zeigen, dass die Informationsbeschaffung über die sozialen Netzwerke für viele Verschwörungstheoretiker/innen ein geeignetes Mittel darstellen, um glaubwürdige Informationen über aktuelle Themen einzuholen. Die Klassischen Medien werden als eher unglaubwürdige Informationsquelle angesehen (vgl. infratest dimap 2020: 14). Darüber hinaus zeigen Studien, dass das Misstrauen einer Person bereits durch den einmaligen Kontakt in den sozialen Netzwerken mit einer Verschwörungstheorie wächst (vgl. Atland, Eichhorn & Reveland, 2020). Die Ergebnisse der Untersuchung stützen die Annahmen der Studien und zeigen, dass Personen mit konspiratorischen Denkmustern Misstrauen gegenüber den klassischen Medien entgegenbringen. Unterschiede der Befragten im Umgang mit den Medien zeigen neue Phänomene.

Im Zuge der Corona Pandemie zeigt sich ein Phänomen, wodurch die Medien allgemein vermieden werden. Entweder werden diese als Verursacher für die Verbreitung von Angst und Panik angesehen. Es findet keine aktive Informationsbeschaffung statt. Dadurch werden Gefühle der Angst vermieden. Oder es liegt ein systemisches Misstrauen gegenüber den Medien vor. Die Medien sind die Bösen, denen nicht getraut werden kann. Die Medien werden folglich entweder allgemein vermieden oder des erfolgt eine Informationsbeschaffung über die sozialen Netzwerke und online Medien. Durch die ausschließliche Nutzung von sozialen Netzwerken für die Informationsbeschaffung entsteht schnell „ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit“ (vgl. Messingschlager & Holtz 2020 :91). Filter Bubbles führen dazu, dass Nutzer/innen Inhalte auf den sozialen Plattformen angezeigt werden, die ihren eigenen Interessen und Ansichten entsprechen. Widersprüchliche Informationen, die die eigenen Ansichten kritisch hinterfragen werden dadurch weniger wahrgenommen (vgl. Messingschlager & Holtz 2020 :91). Zurückgeführt werden können diese Erkenntnisse auch auf das in der Untersuchung gezeigte Phänomen des Strebens nach Konsistenz. Widersprüchliche Informationen werden von Verschwörungstheoretiker/innen vermieden, um innere Spannungszustände und das Erleben von Angst zu reduzieren. Soziale Netzwerke erfüllen unter Wirkweisen der Filter Bubbles die Funktionen der Herstellung von Konsistenz des eigenen Weltbilds. Diese Erkenntnisse bieten einen Erklärungsansatz, warum soziale Netzwerke von Verschwörungstheoretiker/innen doppelt so häufig für die Informationsbeschaffung genutzt werden.

Als weiteres, neues Phänomen zeigt sich im Zusammenhang mit Verschwörungstheorien die Informationsbeschaffung durch Influencer. Bei Influencern handelt es sich um Personen, die in den sozialen Netzwerken Inhalte veröffentlichen und eine vergleichsweise hohe Reichweite haben (vgl. Deges, o.J.). Im Zuge des Phänomens zeigt sich, das Bedürfnis nach einer emotionalen Berichterstattung. Die Zahlen, die durch die Medien verbreitet werden, führen zu negativen Gefühlen der Angst, die mithilfe der Informationsbeschaffung durch Influencer, die Verschwörungstheoretische Inhalte verbreiten, transformiert werden können. Unter anderem bildet sich durch die Nutzer/innen, die einem Influencer folgen und dessen Inhalte teilen sowie verbreiten ein Gemeinschaftsgefühl (vgl. Deges, o.J.). Echo Chambers führen dazu, dass Informationen vorgefiltert werden durch Personen denen sie in den sozialen Netzwerken folgen. Die Kontakte innerhalb des Netzwerks entscheiden darüber, welche Informationen eine Person auf ihrer Startseite angezeigt werden und welche nicht (vgl. Flaxman et al. 2016: 298ff.). Das Folgen von Influencern und Teilen der Botschaften impliziert die Wirkungsmechanismen von Echo Chambers und führt dazu, dass sich Verschwörungstheoretiker/innen in ihren Ansichten festigen (vgl. Colleonie et al. 2014: 317 ff.).

Wie sollte mit Verschwörungstheoretiker/innen in Zeiten der Corona Pandemie umgegangen werden?  

Für den Umgang mit Verschwörungstheoretiker/innen in Zeiten der Corona Pandemie lassen sich anhand der Erkenntnisse verschiedenen Handlungsempfehlungen für die Praxis ableiten. Aufgrund der Gefahr der politischen Entfremdung durch konspiratorische Denkmuster besteht die Gefahr von Bewegungen wie Querdenken 711, die nachweislich Rechtsextreme Verbindungen pflegt, Verschwörungstheoretiker/innen für sich zu gewinnen. Die Handlungsempfehlungen sollten folglich darauf abzielen, Verschwörungstheoretiker/innen in ihren Ansichten zu deradikalisieren.

Die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, dass Verschwörungstheoretiker/innen ein starkes Bedürfnis danach haben ihre eigenen Ansichten zu bestätigen und widersprüchliche Informationen, die das eigenen Weltbild gefährden könnten zu vermeiden. Filter Bubbles und Echo Chambers begünstigen eine schnelle Verbreitung von verschwörungstheoretischen Inhalten, die die Ansichten in Form einer selbstreferentiellen Schleife immer wieder selbst bestätigen. Um einer schnellen Verbreitung der konspiratorischen Inhalte entgegenzuwirken, kann das Löschen von verschwörungstheoretischen Inhalten auf den sozialen Plattformen eine Möglichkeit bieten, der Verbreitung von Verschwörungstheorien entgegenzuwirken. Auf der anderen Seite bleibt es fraglich, ob durch das Löschen von diesen Inhalten nicht das Misstrauen in die Medien, dass bereits bei den befragten Anhängern von Verschwörungstheorien besteht, verstärkt wird und diese dennoch Wege und Mittel finden, um ihre Informationen zu verbreiten, indem sie beispielsweise auf Alternative Plattformen ausweichen. Eine Möglichkeit den Effekten von Filter Bubbles und Echo Chambers entgegenzuwirken, ist die Aufklärung über die Wirkung dieser Effekte. Im Zuge des Bewusstseins über diese Effekte, kann die Wahrnehmung und folglich dem „verzerrten Bild der Wirklichkeit“ (vgl. Messingschlager & Holtz 2020 :91) entgegengewirkt werden.

Fazit und Ausblick – Verschwörungstheorien in Zeiten der Corona Pandemie als ein Katalysator des Populismus?

Im Rahmen der Arbeit sollte die Forschungsfrage beantwortet werden: Inwiefern und in welcher Form vereinen Verschwörungstheorien über das Corona Virus linke und rechte Gruppierungen in Zeiten des Paradigmenwechsels? Die Ergebnisse der qualitativen Studie zeigen, dass sich linke und rechte Verschwörungstheoretiker/innen in ihrer Unsicherheit und Unzufriedenheit vereinen. Diese äußern sich durch die Phänomene des Strebens nach Konsistenz, der Ablehnung der Regierung und der Identifikation mit den Hygiene-Demonstrationen und unterstützen folglich die Annahme des Protestforschers Dieter Rucht, dass es sich bei den Demonstrierenden um eine Gruppierung handelt, die sich in ihrer Unzufriedenheit vereinen (vgl. Meier, 2020). Durch die kognitive Dissonanz zeigen sich im Zuge der Untersuchung, Bestrebungen nach einem konsistenten Weltbild, um negative Gefühlszustände der Angst und Unsicherheit in Unzufriedenheit und Wut zu transformieren, indem die Regierung als die Bösen angesehen werden, die für die erlebten Missstände die Schuld tragen. Im Zuge der Corona Pandemie steigert sich das Bewusstsein der Kontingenz für die Gesellschaft (vgl. Adloff 2020: 143). Wie die Ergebnisse der Untersuchung zeigen, streben die linken und rechten Anhänger von Verschwörungstheorien nach einem konsistenten Weltbild, dass die Komplexität, im Zuge der Auflösung von Widersprüchen, reduziert.

Anhand der nachfolgenden Abbildung werden wesentliche Erkenntnisse, die im Zuge der Arbeit anhand der qualitativen Studie und theoretischen Grundlagen gewonnen wurden, zusammengeführt und in Bezug zu Bewegungen des Populismus gesetzt. Dabei werden die Ausführungen von Andreas Reckwitz (vgl. Haak, 2020) und Michael Butter (vgl. Butter 2018: 170ff., 175 f.) berücksichtigt.

Durch die Überdynamisierungskrise im Zuge des Paradigmenwechsels wird die Angst und Unsicherheit durch strukturelle Veränderungen gesteigert (vgl. Haak, 2020). Die Corona Pandemie trifft auf eine bereits von einem erhöhten Bewusstsein der Kontingenz geprägten Gesellschaft und steigert das Erleben von Angst und Unsicherheit in der Bevölkerung. In der Konsequenz ist ein Anstieg der Verbreitung von Verschwörungstheorien im Zusammenhang mit dem Corona Virus zu beobachten (vgl. Geis zitiert nach Wehling 2012: 153). Linke und rechte Verschwörungstheoretiker/innen vereinen sich in den Phänomenen der Ablehnung der Regierung, des Strebens nach Konsistenz und der Identifikation mit den Hygiene-Demonstrationen.

Abbildung 2: eigene Darstellung

Der Glaube an Verschwörungstheorien impliziert ein dualistisches Sortierschema (vgl. Assheuer 2020: 2), durch, dass die Gefühle der Angst und Unsicherheit im Zuge der Herstellung von Konsistenz in Wut transformiert werden können. Diese Wut richtet sich gegenüber der Regierung als die Bösen, die die Schuld an der schlechten Lage der linken und rechten Verschwörungstheoretiker/innen tragen und führen in der Konsequenz zu einem Vertrauensverlust und folglich einer politischen Entfremdung der Verschwörungstheoretiker/innen. Auch Bewegungen des Populismus nutzen dualistische Sortierschema, um einen Schuldigen zu präsentieren, der für die Missstände in der Gesellschaft verantwortlich ist (vgl. Reckwitz 2019: 237 f.). Populistische Bewegungen ergeben sich aus Mitgliedern, die ihre Interessen nicht in der Regierung vertreten sehen und propagieren einfache Lösungen für komplexe Problemlagen (vgl. Reckwitz 2019: 238). Aufgrund der Ablehnung der Regierung und der scheinbar einfachen Antworten des Populismus ergibt sich die Gefahr des Erstarkens populistischer Bewegungen, die in den Verschwörungstheoretiker/innen eine neue Zielgruppe gewinnen können.

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